Auf ihrem Bundesparteitag in Neumarkt hat sich die Piratenpartei für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, siehe den Beschluss „Arbeit und Soziales. Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn“. Angesichts der Äußerungen des Parteivorsitzenden Schlömer, der von einem Grundeinkommen beim Einstieg von 100 bis 200 Euro sprach, das dann schrittweise auf 400 erhöht werden könne, stellt sich die Frage, was der Beschluss nun tatsächlich bedeutet. „Existenzsichernd“, wie es im Beschluss heißt, lässt weiten Spielraum für Interpretationen. Zudem werden einige weitere Forderungen aufgestellt, die den Eindruck hinterlassen, alle von der Idee eines BGE geprägt zu sein, nicht aber konsequent weitergeführt zu sein.
Sich für einen bundesweit geltenden, gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen, den die Piratenpartei auch früher schon gefordert hat, bis das BGE eingeführt ist, kann zwiespältig sein. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, ein gewisses Mindesteinkommen als Untergrenze zu erklären angesichts von Niedriglöhnen. Auf der anderen kann dieser Übergang auch in eine Sackgasse führen. Denn, entweder wird der Mindestlohn eingeführt, ohne dass es schon Mehrheiten für das BGE gibt, das wäre die Sackgasse, die drohte, weil der Mindestlohn das Erwerbsideal befestigt und es nicht aufgibt. Von ihm führt kein Schritt notwendig zum BGE. Oder die Mehrheit für ein BGE ist da, dann bedürfte es keiner großen Übergänge mehr, also auch keines Mindestlohns (siehe meine Kommentare zu dieser Frage hier und hier). Was der Fall sein wird, lässt sich jedoch nicht voraussehen, insofern ist eine solche Festlegung auch eine Selbstknebelung. Ganz abgesehen davon ist, ob denn ein Mindestlohn tatsächlich die Auswirkungen hätte, die seine Befürworter damit verbinden. Eines ist sicher: Mindestlohn und BGE wohnen unterschiedliche, ja gegenläufige Ideale inne, das erstere wertet Erwerbstätigkeit besonders auf, das letztere will sie mit anderen Tätigkeiten gleichstellen.
Die Vorsicht in der Einführung eines BGE, mit einem niedrigen Betrag zu beginnen, ist zwar verständlich, wenn die Vorbehalte gegen ein BGE berücksichtigt werden, nicht aber, wenn die heutige Lage genauer betrachtet wird. Da es einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer gibt (darauf wird im Beschluss hingewiesen, aber nicht die Konsequenz daraus gezogen), der Steuerpflichtigen das Existenzminimum unbesteuert lässt, und dem wiederum die existenzsichernden Leistungen nach dem SBG II korrespondieren, ist es unverständlich, weshalb mit einem niedrigen BGE angefangen werden soll. Weshalb nicht einen Ausgangspunkt nehmen, der schon da ist, nämlich den Grundfreibetrag? Dieser Beginn wäre viel einfacher, zugleich folgenreicher als eine Erhöhung des Regelsatzes im ALG II, wie es die Piratenpartei vorsieht. Dasselbe gilt für die Einführung eines „Bildungsgrundeinkommens“, das, wenn es an Bildungsvorhaben geknüpft bliebe, nur ein umbenanntes, womöglich liberaleres Bafög wäre – je nach dem, wie es ausgestaltet würde. Ein BGE hingegen würde hingegen die Zweckbindung aufgeben und nicht nur denselben Zweck erfüllen wie ein Bildungsgrundeinkommen, es würde weit darüber hinausreichen.
Eine Forderung wie diese: „Kindererziehung und Erwerbstätigkeit müssen für beide Elternteile gleichermaßen miteinander vereinbart werden können“ ist in heutigen Zeiten wohlfeil und zugleich eine Floskel. Familie und Beruf lassen sich nicht „vereinbaren“ (siehe meine Kommentare dazu hier und hier).
In demselben Beschluss spricht sich die Piratenpartei für „die Abschaffung und sofortige Nichtanwendung“ der Sanktionen bei Hartz IV aus – eine klare Aussage, die von keiner Partei auf Bundesebene außer der Linkspartei bislang gemacht wurde, auch nicht von Bündnis 90/ Die Grünen.
Dass auch die Frage von Leiharbeit sich ganz anders darstellte als heute, wenn einmal ein BGE eingeführt wäre, wird in dem Beschluss nicht deutlich gemacht. Manche Diskussion könnten wir uns sparen, gäbe es ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, um auf Erwerbsarbeit verzichten zu können.
Sascha Liebermann