„Wer wissen will, ob und wie ein Grundeinkommen die Gesellschaft verändert, der muss es einführen“…

…schreibt Georg Vobruba, Professor em. für Soziologie an der Universität Leipzig, in einem Beitrag für den Standard aus Wien, in dem er sich mit der Grundeinkommensdiskussion auch von seiten der Befürworter beschäftigt. Er schreibt:

„I. Sollte es ein Grundeinkommen geben? Das Thema eignet sich gut, um grundlegende Fragen zu erörtern: Fragen der Menschenwürde, nach Anerkennung und gesellschaftlicher Integration, nach dem Sinn von Arbeit, nach der angemessenen Dimensionierung von Politik. Die Einführung eines Grundeinkommens beantwortet all diese Fragen keineswegs überzeugend. Aber die Forderung nach einem Grundeinkommen wirkt als gesellschaftspolitischer Lackmustest: Man erfährt viel über jene, die sich dazu zu Wort melden. Die Verwirklichung der Grundeinkommensidee aber bleibt in weiter Ferne. Woran liegt das? Die Diskussion befasst sich viel zu wenig mit Strategiefragen. Dieses Defizit hat die Grundeinkommensidee in eine Utopiefalle geführt.“

Weshalb sind die Antworten des Grundeinkommens – welches meint er? – nicht überzeugend? Das hätte man doch gerne näher gewusst, denn gerade auf die von ihm angeführten Aspekte der Menschenwürde, der Anerkennung und „gesellschaftlicher Integration“ wirft zumindest ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein interessantes Licht. Die Anerkennung der Person um ihrer selbst willen und um des Gemeinwesens willen würde sich darin in einer Weise zum Ausdruck bringen, wie sie heute nur in den Grundrechten des Grundgesetzes deutlich wird. Vobruba hat vollkommen recht, wenn er die Diskussion als Lackmustest bezeichnet, denn keine andere Diskussion wirft so grundsätzliche Fragen auf und bietet zugleich einen weitreichenden Vorschlag dazu, wie sie beantwortet werden könnten. Dennoch sieht er die Diskussion in der „Utopiefalle“. Hier würde man ebenfalls gerne genauer wissen, worauf er sich bezieht, denn in der jüngeren Diskussion seit etwa 2004 ging es von Anfang an auch darum, wie ein Einführung zu bewerkstelligen wäre. Die Diskussion verband und verbindet seitdem grundsätzliche Fragen mit pragmatischen. Dass es dabei zu überhöhten Erwartungen an das BGE kommt, dass wundersame Veränderungen des Zusammenlebens erhofft werden – das kommt ebenfalls vor, ist aber nicht „die“ Diskussion. Gleichwohl sollte nicht unterschätzt werden, wie sehr ein BGE genau der heutigen Lebensführung entspricht, die schon durch die schwergewichtige Frage, was der Einzelne mit seinem Leben anfangen soll, bestimmt wird. Das darauf mögliche Antworten durch den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit engeführt werden, sollte nicht übersehen lassen, dass die darunterliegende Frage die entscheidende ist.

Was schreibt er noch?

„II. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist kaum denkbar. Ich ziehe es darum vor, von einem „garantierten Grundeinkommen“ zu sprechen.“

Weshalb ist es nicht denkbar? Meint er vielleicht, es ist nicht durchsetzbar oder kann gegenwärtig keine Mehrheit finden? Das wäre aber etwas anderes und in der Tat richtig, denn eine Mehrheit gibt es bislang dafür nicht. Aber was folgt daraus? Aufhören? Vobruba bevorzugt die Bezeichnung „garantiertes“ Grundeinkommen, die aber keineswegs klarer ist als die Rede vom „bedingungslosen“ Grundeinkommen, zumal sich das Attribut „bedingungslos“ in der Diskussion auf etwas sehr Bestimmtes bezieht: die Leistungsbedingungen, die erfüllt werden müssen, um heutige Leistungen in Anspruch nehmen zu können.

„Tatsächlich lenkt die Bezeichnung „bedingungslos“ von unangenehmen Fragen ab. Zwei Einschränkungen der „Bedingungslosigkeit“ sind unvermeidbar. 1. Der Kreis der Berechtigten ist immer räumlich begrenzt. Die Forderung „Grundeinkommen für alle“ löst das Problem nicht, sondern verdeckt es. Ja, Ausschlüsse zu formulieren ist unangenehm. Aber ein Weltgrundeinkommen zu fordern ist eine billige Ausflucht.“

Allerdings ist der Kreis der Berechtigten einzuschränken, und zwar aus verschiedenen Gründen. Die Idee selbst ist zwar eine universalistische, ihre Realisierung aber immer von einem konkreten Gemeinwesen abhängig. Ein konkretes Gemeinwesen aber kann nur etwas einführen, über das es die Hoheit hat, also kann es das BGE nur in seinem Herrschaftsbereich (Rechtsgemeinschaft) einführen, nur dazu wäre es legitimiert. Über andere zu bestimmen, die außerhalb leben, steht ihm nicht zu. Das ist aber kalter Kaffee und in der Diskussion keinesweg strittig, nimmt man einen kleinen Kreis an Befürwortern aus, der ein globales Grundeinkommen fordert, ohne zu beantworten, wer konkret für wen mit welcher Legitimation diese Forderung stellt (siehe hier und hier). Wie Vobruba hatte kürzlich schon Ferdinand Knauß in der Wirtschaftswoche behauptet, vor dieser Frage drücke sich die Diskussion. Diese Diskussion wird aber ebenso seit 2004 geführt und ist gar nichts Neues, das erst zu erreichen wäre.

Vobruba entdeckt noch eine zweite Begrenzung der Bedingungslosigkeit.

„2. Ab welchem Alter soll man zum Bezug des garantierten Grundeinkommens berechtigt sein? Niemand kann sagen, welchen Einfluss ein Grundeinkommen im jugendlichen Alter auf die gesamte Biografie hätte. Immerhin ist denkbar, dass es die Ausbildungs- und Arbeitsorientierung stört. Dazu kommt, dass dieser Einfluss nicht erst mit dem Zeitpunkt der Auszahlung entsteht, sondern schon durch die Aussicht darauf, also viel früher.“

Wer etwas darüber in Erfahrung bringen will, wie ein BGE im Jugendalter wirken könnte, muss sich mit Bildungsprozessen beschäftigen und untersuchen, was in der Adoleszenz genau geschieht, wie Normbindung entsteht. Vorbruba geht davon aus, als gebe es das Phänomen jugendlicher Delinquenz heute nicht, das stimmt aber nicht. Wir können schon heute untersuchen, woher sie rührt und was in den Bildungsprozessen schief laufen muss, damit ein Jugendlicher sich nicht in das Gemeinwesen einbringen will. Ein BGE würde die Bedeutung von Erwerbstätigkeit auch nicht aufheben, es würde sie lediglich relativieren, ihr den im Gefüge anderer Aufgaben angemessenen Platz einräumen und sie nicht mehr über alles andere erheben. Dabei ist die Frage, um die es Vobruba geht, eine allgemeine Frage, die jeder für sich beantworten muss. Sie stellt sich im Zuge der Sozialisation jedem, teils vermittelt über die Eltern, die peer-group, die Bildungseinrichtungen, teils direkt durch die Struktur von Reziprozität, in der Anerkennung immer zugleich auch mit Verantwortung einhergeht. Letzlich läuft Vobrubas Frage darauf hinaus zu erklären, woher die Leistungsethik kommt, die für uns so selbstverständlich zu sein scheint. Kommt sie aus der normativen Verpflichtung, erwerbstätig zu sein? Die normative Verpflichtung spricht lediglich eine, wenn auch für die Anerkennung folgenreiche besondere Wertschätzung von Erwerbstätigkeit aus. Woher aber kommt die Sachbindung, die für eine Leistungsethik, die nicht in Geschäftigkeit enden soll, wichtig ist? Sachbindung ist Voraussetzung dafür, eine Aufgabe bewältigen zu können bzw. neue zu schaffen. Dabei muss folgendes beachtet werden. Jedes Gemeinwesen und jeder, der ihm angehört, wird in der Lebenspraxis mit drei Fragen konfrontiert (für eine grundsätzliche Darlegung, siehe hier), auf die er Antworten geben muss, die zugleich einer Begründung vor seinem Lebensentwurf und dem Gemeinwesen standhalten: 1) Generativität oder sexuelle Reproduktion: Damit ein Gemeinwesen fortbestehen kann, braucht es Nachwuchs, wie stehe ich dazu?; 2) Damit ein Gemeinwesen fortbestehen kann, benötigt es Güter und Dienstleistungen als standardisierte Problemlösungen, welchen Beitrag leiste ich dazu?; 3) Damit ein Gemeinwesen fortbestehen kann, bedarf es der Loyalität seiner Angehörigen, gemeinschaftliche Aufgaben gemeinsam zu lösen und füreinander einzustehen. Wie trage ich dazu bei?

Man könnte hier einwenden, dass sich doch kaum jemand diese Fragen so explizit stelle, doch empirisch ist das nicht zutreffend, die Form, in der sie sich gestellt und wie sie beantwortet werden, sind jedoch sehr unterschiedlich. Wer also auf die Frage, wie denn wohl ein BGE wirken würde, eine Antwort geben möchte, der muss sich damit beschäftigen, wie diese drei Fragen heute beantwortet werden, denn weder gibt es einen unmittelbaren Zwang zu Erwerbsarbeit es gibt nur eine normative Verpflichtung dazu, Einkommen durch sie zu erzielen. Damit ist aber noch nicht beantwortet, wie das konkret geleistet wird. Das Grundgesetz schützt die freie Berufswahl, die also niemandem abgenommen wird, und es schützt überhaupt die persönliche Entfaltung.

Wer also Fragen und Zweifel hat, muss zugleich auf die Gegenwart blicken, ob denn diese Zweifel nicht heute schon ebenso angebracht wären. Zweifel müssen auch heute schon begründet werden, wenn sie nicht in ihrer Abstraktheit einfach in der Luft hängen sollen (siehe hier und hier). Denn bezweifeln kann man alles zu jeder Zeit.

Vobruba schreibt weiter:

„All die guten Argumente, dass die Leute mit einem Grundeinkommen ohnehin weiterarbeiten würden, beziehen ihre Plausibilität aus einer bereits erfolgten Arbeitssozialisation, treffen also für Erwachsene der ersten Generation in einem „Grundeinkommenszeitalter“ zu. Für die Nachwachsenden lautet die Frage nicht: Werden ausreichend viele bereit sein, unangenehme, aber unvermeidbare Jobs zu übernehmen? Dieses Problem lässt sich mit ausreichend hohen Löhnen wohl lösen. Die entscheidende offene Frage ist vielmehr: Wie viele werden es überhaupt schaffen, in ein „tätiges Leben“ (Hannah Arendt) zu finden? Mit wohlmeinenden Verweisen auf die angeborene Kreativität ist es nicht getan.“

In der Tat wäre der Hinweis auf „angeborene Kreatitivät“ eine naive Ausflucht, der Hinweis auf „Arbeitssozialisation“ greift aber ebenfalls zu kurz. Wir müssen uns heute fragen, weshalb, diese „Arbeitssozialisation“ denn überhaupt so gut gelingt, das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Dazu reicht es nicht, auf die normative Stellung von Erwerbstätigkeit zu verweisen, die greift für weite Phasen der Sozialisation gar nicht, in denen aber die Grundlage für eine spätere Leistungsethik durchaus gelingt wird – im Spiel, der Welterschließung von Kleinkindern, der Auseinandersetzung mit Dingen um ihrer selbst willen. Das bleibt die tragende Seite der Leistungsethik, wenngleich die Leistung sich dann in einem bestimmten Rahmen entfalten soll.

Weiter heißt es:

„III. Das führt zu der großen Unsicherheit bezüglich der Frage, wie ein existenzsicherndes Grundeinkommen auf das Angebot an Arbeitskraft wirken würde. In diesem Punkt geht die Diskussion wild durcheinander. Hoffnungsvolle Erwartungen freigesetzter Kreativität stehen gegen düstere Prognosen einer allgemeinen Flucht aus der Arbeit. Die schulterzuckende Feststellung, es gebe eben unterschiedliche „Menschenbilder“, ist unbefriedigend. Jede sinnvolle Diskussion sollte mit dem Eingeständnis beginnen, dass man über die Wirkung eines Grundeinkommens auf die Arbeitsorientierung wenig weiß.“

Es kann in der Tat keine Auskünfte darüber geben, die etwas über tatsächliche Entwicklungen aussagen. Wer anderes behauptet, begibt sich auf das Terrain unseriöser Prognostik. Doch unseriös wäre es ebenso zu unterstellen, dass ein BGE eine vollkommen andere Welt erforderte als heute. Die grundsätzliche Frage ist doch, ob die Entstehung von Leistungsbereitschaft und Sachbindung heute eine andere Basis hat als sie es mit einem BGE hätten? Hierfür spricht in meinen Augen nichts. Leistung entsteht nicht, weil man Geld verdienen muss, um ein Einkommen zu haben. Sie setzt voraus, dass man bereit ist, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, also mit Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, ganz gleich, welche Anforderungen diese stellen. Erfolgreicher Unternehmer wird man nicht, weil man Geld verdienen muss, dann müsste es mehr davon geben und ebenso wird man keine gute Reinigungskraft, weil man Geld verdienen muss. Ohne Sachbindung an eine Aufgabe, ist das gewünschte Ergebnis nicht oder nur mit großen Abstrichen erreichbar. Es muss die Bedeutung dessen, was häufig als intrinsische Motivierung bezeichnet wird, ernster genommen werden, sie bildet sich im Zuge der Sozialisation in Abhängigkeit von den Bedingungen des Aufwachsens aus. Sie macht es erst möglich, das Aufgaben so erledigt werden können, dass damit auch Einkommen erzielt werden kann.

Vorbruba stellt dann Vermutungen darüber an, wie ein BGE wirken könnte:

„Immerhin, ein paar Vermutungen scheinen mir nicht ganz aus der Luft gegriffen. Durch ein Grundeinkommen geht das Angebot an Arbeitskraft insgesamt leicht, im unteren Einkommensbereich stärker zurück. Hier verteuert sich die Arbeit, weil das Grundeinkommen als Lohnuntergrenze wirkt. Das führt gemeinsam mit dem verringerten Angebot im unteren Einkommensbereich zu Lohnsteigerungen. Allerdings wird längerfristig ein Teil dieses Effekts wieder aufgehoben, weil die Nachfrage nach bisher niedrig bezahlter Arbeitskraft zurückgeht, da durch Automatisierung, Übertragung von Arbeit auf Kunden etc. Arbeitskraft eingespart wird. Manchmal wird das Gegenteil behauptet: Das Angebot an Arbeitskraft im Niedriglohnsektor bleibt gleich oder weitet sich noch aus, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich durch ein Grundeinkommen auf noch niedrigere Löhne einigen können.

Plausibel ist diese Vermutung allerdings nur bei Arbeiten, die in allererster Linie um ihrer selbst willen und nicht aus Einkommensinteresse verrichtet werden. Das setzt sehr spezifische, altruistische Arbeitsmotive voraus. In solchen Fällen wirkt ein Grundeinkommen also nicht als Lohnuntergrenze, sondern als Lohnsubvention. Dagegen ist eine allgemeine Zweckentfremdung eines Grundeinkommens als Lohnsubvention unplausibel.“

Diese Überlegungen klingen plausibel, sind aber nicht etwas, das sich in der Grundeinkommensdiskussion nicht finden würde. Vobruba erwähnt hier „spezifische, altruistische Arbeitsmotive“, diese gelten allerdings ebenso für Jugendliche oben. Wie entstehen diese Motive und würde ein BGE ihre Entstehung noch verstärken? Diese Frage scheint mir berechtigt, weil diese Motive heute durchaus verschüttet sein können unter der normativen Bewertung von Erwerbstätigkeit.

Treffend sind seine Anmerkungen zu Experimenten:

„IV. Wie gesagt: Das sind Vermutungen. Insgesamt weiß man hinsichtlich der Wirkung eines garantierten Grundeinkommens auf das Arbeitskraftangebot sehr wenig. Auch Experimente helfen nur bedingt weiter. Grundeinkommensexperimente, wie sie gegenwärtig zum Beispiel in Finnland durchgeführt werden, sind stets auf Zeit angelegt, und sie erfassen immer nur ausgewählte Gruppen der Bevölkerung. Das muss so sein (sonst wäre es kein Experiment, sondern die Einführung eines Grundeinkommens), schränkt aber ihre Aussagekraft gerade bezüglich des Angebots an Arbeitskraft ein.

Erstens hängen Reaktionen davon ab, ob man ein Grundeinkommen für die nächsten zwei Jahre (Experiment) oder für immer (Einführung) erwarten kann. Wer wird denn ernsthaft daran denken, aus einem Job auszusteigen, wenn er weiß, dass das Grundeinkommen demnächst wieder weg ist? Zweitens wird ein Grundeinkommen sehr unterschiedlich wirken, je nachdem, ob alle ein Grundeinkommen beziehen oder nur die Testgruppe. Keinesfalls lässt sich an einer Testgruppe ablesen, ob ein Grundeinkommen einen grundlegenden kulturellen Wandel anstößt. Alles in allem: Man kann mit unterschiedlichen Versionen eines Grundeinkommens ausgestattete Testgruppen untereinander vergleichen, nicht aber von Testergebnissen auf die Gesellschaft hochrechnen. Will man wissen, ob und wie ein Grundeinkommen die Gesellschaft verändert, muss man es einführen.“

Eines fehlt an dieser Stelle: Was ein solcher Text praktisch bedeutet, wenn er herausfinden soll, ob der Einzelne bereit ist, sich einzubringen, obwohl wir auf dieser Basis heute schon leben. Hier stellt sich abgesehen von methodischen Einwänden gegen Experimente die Frage, ob sie für die Frage, um die es hier geht, ein legitimes Mittel wären oder ob sich nicht gerade ein Misstrauen dagegen aussprächen, was heute schon Grundlage unseres Zusammenlebens ist? Siehe meine früheren Ausführungen dazu hier und hier.

Abschließend kommt Vobruba noch auf folgendes zu sprechen:

„V.Die unvermittelte Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen hat etwas stark Entlastendes. Man bewegt sich in der heilen Welt des Normativen: Erst wird ein schlechter gesellschaftlicher Ist-Zustand diagnostiziert, dann wird ihm ein Grundeinkommen als Soll entgegengesetzt. Wie aber kommt man politisch von hier nach da? Wenn sich ein Grundeinkommen nur mit einem großen Sprung einführen lässt, dann lässt es sich überhaupt nicht einführen.“

In der Tat ist es ein Phänomen in der Diskussion, die Gegenwart zu unterschätzen, das BGE als etwas zu betrachten, wovon wir noch sehr weit entfernt seien. Das halte ich für unangemessen, wie in den voranstehenden Ausführungen, so hoffe ich, deutlich geworden ist.

„Das ist die Utopiefalle. Um ihr zu entgehen, muss man die schrittweise Verwirklichung des Grundeinkommens ins Auge fassen. 1. Es erfordert Reformschritte, die unmittelbare Verbesserungen bringen und für die es politische Bündnispartner jenseits der Grundeinkommensszene gibt. 2. Man darf keinesfalls das Risiko eingehen, dass man bei den Schritten zur Einführung eines Grundeinkommens bei einem Zustand steckenbleibt, der schlechter ist als der gegenwärtige Status quo. Also: Jeder Reformtorso muss akzeptabel sein. 3. Das hat den Vorteil, dass sich schon an den Reformschritten in Richtung auf ein Grundeinkommen erkennen lässt, was damit beabsichtigt ist. So lässt sich das Durcheinander der weltanschaulich höchst unterschiedlich motivierten Vorschläge in der Diskussion praktisch auflösen.“

Ja, so ist es. Wer aber hat ernsthaft anderes behauptet? Risiken lassen sich nicht vermeiden, sicher, die Einführung kann steckenbleiben. Wenn das nicht gewollt ist, muss etwas dagegen unternommen werden. Die Richtung muss klar und deutlich sein, denn davon hängt ab, wie die Einführungsschritte gesetzt werden können. Denn selbst, wenn man der Überzeugung ist, dass das BGE bezogen auf unser politisches Ordnungsgefüge kein so großer Schritt ist, wie es scheint, so spielt für die Deutung der Lage eine erhebliche Rolle, wie die Bürger das Gemeinwesen in Deutschland selbst sehen und bewerten. Und da spielt eine ausgesprochen ambivalente Haltung zum „Staat“ eine große Rolle, die Tendenzen zur Selbstentmündigung sind groß, wenn es um das „Politische“ geht.

Sascha Liebermann