Otto Lüdemann, Mitglied im Hamburger Netzwerk Grundeinkommen und im „Bürgerausschuss“ der Europäischen Bürgerinitiative Grundeinkommen (EBI), hat sich mit einem offenen Brief an Sascha Liebermann gewandt. Veranlasst haben ihn dazu seine Ausführungen zum Abschluss der Europäischen Bürgerinitiative Grundeinkommen. Hier nun die Antwort von Sascha Liebermann:
Lieber Herr Lüdemann,
vielen Dank für Ihre – und die Ihrer Mitstreiter (am Ende ist von „wir“ die Rede) – offenen Worte, auf die ich gerne antworte. Offenbar bestehen Differenzen darin, wie Sie auf der einen und ich auf der anderen Seite das Vorhaben sowie den Ausgang der EBI beurteilen und welche Schlüsse wir daraus ziehen.
Sie schreiben an einer Stelle:
„Niemand kann doch leugnen, dass das Sammeln von 285 000 Unterschriften aus 28 EU-Ländern innerhalb eines Jahres wie auch das Entstehen von BGE-Initiativen in 24 dieser Länder die Grundeinkommensbewegung in Europa einen entscheidenden Schritt vorangebracht haben“.
Gegen diese Einschätzung habe ich gerade Bedenken vorgebracht. Sie richten sich auch gegen die Gewissheit, mit der über die Zukunft geurteilt wird. Es wäre zu wünschen, dass daraus, über die EBI hinaus, vielfältiges, anhaltendes Engagement hervorgeht, wissen können wir das aber nicht. Die Erfahrung aus zehn Jahren deutscher Diskussion und einer sehr erfolgreichen Petition von Susanne Wiest haben mich gelehrt: Online erbrachte Unterschriften führen nicht unmittelbar zu anhaltendem Engagement, genauso wenig wie Link-Tauschs, Facebook-Likes oder Avaaz-Petitionen. Lokal aktive Initiativen, die die Auseinandersetzung mit den Bürgern von Angesicht zu Angesicht suchen und um die Idee werben – auf sie kommt es vor allem an. Eine weitere Lehre aus diesen Jahren ist: Nicht jedes weitere Bündnis verheißt zugleich einen Fortschritt für die Debatte. Wichtig ist, das Pluralität erhalten bleibt und gefördert wird, dafür sind Bündnisse nicht ohne weiteres hilfreich. Ob die Diskussion also vorankommt, wird sich zeigen müssen, wünschenswert ist es allemal.
Gegen meine Überlegungen zum Online-Sammelsystem wenden Sie ein, „dass die Menschen in einem kleinen Land eben leichter zu mobilisieren sind als in einem großen (so wie sich ein kleines Boot im Wasser leichter bewegen lässt als ein Ozeanriese); auch fehlt es Deutschland an einer Volksabstimmungstradition, die in der Schweiz bereits mehr als eineinhalb Jahrhunderte währt.“
Trifft Ersteres zu? Die Volksinitiative in der Schweiz war kein Selbstläufer und hatte zu Beginn erhebliche Schwierigkeiten, Unterschriften zu erhalten – trotz langer Tradtion. Den Umschwung brachte erst ein anderes, gelasseneres, jüngeres Engagement in Gestalt der „Generation Grundeinkommen“. Darauf wollte ich aufmerksam machen, die Art und Weise, wie Unterschriften gesammelt wurden. Außerdem haben oder hatten wir in Deutschland relativ zur Schweiz viel mehr lokale Initiativen in den Jahren vor der Volksinitiative. Selbstredend fehlt es in Deutschland an einer solchen Tradition wie in der Schweiz. Die Petitionen von Frau Wiest (etwas 52 Tsd.) und Frau Hannemann (etwa 90 Tsd.) haben allerdings gezeigt, was möglich sein kann. Das wirft die Frage auf, weshalb nicht mindestens diese Unterschriftenzahl erreicht worden ist und sie verlangt Antworten.
Ein Missverständnis scheint mir dort vorzuliegen, wo Sie meine Anmerkungen zur Unverbindlichkeit der EBI auf den Begründungstext bzw. das Verfahren beziehen. Darauf zielte ich gar nicht. Mir ging es um die Unverbindlichkeit dessen, was damit erreicht werden kann. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem demokratischen Legitimationsdefizit der EU. Im Charakter der EBI als solcher kommt es ebenso zum Ausdruck. Sie ist laut Darstellung der EU lediglich eine „Aufforderung an die Europäische Kommission“, auf die hin im besten Falle „… die Kommission eine formelle Antwort [gibt, SL], in der sie erläutert, ob und welche Maßnahmen sie als Antwort auf die Bürgerinitiative vorschlägt, und die Gründe für ihre – möglicherweise auch negative – Entscheidung darlegt“. Sie initiiert also keinen Gesetzgebungsakt – wie z.B. in der Schweiz – , sie ist lediglich ein Gesuch. Wer angesichts der Lage diese oder irgendeine ECI unterzeichnet, bringt sein Einverständnis mit diesem unverbindlichen Charakter zum Ausdruck, er nimmt ihn hin. Wer sich damit nicht abspeisen lassen will, unterschreibt – ganz konsequent – nicht. Das Scheitern der ECI könnte von daher auch als Erfolg in Sachen Bürgersinn verstanden werden: die Bürger lassen sich nicht an der Nase herumführen.
„3. Über die Frage, ob das BGE nun ein allgemeines „Menschenrecht“ oder ein „Bürgerrecht“ sein soll, lässt sich trefflich streiten. Für beide Positionen gibt es starke Argumente. Die wurden zu Beginn der EBI-Kampagne ausgiebig ausgetauscht, dann aber um gemeinsamer konsensfähiger Ziele willen vorläufig zurückgestellt. In einer produktiven Debatte sollten solche kontroversen Argumente benannt und gegeneinander abgewogen werden, statt dazu nur einseitig polemisch zu argumentieren.“
Diese Gegenüberstellung habe ich allerdings nicht vorgenommen. Menschenrechte – wobei sie eigens eine Diskussion wert wären, zumindest in Gestalt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – und Bürgerrechte lassen sich nicht gegeneinander stellen, sie hängen zusammen. Die Menschenrechte sind solange ein Abstraktum und bleiben folgenlos bis sie von einer Rechtsgemeinschaft, und das ist eine politische Gemeinschaft von Staatsbürgern, als schützenswert anerkannt werden. Sind sie dort anerkannt, gelten sie für alle Menschen, die sich im Herrschaftsbereich des Gemeinwesens aufhalten – Staatsbürger wie Nicht-Staatsbürger. Dieser Anerkennung geht allerdings schon voraus, dass sie zu mehr oder weniger selbstverständlichen Normen der Lebensführung geworden sind. Die Menschenrechte bringen bestenfalls etwas zum Ausdruck, das dem realen Leben abgeschaut wurde. Solange sie aber in diesem Leben als nicht verbindlich gelten, bleiben sie abstrakt. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sie nicht überall in der Welt Anerkennung finden. Würde man die Menschenrechte von der Existenz eines politischen Gemeinwesens, das sich an sie bindet, lösen, stünde die internationale Staatengemeinschaft vor folgender Frage: Soll sie die Menschenrechte durch Interventionen in politische Gemeinschaften durchzusetzen versuchen, also von außen notfalls mit Gewalt? Damit geht ein Eingriff in die Souveränität einher. Wohin das führen kann, zeigen uns die Erfahrungen z. B. im Irak und in Afghanistan.
Wenn die Formulierung „gemeinsamer konsensfähiger Ziele“, wie Sie schreiben, dazu führt, die Stellung der Staatsbürger in der politischen Gemeinschaft zu vernachlässigen, dann ist das ein hoher Preis. Wer den Begründungstext der EBI gelesen hat, musste sich fragen, wie die Initiative zur Stellung der Staatsbürger steht, auf welche Ausgestaltung der EU sie zielt. Die „konsensfähigen Ziele“ könnten genau deswegen ein Grund gewesen sein, nicht zu unterzeichnen.
Wer zum Instrument der EBI greift, muss sich darüber im Klaren sein, was er dadurch befördert. Darauf wollte ich unter anderem aufmerksam machen. Sicher, die EBI lässt sich auch strategisch einsetzen, in der Hoffnung darauf, Aufmerksamkeit für lautere Ziele zu erhalten. Doch das geht nur um den Preis, ihre Unverbindlichlichkeit ganz im Geist des Demokratiedefizits in Kauf zu nehmen und damit die Herabsetzung der Bürger hinzunehmen.
Mir scheint dies Anlass, darüber nachzudenken, wie die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen vorangebracht werden könnte, wenn man diesen genannten Preis nicht zahlen will. Eine Diskussion in den Mitgliedstaaten, ohne gleich auf eine europäische Lösung zu zielen, zumindest solange sich die Lage nicht ändert, sowie ein Austausch zwischen Befürwortern, wie er so oder so ohnehin schon gepflegt wurde, kann die Diskussion mindestens genauso gut voranbringen.
Sascha Liebermann