…laut Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, der einen Beitrag dazu in focus online veröffentlicht hat, der zuvor im Magazin Zukunft 2017 der Konrad- Adenauer-Stiftung erschienen ist.
Er schreibt zum Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz:
„Denn das Ergebnis der vielschichtigen eidgenössischen Debatte war in erster Linie eine krachende Niederlage für die Initiatoren der Abstimmung. Lediglich 23 Prozent der Wählerschaft stellten sich hinter das Konzept. Das ist weniger Zustimmung als in den Jahren zuvor der Mindestlohn oder die Begrenzung von Managergehältern erhielten. Umfragen zufolge findet sich auch in Deutschland derzeit keine Mehrheit für ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Dass der Mindestlohn mehr Zustimmung erhielt ist insofern nicht überraschend, als er sich im Gefüge der Erwerbszentrierung bewegt und daran nichts ändert. Ein BGE will darüber hinaus und die Erwerbszentrierung aufheben. Die Befürworter haben dem Bestehenden gegenüber also eine Bringschuld deutlich zu machen, dass das BGE etwas ermöglicht, was im heutigen Gefüge nicht möglich ist.
Ist eine Zustimmung von 23 Prozent angesichts eines solchen Ziels denn wenig? Es ist zu wenig, wenn eine Mehrheit gesucht wird, das ist richtig, aber Vorhaben, die größere Veränderungen nach sich ziehen, haben immer eine Weile gebraucht, bis sie Mehrheiten finden konnten. Was wäre wohl in Deutschland los, wenn sich in einem Verfahren 23 Prozent für ein BGE ausgesprochen hätten (also keine nichtssagenden Umfragen)? Es wäre nicht mehr als abwegige Utopie wegzudiskutieren.
Dann äußert sich Hüther zum gegenwärtigen Sozialstaat:
„Keineswegs bedeutet dies, dass man den deutschen Sozialstaat von Reformbedarf freimachen könne. Nichts läge ferner. Denn tatsächlich leiden der Bundeshaushalt und damit die Steuerzahler unter viel zu hohen Bürokratiekosten, Sozialtransferempfänger gleichzeitig unter Stigmatisierung. In der Theorie könnte das bedingungslose Grundeinkommen diese Probleme angehen, soll dieses doch das Gros an Sozialtransfers und der Sozialversicherung – wie der Name schon sagt bedingungslos – ersetzen.“
Zumindest anerkennt er, was ein BGE ermöglichen könnte.
Weiter heißt es:
„Legitimiert die aktuelle Situation in Deutschland jedoch einen solch drastischen Schritt, der den jahrzehntelang weiterentwickelten Sozialstaat und unsere gesamte Wirtschaftsordnung auf den Kopf zu stellen vermag?“
Was genau würde ein BGE denn „auf den Kopf stellen“? Es würde vielmehr etwas miteinander verbinden, das heute nicht zu verbinden ist: Solidarität und Leistung. Denn auch mit einem BGE benötigt es Leistung, damit es dauerhaft bereitgestellt werden kann, aber eben nicht nur eine, sehr eingeschränkte Form von Leistung: Erwerbsarbeit. Es benötigt all die anderen auch, die heute unter dem Vorrang der einen herausgehobenen leiden: Familien, Freiwilligenengagment, staatsbürgerschaftliches Engagement für die Demokratie.
„Freilich beschwören die Befürworter des Grundeinkommens eine sich verschärfende Dringlichkeit. Hierfür bedient man sich der voranschreitenden Digitalisierung und prognostiziert ein rabenschwarzes Bild des Arbeitsmarktes. Maschinen mit künstlicher Intelligenz erledigen Aufgaben, die heute noch von Menschen durchgeführt wird, nur eine kleine Elite würde weiterhin einer entlohnten Tätigkeit nachgehen. Die Mehrheit der Arbeitskräfte wäre schlichtweg überflüssig.“
So argumentieren allerdings nicht nur Befürworter eines BGE, sondern auch solche, die davon nicht so überzeugt sind wie z. B. Erik Brynjolfsson. Hüther trifft hier einen wunden Punkt der Debatte, denn in der Vergangenheit hat es immer wieder Szenarien gegeben, die nicht eintrafen. Außerdem bezieht das BGE seine Bedeutung nicht von etwaigen Entwicklungen durch Digitalisierung. Statt sich auf die Reparaturfunktion eines BGE zu kaprizieren, wäre es für die öffentliche Auseinandersetzung wichtig, dass es um etwas anders im wesentlichen geht – um mehr Selbstbestimmung und Vielfalt in Gemeinschaft.
Entsprechend verweist Hüther auf ein solches Szenario:
„Damit wird ein altbekanntes Narrativ aufgegriffen, auf das bereits Henry Ford während des Zeitalters der Elektrifizierung hereinfiel. „Autos kaufen keine Autos“, so lautete die Sorge des Unternehmers vor über 100 Jahren. Auch er dachte, die Nutzung von technologischen Innovationen führte zu Substitution von menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft. Mit fallenden Löhnen und Beschäftigungsquoten würde dann das gesamte System in sich zusammenbrechen.“
Abgesehen von dem schon oben erwähnten Punkt, dass es beim BGE nicht hauptsächlich um den „Arbeitsmarkt“ geht, ist die indirekte Verklärung, die Hüther hier vornimmt, ebensowenig haltbar. Betrachtet man die Entwicklung von Arbeitsvolumen und Erwerbstätigkeit, bietet sich ein Bild, das erheblich differenzierter ist und von einem lang anhaltenden Trend eines sinkenden Arbeitsvolumens zeugt (siehe hier, S. 47 und meinen Kommentar hier).
Hüther folgert:
„Der Argumentation hängt eine fatalistisch-technologiefeindliche Note an. Mit Blick auf zukünftige Massenarbeitslosigkeit und soziale Verwahrlosung böte sich der Gesellschaft ein letzter Ausweg, den großen sozialen Knall zu verhindern: das bedingungslose Grundeinkommen.“
So überzogen die Argumentation mancher BGE-Befürworter hier ist, so überzogen ist sein Abtun der Entwicklung des Arbeitsvolumens. Wir wissen tatsächlich nicht, was die Digitalisierung bringen wird, insofern trägt es zu einer Versachlichung der Debatte bei, hier weder ein Horror-, noch ein Verklärungsszenario zu entwerfen.
Genau dazu setzt Hüther dann aber an:
„Dabei hat sich die zweite industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts als Startpunkt einer schier unglaublichen (und inklusiven) Wohlstands- und Wohlfahrtsstory erwiesen. Auch heute läuft es rund in der deutschen Wirtschaft. Insbesondere auf dem deutschen Arbeitsmarkt jagt ein Rekord den anderen, wobei sich ebenfalls die Qualität der Arbeit gewandelt hat: Nicht der Subsistenzerhalt, sondern vielmehr die Hoffnung auf ein erfülltes Leben ist für viele Menschen heute die Triebfeder des Arbeitens. Technologischer Fortschritt hat dies erst ermöglicht und er wird ebenso in Zukunft dazu führen, dass noch mehr Menschen einer entlohnten sinnstiftenden Arbeit nachgehen können. Die Unabdingbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens lässt sich nicht herleiten.“
Nicht die Spur von Aufmersamkeit für den Druck, den diese Erwerbszentrierung auf andere Leistungsformen erzeugt. Dass genau diese Erwerbszentrierung es nur unter Inkaufnahme der Folgen vorsieht, ihr für eine gewisse Zeit nicht zu folgen, wenn man sich z. B. dazu entscheidet, mehr Zeit für Familie, für die Fürsorge für Angehörige oder andere Aufgaben zu haben, die nicht bezahlt werden, ignoriert Hüther einfach. Das kann man tun, sollte dann aber nicht verschweigen, welche Konsequenzen es für diese anderen Sphären des Zusammenlebens hat.
Zur Finanzierung:
„Finanzierbarkeit und Arbeitsanreize sprächen demnach für und nicht gegen die Einführung des Grundeinkommens. Zwei Argumente, die doch auf sehr wackeligen Beinen stehen. Orientiert man sich beispielsweise am Grundeinkommensmodell von Götz Werner in der Höhe von monatlich 1000 Euro, belaufen sich die Kosten auf mehr als das Doppelte der gesamten Staatsausgaben des Bundes, gar auf das Sechsfache der öffentlichen Bildungsausgaben – und das allein für die 68 Millionen in Deutschland lebenden Erwachsenen. Zieht man Beträge für Kinder hinzu erhöhen sich die Zahlungen entsprechend.“
Ja, was folgt nun daraus? Ist es finanzierbar oder ist es das nicht? Oder geht es eher darum, ob man dazu bereit ist, es zu finanzieren. Letzteres scheint hier der Fall zu sein.
Eine Schwäche, die alle Berechnungsversuche haben betrifft die Einnahmeseite. Da darüber nichts Verlässliches ausgesagt werden kann, wird nur die Ausgabeseite betrachtet. Aber was bedeutet ein BGE für die Einnahmeseite, welche Auswirkungen hat es auf Arbeitshaltung, Arbeitseffizienz und -effektivität? Das nicht zu beachten, würde darauf hinauslaufen zu behaupten, heute seien die Arbeitsbedingungen optimal, mit einem BGE kann es nur schlechter werden. Wenn nun aber ein BGE die Chance erhöht, dass Individuum und Aufgabe zueinanderpassen, hat dies Auswirkungen auf alle Leistungformen und damit auf die Einnahmeseite. Darüber hinaus wirkt ein BGE sich auf die Lebensführung im Ganzen aus, weil es die normative Bedeutung von Erwerbstätigkeit verändert, folglich auch damit zusammenhängende Phänomene wie demonstrativen Konsum, Krankheitsbilder usw. Wenn Hüther diese Seite, wie viele Kritiker des BGE, einfach übergeht, ist das unseriös.
Dann folgt ein interessanter Einwand zu Feldexperimenten:
„Das zweite Argument ist ebenfalls kaum haltbar, denn Experimente zum bedingungslosen Grundeinkommen haben einen grundsätzlichen Haken: Sie stellen keine authentische Institution dar, die Teilnehmern glaubwürdig einen lebenslangen gesellschaftsvertraglichen Überbau in Form von monatlichen Auszahlungen auf ihrem Konto bietet.“
Das stimmt, siehe hierzu auch meinen Kommentar.
„Ist das Experiment zu klein, könnten Teilnehmer wegziehen, ist das Experiment zu groß, könnte es beispielsweise durch ein Referendum wieder umgekehrt werden. Selbst wenn die Schweizer sich also für ein Bedingungsloses Grundeinkommen entschieden hätten, wer könnte ihnen garantieren, dass sie sich auch im Alter auf die entsprechenden Zahlungen verlassen könnten und sich der Volkswille nicht nach einigen Dekaden wieder in eine andere Richtung verschiebt?“
Das kann niemand garantieren, ist das aber heute anders? Wenn es den politischen Willen gäbe, die Rentenversicherung vollständig umzubauen, würden dadurch tatsächlich die erworbenen Ansprüche von Rentner vollständig geschützt? Würde es noch Grundsicherung im Alter geben, wenn der politische Wille dazu da ist, eine solche Leistung nicht mehr bereitzustellen? Es ist also eine Frage des politischen Willens – das ist immer die entscheidende Frage. Was soll uns der Einwand nun sagen?
Weiter geht es in dieser Passage:
„Die vorhandene Evidenz ist damit kaum zu interpretieren, die simple Forderung nach mehr empirischen Befunden greift aber ebenfalls zu kurz. Teilnehmer reagieren in beiden Fällen mit verzerrtem Verhalten auf die Experimente. Einen Test kann es praktisch nicht geben – die Einführung des Grundeinkommens bleibt eine Reise in die institutionelle Ungewissheit.“
Da hat Hüther in der Tat recht, denn die Experimente können uns nicht sagen, was tatsächlich geschehen wird. Das gilt gleichermaßen für Modellrechnungen? Nun müsste Hüther das aber auch auf seine Argumentation anwenden, denn wir wissen heute ebensowenig, wofür es morgen einen politischen Willen geben oder nicht geben wird. Gestaltung ist immer ein Gang ins Ungewisse, sei es als Gemeinwesen durch politische Entscheidungen, sei es als Unternehmer, sei es als Bürger, der sein Leben lebt. Was morgen kommt, wissen wir nicht, wenngleich wir uns auf Kontinuität verlassen.
Ist aber das BGE soweit entfernt von dem Leben, das wir heute führen? Bringt es so große Veränderungen mit sicht? Das ist eine verbreitete Behauptung, sonst nichts. Bei genauer Betrachtung ist das BGE nur eine konsequente Fortentwicklung des Sozialstaats, damit er endlich auf dem Fundament ruht, das heute schon für die Demokratie selbstverständlich ist: mündigen Bürgern, die ihre Leben leben, Verantwortung wahrnehmen und darum ringen, vernünftige Entscheidungen in ihrem Sinne und im Sinne des Gemeinwesens zu treffen. Würde das BGE daran etwas ändern? Nein. Es würde allerdings deutlicher werden lassen, wo überall diese Aufgaben liegen und wie unterschiedlich sie sind. Wenn also all das für ein BGE als Voraussetzung gilt, was heute schon der Fall ist, dann ist der Schritt eben nicht so groß, wie er scheint.
Hüther sieht das selbstverständlich anders, er schreibt dann:
„Unsere heutige Gesellschaft beruht auf der Maxime der Leistungsgerechtigkeit und der Fairness. Man kann sich durchaus andere Gesellschaftsformen vorstellen, die Besteuerung von Leistungseinkommen für leistungslose Einkommen ist jedoch keine davon. Zwar ist ein inhärenter Reformdruck auf den Sozialstaat zu spüren, und ein Grundeinkommen würde wohl der zunehmenden Bürokratisierung Rechnung tragen, die aus einer immer tiefergehenden Ausdifferenzierung der Arbeitswelt herrührt.“
Leistungsgerechtigkeit? Welche ist gemeint? Die Leistung der Familien, der Ehrenamtlichen? Selbstverständlich nicht. Hüther kennt nur eine Form des Leistungsträgers: den Erwerbstätigen. Wieviele Stunden pro Jahre wenden wir – um das in Erinnerung zu rufen – für nicht bezahlte Arbeit auf? Ach so, ja, 35% mehr Zeit für unbezahlte als für bezahlte Arbeit (siehe Statistisches Bundesamt). Wird diese Leistung denn in irgendeiner Form ernsthaft berücksichtigt und als gleichwertig erachtet? Nein. Ist das Leistungsgerechtigkeit? Wenn man es entsprechend hinbiegt und das reale Leben nicht beachtet.
Was ist nun riskant, das BGE oder der heutige Zustand? Mir scheint, es ist der heutige Zustand, der Leistung missachtet und so tut, als sei unbezahlte Arbeit einfach so da und selbstverständlich. Die Verschiebung, die statistisch beobachtbar ist, von unbezahlter zu bezahlter Arbeit macht allerdings deutlich, dass das eine auf Kosten des anderen geschieht. Wieviele Eltern – tatsächlich sind es zwar Mütter, es wäre wünschenswert, wenn es genauso Väter wären – sind denn heute bis zum Eintritt in den Kindergarten zuhause und konzentrieren sich auf die Bedürnisse der Familie? Und wieviele sind es danach? Ein Blick in die Betreuungsquote gibt Einblick darein? Wollen wir diese Degradierung von Familie und anderer unbezahlter Arbeit noch weiter treiben? Und die Folgen tragen?
Das BGE, im Unterschied zu heutigen Leistungen, würde es freistellen, wie Eltern dazu stehen. Erst dann könnten diese sich aber auch unbedrängt auf die Aufgabe einlassen, die Elternschaft darstellt. Dann würden wir sehen, wie sie ihre Prioritäten setzen. Heute drängen wir sie durch den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit in eine Richtung: Erwerbstätigkeit. Was dies mit dem Solidarzusammenhang unseres Gemeinwesens anstellt, können wir erahnen.
Sascha Liebermann