„Uninspiriert, mutlos, seltsam“ – Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses online

Susanne Wiest liegt nun die schriftliche Begründung vor, mittels derer der Petitionsausschusses empfahl, die Petition zum Grundeinkommen Ende Juni abzuschließen. Noch in letzter Minute versuchten einige Abgeordnete, eine Anhörung im Bundestag zu erreichen. Als das nicht gelang, gaben sie eine persönliche Erklärung ab. So wichtig dieser Versuch war, andere mit ins Boot zu holen, so sehr lässt er einen verwundert zurück. Weshalb wird erst im letzten Moment damit begonnen, Unterstützer zu gewinnen? Seit Anfang Juni war bekannt, wann die Bundestagssitzung statt finden wird. Sagt uns das etwas darüber, wie ernst oder nicht ernst das Thema genommen wird?

„Uninspiriert, mutlos, seltsam“ – so fasst Susanne Wiest ihre Eindrücke zur Beschlussempfehlung zusammen, wütend macht sie die Begründung (PDF der Beschlussempfehlung). Das ist nachvollziehbar, denn die Begründung versammelt eine Reihe von Vorurteilen, Illusionen über den heutigen Sozialstaat und vermeintliche Schwierigkeiten der Einführung eines BGE. Sie zeigt allerdings auch deutlich, wie wichtig gute und klärende Argumente für die Diskussion sind, denn die Ablehnung zeugt von widerstreitenden Gerechtigkeitsvorstellungen. Die damit verbundenen Einwände spiegeln insofern authentisch die öffentliche Diskussion wieder, niemanden, der mit ihr vertraut ist, werden die Einwände überraschen.

Es bedarf einer Solidargemeinschaft, die das BGE auch zu tragen bereit ist, und diese Solidargemeinschaft bildet sich als Gemeinschaft der Staatsbürger (siehe auch meinen Beitrag in diesem Band). Es zeigt sich in den Einwänden – ganz wie in der öffentlichen Diskussion -, dass genau dieser Zusammenhang im öffentlichen Bewusstsein wenig bis gar nicht verankert ist. Unser Selbstverständnis als Gemeinwesen ist eben, trotz aller bürgerschaftlichen Lebenszusammenhänge, kein bürgerschaftliches. Nur auf dieser Basis aber ist eine souveräne (nicht autarke) Gestaltung des gemeinschaftlichen Lebens möglich. An einer Stelle verweist die Beschlussempfehlung auf die Folgen der Einführung eines BGE angesichts der Verflechtung mit der Weltwirtschaft. Dies kann als Flucht vor Verantwortung gedeutet werden, denn auch heute stehen wir vor der Aufgabe, tragfähige Antworten auf Zuwanderung zu finden. Daran änderte sich durch ein BGE, nichts, es entsteht also kein neues Problem. Es lässt sich dieser Verweis auf die Weltwirtschaft ebenso als Selbstentmündigung lesen, weil er ängstlich auf die Anderen schielt, statt die Gestaltung des Gemeinwesens in die Hand zu nehmen.

Der immer wiederkehrende Verweis auf die Menschenrechte und die Menschenwürde, der sowohl in der Beschlussempfehlung als auch in der Grundeinkommensdebatte angeführt wird, ist im Verhältnis zum konkreten Zusammenleben abstrakt. Die Menschenrechte sind nur so lebendig und wirkungsvoll, wie sie in einem Gemeinwesen in alltägliche Lebensvollzüge integriert werden, wie sie gelebt werden. Die Menschenrechte werden erst durch ein Gemeinwesen wirkungsvoll, nicht ohne es. Dazu bedarf es eines politischen Gebildes als unabdingbarer Voraussetzung, der Nationalstaat mit der universalistisch definierten Staatsbürgerschaft ist genau ein solches. Das behagt einigen nicht, das Unbehagen ist aber nicht die Lösung, sondern das Problem. Wer souverän gestalten können will, kommt ohne den Nationalstaat nicht aus. Er ist nicht ein Missgeschick der Geschichte oder eine leider zu erduldende Unannehmlichkeit; er ist Inbegriff politischer Gemeinschaft und so Ausdruck davon, selbst gestalten zu können.

In der Empfehlung wird unter anderem mit der Einzelfallgerechtigkeit des heutigen Sozialstaats argumentiert und sie dem BGE gegenübergestellt. Das mag sich gegen den Petitionstext von damals richten, doch Frau Wiest hat über die Jahre – und deutlich genug in der Anhörung – ihre Position differenziert. Das BGE steht gar nicht gegen bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen, es stellt sie jedoch auf ein anderes Fundament und schafft Entlastung dort, wo heutige Bezieher tatsächlich nur Einkommensmangel haben und weiter nichts benötigen. Denn, wo eine Einkommenssicherung über den Bürgerstatus begründet wird, stellt sich auch die Bedürftigkeitsprüfung anders dar. Die stigmatisierenden Effekte des heutigen Systems würden aufgehoben, das kann als entscheidender Effekt gelten. Er resultiert aus der normativen Umwertung des Sozialstaats im Dienst der Bürger, d.h. nicht mehr Erwerbstätigkeit wird zum legitimierenden Grund für Einkommen, sondern Angehörigkeit. So rückt die Gemeinschaft der Bürger ins Zentrum.

Allerdings, das sollte nicht übersehen werden, zeigt sich in den Eigenheiten der Arbeitsagenturen und Jobcenter nicht bloß ein System, das auf Bedürftigkeitsprüfung setzt. Das gibt es in anderen Ländern auch und es geht durchaus anders dort zu. Die Eigenheiten, auf die Inge Hannemann aus ihrer Erfahrung als Arbeitsvermittlerin hingewiesen hat, sind ebenso Ausdruck eines Selbstverständnisses als Gemeinwesen, das die Bürger als Staatsbürger nicht achtet. So erklärt sich die teils übermäßig devote Haltung von Anspruchsberechtigten, teils die herablassende und bevormundende Haltung von Mitarbeitern. Wer immer weiß, was für den anderen gut ist, sieht ihn nicht.

Fehlen darf auch der Hinweis auf den Arbeitsanreiz in der Empfehlung nicht und ebenso die Vorstellung, Erwerbsarbeit sei ursächlich für gesellschaftlichen Reichtum. Ja, wer würde leugnen wollen, dass sie ihren Teil beiträgt? Doch sie als alleinige Grundlage zu sehen, übersieht eben alles jenseits der Erwerbsarbeit, ohne das wir nicht leben könnten (siehe hier und hier). Wieder einmal wird in der Empfehlung die Frage aufgeworfen, weshalb denn denjenigen, die es nicht brauchen, ein BGE bereitgestellt werden sollte? Fragen wir denn heute, weshalb dieselben Personen, die kein BGE erhalten sollen, heute den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer in Anspruch nehmen dürfen? Er leitet sich aus der Verpflichtung ab, ein Existenzminimum bereitzustellen (wie ALG II und andere Leistungen), in dem Fall hier: es unbesteuert zu lassen. Genau das ist der Anknüpfungspunkt für ein BGE – auch in dieser Hinsicht führt es nichts Neues ein, stellt es nur auf ein anderes Fundament.

Was nun, könnte man fragen? Frau Wiest hat aus der Art und Weise des Verfahrens Konsequenzen gezogen und erneut eine Petition eingereicht (siehe den Link oben). Die Beschlussempfehlung schickt sie an den Petitionsausschuss zurück. Was lassen sich für Lehren aus den Vorgängen zur Petition ziehen? Das Petitionsrecht ist defensiv, es bestärkt die abwartende Haltung der Bürger und kann durchaus Engagement unterlaufen. Solange die Bürger das BGE nicht zu ihrer Sache machen, wird es auch nicht kommen. Um dies zu erreichen, ist nötig, was den bisherigen Weg der Diskussion ermöglicht hat: öffentliche Debatte, sachlich, leidenschaftlich – aber nicht dogmatisch.

Sascha Liebermann

Ingrid Remmers (MdB, Die Linke) zum Umgang mit Petitionen

Die Rede von Ingrid Remmers legt zwar den Finger in eine Wunde, der, zugespitzt gesagt, doch noch immer vorherrschenden Geringschätzung der Bürger. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, dass diese Geringschätzung auch eine der Bürger durch sich selbst ist, hätten wir sonst längst andere Verfahren. Der Appell, der hier an die Abgeordneten gerichtet wird, müsste sich an uns Bürger richten, denn wer, wenn nicht wir, müsste darauf drängen, mehr Gehör zu erlangen. Zwar trifft es nicht zu, wie häufig zu hören, dass wir jenseits von Wahlen keinen Einfluss hätten – Demonstrationen gegen Stuttgart 21 beweisen das Gegenteil -, sie müssen nur genutzt werden. Volksabstimmungen allerdings bewirken etwas ganz anderes, sie machen Demokratie und Verantwortung der Bürger auf einfache Weise erfahrbar. Sie würden womöglich auf einen Schlag den „Markt“ der Umfrageindustrie einbrechen lassen, die in öffentlichen Debatten so häufig wie bare Münze herangezogen werden. Auch würden die vielen intellektuellen Berater, die sich im Politikbetrieb tummeln an Bedeutung verlieren, wenn die Bürger sich deutlich direkt artikulieren können. Volksabstimmungen als Votum der Bürger verschaffen Klarheit, eine Klarheit, die keine Umfrage nur annähernd erreichen kann, weil sie eben bloß eine Umfrage ist.

Damit es so weit kommt, damit wir uns zur Einführung von Volksabstimmungen als selbstverständlichem Instrument, entscheiden, müssten wir neben der Geringschätzung der Bürger noch etwas anderes aufgeben: Wahlergebnissen nur dann zuzustimmen, wenn sie den eigenen Ansichten entsprechen.

Sascha Liebermann

Petition zum Grundeinkommen – Einige Abgeordnete sprechen sich für Debatte im Bundestag aus

Vor wenigen Wochen berichteten wir darüber, dass die Petition von Susanne Wiest an den Deutschen Bundestag abgeschlossen werden soll. Der Petitionsausschuss hat dies mittlerweile getan. Nun ist der Bundestag in einem Sammelpaket mit anderen Petitionen, die der Petitionsausschuss zur Ablehnung empfohlen hat, der Empfehlung des Ausschusses gefolgt und hat die Petition abgelehnt. Aus diesem Anlass haben sich einige Abgeordnete (hier und hier) in einer Erklärung dafür ausgesprochen, eine Enquetekommission zum Bedingungslosen Grundeinkommen einzurichten (siehe auch den Artikel in Neues Deutschland). Susanne Wiest hatte schon zuvor einen Offenen Brief an den Deutschen Bundestag geschrieben, mit dem sie zum „Gegenwartsdialog“ einlädt.

„Petitionsausschuss will Petition zum Grundeinkommen abschließen“

Susanne Wiest weist auf diese Meldung hin, die der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündis 90/ Die Grünen) am 7. Juni über Twitter versandt hat. Vier Jahre sind seit Abschluss der Petitionszeichnung vergangen, beinahe drei Jahre seit der Anhörung im Petitionsausschuss. Was nun? Wie könnte jetzt verfahren werden? Dazu stellt Susanne Wiest Überlegungen an. Angesichts der laufenden, noch weniger verbindlichen Europäischen Bürgerinitiative zum Grundeinkommen (siehe hier und hier) muss für die deutsche Diskussion, noch mehr aber für die europäische gefragt werden, ob das der richtige, wirkungsvolle Weg ist, in Sachen Bedingungsloses Grundeinkommen etwas zu erreichen. Oder wird hier ein enormer Aufwand betrieben, der Kräfte bindet und letztlich wenig bewirkt?

Petitionsunwesen – ein Beitrag von Susanne Wiest

Susanne Wiest, die vor mehr als zwei Jahren im Petitionsausschuss angehört wurde zu ihrer Petition zum Bedingungslosen Grundeinkommen, hat wiederholt beim Petitionsausschuss nachgefragt, wie es um die Bearbeitung steht. Die Auskünfte, über die sie in ihrem Blog berichtet, sind interessant, aufschlussreich und bezeichnend. Sie geben zu erkennen, welchen Rang das Petitionswesen – und damit die Anhörung von uns Bürgern – hat: einen niedrigen. Um so mehr sollte über mehr direkte Einflussmöglichkeiten nachgedacht werden, Volksentscheide sind eine davon.

„Grundeinkommen vor dem Bundestag“ – Einladung zum Picknick

Aus dem Blog von Susanne Wiest:

„Herzliche Einladung zum Picknick vor dem Bundestag

Am Mittwoch, den 09.Mai 2012, ab 14.00 Uhr auf der Wiese vor unserem Bundestag.
Uns kennenlernen, wiedersehen, essen, trinken, so wir Glück haben in der Sonne sitzen, und uns weiter über das Thema bedingungsloses Grundeinkommen austauschen.
Bitte bringt mit, was ihr essen und trinken möchtet
und eine hübsche Decke… bis dann,
Liebe Grüße, Susanne Wiest…“

Frau Wiest hat auch an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages geschrieben, um zu erfragen, wie der Stand der Bearbeitung ihrer Petition ist.

Wer nicht zu diesem Picknick anreisen will oder kann, könnte zum öffentlichen Picknick am Ort, an dem er lebt, an einem geeigneten Platz, einladen.