Joachim Mitschke ist verstorben,…

…der sich schon sehr früh für ein Bürgergeld einsetzte, das allerdings ganz anders konstruiert war als das heutige und dem Prinzip einer Negativsteuer entsprach (siehe Nachruf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke); ein weiterer älterer Beitrag bei Spiegel Online; eine Kontroverse zwischen Mitschke und Andrea Nahles aus dem Jahr 2006 finden Sie hier; siehe auch „Bürgergeld für mehr Arbeitsplätze“).

Im Jahr 1999 nahm Mitschke an einer Tagung in Frankfurt am Main teil, aus der ein Buch hervorging. Neben seinem Beitrag und dem des Soziologen Ulrich Oevermann ist auch ein Streitgespräch beider auszugsweise abgedruckt, das noch für die heutige Diskussion sehr interessant ist. Es zeigt sich darin der grundsätzlich unterschiedliche Zugang zur Frage, wie auf die damals hohe Erwerbslosigkeit geantwortet werden könnte. Während Mitschke hervorhebt, wie wichtig Erwerbsarbeit sei und selbst Erwerbslose keinesfalls erwerbslos bleiben wollen, argumentiert Oevermann mit der Selbstbestimmung und den Möglichkeiten eines Grundeinkommens. In diesem Streitgespräch tauchen schon viele Aspekte der kontroversen Diskussion um ein BGE auf, das erst einige Jahre später eine bedeutende Rolle in der öffentlichen Debatte spielen sollte.

Mitschkes Haltung ist – wie an seinen Ausführungen zu erkennen – von echter Sorge um diejenigen geprägt, die im Arbeitsmarkt kein Unterkommen finden und den Folgen, die das für den sozialen Frieden haben könnte. Oevermann hingegen hält es für problematisch, Erwerbstätigkeit zu subventionieren, anstatt die Bürger grundsätzlich abzusichern und ihnen andere Möglichkeiten zu verschaffen.

Sascha Liebermann

Ein Grundeinkommen nur für jene mit niedrigen Einkommen?

Elli von Planta, eine der Initianten der aktuellen Eidgenössischen Volksinitiative zum Bedingungslosen Grundeinkommen, äußerte sich in einem Interview für die Plattform elleXX, das interessant zu lesen ist. Überraschend ist folgende Passage:

„[elleXX] Wie sieht euer Konzept aus?

[von Planta] Das Grundeinkommen soll wie eine Versicherung gegen Armut, Abhängigkeit und Angst wirken. Erhalten sollen es nur jene, die kein oder ein sehr tiefes Einkommen haben. Besonders profitieren würden Frauen, denn die Care-Arbeit würde endlich wahrgenommen und gewürdigt. 55 Prozent der geleisteten Arbeit in der Schweiz wird heute unentgeltlich erbracht. 96 Prozent dieser unbezahlten Arbeit betrifft die Haus- und Betreuungsarbeit. Unsere Gesellschaft und Wirtschaft könnten gar nicht existieren ohne diese Care-Arbeit.“

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Normative, nicht psychologische Differenz – letztere verweist auf erstere, es geht darum, wie Handeln bewertet wird

Normen (siehe auch hier) sind andere Realitäten als psychische Dispositionen, die Bewertung von Handeln durch Normen ist also etwas anderes als die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten durch eine Person aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur. Diese Differenzierung wird häufig nicht beachtet und führt zu unangemessenen Schlussfolgerungen, so auch in der Gleichsetzung von Negativer Einkommensteuer und Sozialdividende. Dass diese Unterscheidung kaum beachtet oder auf psychologische Differenzen reduziert wird, lässt erahnen, dass die Bedeutung von Normen und Regeln vollkommen unterschätzt wird. Das ist wiederum für die BGE-Diskussion aufschlussreich, wenn es darum geht, etwaige Auswirkungen zu ermessen, denn die entscheidende Umwertung, die ein BGE vornimmt, ist normativer Art, sie hebt den heute bestehenden Widerspruch zwischen Demokratie und Sozialstaat auf.

Sascha Liebermann

„AfD-Spitze will Grundeinkommen“ – meldeten verschiedene Medien,…

… die Süddeutsche Zeitung erklärt wieder einmal, es handele sich eigentlich um eine Idee „linker Parteien und Organisationen“. Dass dies keineswegs so ist und gerade in der Diskussion zumindest um ein Bedingungsloses Grundeinkommen übliche Lagergrenzen überschritten werden, ist jedem bekannt, der regelmäßig darüber liest. Dass in der AfD auch schon ganz oben gegen ein Grundeinkommen gewettert wurde, darauf macht die SZ aufmerksam. Worum geht es denn jetzt genau? Irritierend ist schon, dass es zwar um ein Grundeinkommen für Deutsche, was heißen muss, deutsche Staatsbürger geht, Arbeitslose es aber nicht erhalten sollen. Dass es für Nicht-Staatsbürger einer Regelung bedarf, scheint auch die AfD nicht auszuschließen, denn auch heute bedarf es eines Aufenthaltsstatus, also bestimmter Bedingungen, um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können – das gilt auch für EU-Bürger. Wenn jedoch Erwerbslose davon ausgeschlossen sein sollen, hat es mit einem BGE nichts zu tun. Auch handelt es sich um ein Grundeinkommen in Gestalt einer Negativen Einkommensteuer (siehe auch hier), was ebensowenig mit einem BGE identisch ist.

Das Konzept geht auf das AfD-Mitglied René Springer zurück, siehe die Broschüre Staatsbürgergeld, darüber hatten wir schon einmal berichtet, siehe hier.

Sascha Liebermann

Ist eine vorab ausbezahlte negative Steuer „nicht eigentlich ein Grundeinkommen mit Sozialdividende“?

Der Unterschied besteht darin, ob der vorab ausgezahlte Betrag zu einem bestimmten Zeitpunkt noch ins Verhältnis zu anderen Einkommen gesetzt und mit ihnen verrechnet wird oder ob das grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Wird er ins Verhältnis gesetzt, ist der Betrag immer von anderen Einkommensarten abhängig und schmilzt mit deren Zunahme ab. Damit wird aber, da Erwerbseinkommen der empirische Regelfall ist, das Erwerbsgebot aufrechterhalten. Trennt man beides voneinander, wird das Erwerbsgebot in seiner Vorrangstellung relativiert. Das erst wäre ein Bruch mit dem heutigen Gefüge. Entscheidend ist also die normative Grundierung, welches Handeln wie gewichtet wird.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen, Negative Einkommensteuer – die normative Seite muss betrachtet werden…

…denn vom verfügbaren Einkommen aus betrachtet, scheint es auf dasselbe hinauszulaufen, normativ jedoch nicht. Im Fall einer Negativen Einkommensteuer (NES) wird das Mindesteinkommen immer in Relation zu Erwerbseinkommen gesetzt, bei Zunahme des letzteren schmilzt ersteres ab. NES und Erwerbseinkommen werden stets ins Verhältnis zueinander gesetzt. Damit bleibt das Mindesteinkommen durch NES eine Antwort auf Einkommensmangel. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen setzt anders an, es fragt nicht, ob ausreichend Einkommen vorhanden ist, vielmehr wird es in Absehung davon bereitgestellt und nicht durch direkte Besteuerung abgeschmolzen. Zwischen BGE und Erwerbseinkommen besteht keine Abhängigkeit, in der NES ist das sehr wohl der Fall. Das ist der entscheidende normative Unterschied, denn ein BGE hebt den Vorrang von Erwerbstätigkeit auf, d. h. das Gebot Erwerbstätigsein zu sollen und diese Tätigkeit als besondere herauszuheben. Die NES macht das nicht, weil Erwerbseinkommen stets den Vorrang behält. Es ist eine der Feinheiten in der BGE-Diskussion, dass dieser Unterschied häufig nicht beachtet wird. Wenn es keine normative Direktive mehr geben soll, die über die Wertigkeit von Handeln bestimmt, muss die Person um ihrer selbst willen Anerkennung finden und nicht in Relation zum Erwerbsstreben. Das leistet nur ein BGE, nicht eine NES.

Sascha Liebermann

„Das bessere Grundeinkommen“ – oder: keinen Sinn für normative Differenzen…

…so könnte man Roman Pletters Beitrag auf Zeit Online übertiteln, der im Original nur aus dem zitierten Teil des Titels besteht. Er beschäftigt sich mit der BGE-Diskussion, den Lagern und Alternativen, die keine Überschreitung des heutigen Sozialstaats verlangen. Die Frage, wie es zu Veränderungen kommen kann, die langfristig wirklich hilfreiche Lösungen für die Herausforderungen des Lebens darstellen, ist berechtigt. In der Tat benötigt man dafür Mehrheiten und ebenso richtig ist, dass es Vorschläge gibt, mit denen das einfacher wäre als mit anderen. Wer also mit dem Erwerbsgebot nicht brechen will, findet Möglichkeiten innerhalb des erwerbszentrierten Sozialstaats: höhere bzw. anders konstruierte bedarfsorientierte Grundsicherungsleistungen, geringere Transferentzugsraten (dass sich Zuverdienst „lohnt“), eine andere Absicherung von Kindern (Kindergrundsicherung) usw. Wenige Passagen seien hier zitiert, um die Stoßrichtung seiner Überlegungen deutlich zu machen. Gegen Ende schreibt er:

„Um die Stigmatisierung aus dem Hartz-IV-System zu vermeiden, muss nicht gleich die Pflicht zur Gegenleistung wegfallen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Auszahlung in Zukunft über Finanzämter organisiert würde: Wer wenig verdient, kann wie in den USA eine Steuergutschrift bekommen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man eine Aufstockung des Lohns beantragt – oder ob man sich eine Steuererstattung holt, um ein Grundeinkommen zu erreichen.“

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Gegen Stilllegung durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen und zugleich Bürgerengagement stärken? Widersprüche in Daron Acemoglus…

Beitrag bei Internationale Politik und Gesellschaft. Im Original spricht der Titel davon, dass Universal Basic Income eine „bad idea“ sei, die Passage über „Brot und Spiele“, aus der der deutsche Titel gezimmert ist, findet sich dort am Ende. Die Übersetzung verschiebt den Fokus des Beitrags also zu Beginn schon auf die Stilllegungsprämie in der deutschen Diskussion. Der Autor, ein bekannter Professor für Wirtschaft am MIT in Boston, wartet dann jedoch mit Einwänden auf, die mindestens einseitig sind. Ausgaben für ein Bedingungsloses Grundeinkommen stellt er nicht mögliche Einnahmen und andere positive Auswirkungen gegenüber. Dann schreibt er:

Gegen Stilllegung durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen und zugleich Bürgerengagement stärken? Widersprüche in Daron Acemoglus… weiterlesen