Statuserhalt oder Gleichheit der Bürger?

Welche dieser Aufgaben ein System sozialer Sicherung erfüllen muss, diese Frage stellt sich seit der Agenda 2010, aber auch durch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von neuem. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter der Regierung Schröder hat zwar einen Schritt dahin unternommen, die Gleichheit der Bürger als Prinzip sozialer Sicherung zu stärken, sie hat es aber auf eine Weise getan, die den Schritt nach vorne mit einem zurück verbindet. Zugleich ist das Arbeitslosengeld als Transferleistung, die im Verhältnis zum Erwerbseinkommen bezahlt wird, beibehalten worden. Konsequent ist dies, da sich die Sicherungssysteme am Erwerbsprinzip orientieren und nach wie vor einen deutlichen Unterscheid zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen vollziehen, der bis in den Rentenanspruch hineinreicht. Ist aber diese Unterscheidung einem bürgerschaftlichen Gemeinwesen angemessen?

Diskutiert man z.B. mit Vertretern von Gewerkschaftern, dann richtet sich ein Einwand gegen das BGE der (Einkommens-) Gleichmacherei von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, es geht hierbei vor allem um den relativ großen Abstand (für alle, die ein hohes Erwerbseinkommen beziehen) zwischen dem heutigen Arbeitslosengeld und einem BGE (1). Außerdem, ein weiterer Einwand, sei das BGE selbst in ausreichender Höhe etwa von 1000 € (Achtung Hausnummer) nicht hoch genug, um jemanden in die Lage zu versetzen, eine Stelle wegen schlechter Arbeitsbedingungen aufzugeben (2). Die Freiheitsversprechen, die BGE-Befürworter im Munde führen, werden also nicht erfüllt.
Aus Sicht eines BGEs aus dem Geiste einer die Bürger als Souverän anerkennenden Einkommensgarantie lässt sich hierzu folgendes erwidern.

  1. Welchen Lebensstandard oberhalb eines kulturellen Existenzminimums jemand erreichen will, ist eine private Entscheidung. Sie hat er auch als private Entscheidung zu verantworten. Wer also unter Bedingungen eines BGEs sich gegen eine Arbeitsstelle entscheidet, muss den Statusverlust in Kauf nehmen, der aufgrund der Differenz zwischen Erwerbseinkommen und BGE womöglich entsteht. Aber: Die Gewährung des BGEs pro Kopf, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, von der Wiege bis zur Bahre verändert die Lage. Denn selbst bei Statusverlust bleiben Freiräume erhalten, sofern das BGE ausreichend hoch ist. Selbst für Alleinlebende würde das BGE solche Freiräume erhalten.
  2. Ob jemand Freiräume, die ein BGE verschafft, nutzen wird, ob er also eine Stelle aufzugeben bereit ist, hängt auch davon ab, wie wichtig dem Einzelnen Freiheit und Selbstbestimmung auf der einen und Lebensstandardsicherung auf der anderen Seite sind. Wer Freiheit stärker gewichtet, wird auch bereit sein, einen etwaigen Statusverlust in Kauf zunehmen; wer hingegen Statussicherung für wichtiger erachtet, der wird auch widrige Arbeitsbedingungen womöglich akzeptieren, ganz gleich wieviele Freiräume er hat.

Mit der Diskussion um ein BGE sind also grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die unser Selbstverständnis als Gemeinwesen betreffen. Das BGE in seinen Auswirkungen macht nicht, wie manche Gewerkschafter glauben, vor den Werkstoren halt. Da es Arbeitnehmern größere Verhandlungsmacht verleiht, wird es sich mittelbar auf die Arbeitsbedingungen sei es in Unternehmen, sei es in öffentlichen Einrichtungen auswirken. Wie sehr es sich auswirken wird, hängt von uns Bürgern ab – wie alles andere auch.

Sascha Liebermann

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