Auf Ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Nürnberg haben sich die Grünen mit 432 zu 296 Stimmen gegen den Vorschlag eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ auf der Basis einer Negativen Einkommensteuer entschieden.
Um zu sehen, wo die Grünen stehen, ist es aufschlußreich, die Einwände gegen ein solches Grundeinkommen zu betrachten. Deutlich wird dann, dass die vehemente Kritik auch des Bundesvorstandes an den menschenverachtenden Äußerungen Oswald Metzgers (hier ein früherer Kommentar von uns zu seinen Äußerungen gegen das bGE) im Stern zwar angemessen ist. Doch, was die Kritiker gegen ihn ins Feld führen – ein dankbarer Gegner angesichts der schwierigen Lage des Bundesvorstandes – fällt bei genauerer Betrachtung auf sie zurück. Hinter dem ewigen Plädoyer für Bildungsinvestitionen und einem „angemessenen“Fördern lugt dasselbe Gängelband hervor, das auch Herr Metzger nicht aufgeben will. Alle wohlmeinenden Absichten (siehe Beschluss des Bundesvorstands), wie die, den Menschen aus Armut herauszuhelfen, durch Bildung ihre Chancen zu erhöhen, in den Arbeitsmarkt zurückkehren, sie nicht „stillzulegen“ (wie es angeblich ein bGE tue) usw. usf. halten an der bevormundenden Sozialpolitik fest, gegen die sie sich wenden. Im Beschluss heisst es z.B. auf 13:
Wir verstehen die Grundsicherung als einen Rechtsanspruch, nicht als Almosen.
Das galt sowohl für die alte Sozialhilfe, wie es auch für ALG II gilt. Nicht durch ein Bekenntnis wird Stigmatisierung beseitigt, sondern in dem der Status des Beziehers geändert wird. Erst ein bGE räumt mit dieser Stigmatisierung auf.
Weiter heißt es im selben Absatz:
Ihren Anspruch müssen Bedürftige ohne Diskriminierung oder Gängelung durch die Behörden in einem leicht verständlichen Verfahren geltend machen können. Die Würde der AntragstellerInnen muss dabei immer gewahrt bleiben. Niemand soll mehr aus Scham oder Angst vor Ämtern in Armut leben müssen.
Auch dies ein schönes Bekenntnis. Dass aber gerade die Stigmatisierung aus der allgemeinen Erwerbsverpflichtung herrührt und in der Beantragung, will man etwas beziehen, deutlich wird, eine Einsicht in diesen Zusammenhang scheint weit entfernt.
Auf Seite 16 heißt es dann:
Statt Arbeitslose zu gängeln und zu bestrafen, müssen ihnen die VermittlerInnen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Jede und jeder ist so zu fördern, dass eine reelle Chance auf Integration in den Arbeitsmarkt besteht.
Auch hier wird nur rhetorisch wiederholt, wozu sich schon zuvor bekannt wurde. Die Arbeitsvermittlung ist keine Beratungsdienstleistung, die jemand freiwillig aufsucht. Er sucht sie auf und er muss sie aufsuchen, um seinen ALG I-Anspruch geltend zu machen. Über diese Zusammenhänge belehrt jede Vorladung zum Gespräch, die tatsächlich eine Einladung ist. Eine Beratungsleistung, die im Rahmen der Erwerbsverpflichtung des Leistungsbeziehers angeboten wird – und daran rüttelt alle Umgestaltung innerhalb der jetzigen Vergabeprinzipien nichts, auch nicht die Erhöhung der ALG II-Regelsätze – ist keine Beratung im strengen Sinne, die wahrzunehmen man auch unterlassen kann. Die Stigmatisierung, die schon zu Zeiten der alten Sozialhilferegelungen dazu führte, dass einige ihre Ansprüche aus Scham nicht angemeldet haben, bleibt aufrechterhalten. Alle Sprachkosmetik ändert daran gar nichts, wenn auch die taz das glaubt.
Wer mit der Stellung der Bürger in unserem Gemeinwesen ernst machen will, muß dem Einzelnen die Möglichkeit geben, sein Leben mehr in die Hand zu nehmen als heute. Dazu benötigt er aber ein Einkommen, das ihn zu nichts drängt. Solange der Einzelne nicht die Wahl hat, solange Bildungsanstrengungen sich am ersten Arbeitsmarkt orientieren, solange ist es ihm nicht überlassen, sich bilden zu wollen. Bei all den Diskussionen um Bildungsinvestitionen wird eine Frage von der Klärung ausgespart: Geht es um Bildung an einer Sache um ihrer selbst willen, die dann zugleich Bildung der Persönlichkeit ist oder um Bildung bezogen auf einen Beruf. Letzteres ist immer mit dem Zweck verbunden, im Arbeitsmarkt höhere Chancen zu haben und dann doch nicht frei von der Erwerbsorientierung.
Ob, wie ein Delegierter aus Dortmund sagte, eine Frau sich von ihrem Mann an den Herd schicken lasse, weil sie ein bGE erhält, das sei doch ihre Sache. Genauso könne sie ihren Mann an den Herd schicken, denn auch er erhalte eines – auf jeden Fall müssen sie das selbst verantworten, es gehe also letztlich darum, diese Entscheidung dem Einzelnen zu überlassen. Auch, wie eine Delegierte aus Schleswig-Holstein berichtete, das Engagement einer Frau, die zuerst ihre Kinder groß gezogen habe und sich nun um die Pflege ihrer Schwiergereltern und ihrer Mutter kümmert, müsse anerkannt werden. Pflegen kann sie diese nur, weil ihr Mann ein Einkommen erzielt – mit einem bGE hingegen können sich beide diese Aufgabe teilen und erst mit einem bGE wird diese Pflege auch als für unser Gemeinwesen wichtiger Beitrag anerkannt.
So ermutigend es für alle Befürworter eines bGEs ist, dass nun eine Bundesdelegiertenkonferenz sich damit beschäftig hat, so sehr muss weiter für die Verbreitung der Idee und das Ausräumen von Vorurteilen gestritten werden. Auch hier gilt: die Diskussion hat noch gar nicht richtig angefangen.
Sascha Liebermann