…das könnte man Mark Schieritz auf seinen Beitrag bei Zeit Online entgegnen, der interessante Überlegungen anstellt, aber dann doch Hemmungen hat. Wie lautet sein Vorschlag?
„Angenommen, der Staat könnte so viel Geld ausgeben, wie er will: Wie wäre es, wenn jeder Deutsche etwas Ähnliches wie die Bahncard 100 bekäme? Nicht nur einen Freifahrtschein für Züge, sondern auch für Busse und Straßenbahnen, für Schulen und Universitäten, für Bibliotheken und Theater – und vielleicht sogar für Wohnungen und die Grundversorgung mit Lebensmitteln? Eine „Deutschlandkarte“ also, die die kostenfreie Nutzung der gesamten öffentlichen Infrastruktur ermöglicht?“
Dieses Gedankenspiel ist als solches interessant, weil damit die Frage danach gestellt wird, was denn zur Grundversorgung gehören sollte. Im nachfolgenden Text kommt er, wie schon früher einmal, auf das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen und schreibt:
„Eine Alternative dazu [zur oben genannten öffentlichen Infrastruktur, SL] ist das bedingungslose Grundeinkommen. Nach dieser Idee erhielte jeder Deutsche monatlich einen Scheck vom Amt, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll. Das setzt aber Umstände voraus, die erlauben, dass sich dieses Leben entfalten kann – und das ist alles andere als gesichert. Die Schulen werden ja nicht automatisch besser, bloß weil die Menschen auf einmal mehr Geld in der Tasche haben, zumal wenn niemand kontrollieren kann, wofür sie es ausgeben.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist in seinem Vertrauen darauf, dass schon alles gut wird, wenn der Bürger selbst entscheiden darf, wie er sein Geld ausgibt, eine zutiefst neoliberale Idee. Es ist sozusagen die Steuersenkung des Hipsters.“
Nichts im Leben geschieht „automatisch“, das gilt ebenso für eine Welt mit BGE. Man kann es in der Tat so konstruieren, dass es Schieritz‘ Behauptung entspricht, das ist jedoch keineswegs zwingend. In der Tat stehen und fallen etwaige Auswirkungen eines BGE damit, was davon finanziert werden muss. Sollte es keine öffentliche Infrastruktur mehr geben, würde es seine Bedeutung vollkommen einbüßen. Dann wäre es ein Projekt zum Abbau des Sozialstaats – ganz wie manche wie Christoph Butterwegge es fürchten. Schieritz‘ befürchtet das aber gar nicht, er wird so sein. Woher weiß er das?
Die Abneigung, sich damit überhaupt weiter zu befassen, spricht Bände, es zeugt von Phantasielosigkeit. Schon die Rede davon, das BGE komme per „Scheck vom Amt“ verhöhnt, dass dieses Amt einen Auftrag der politischen Vergemeinschaftung ausführt. Das BGE bringt ein bestimmtes Solidarverständnis zum Ausdruck, ganz gleich in welcher Form es gestaltet wäre, Schieritz‘ Version ist nur eine, weil er offenbar einen Popanz benötigt.
Der neoliberalen Verarmung durch ein BGE hält er seine Vision entgegen:
„Diese Orte sind so wichtig, weil die Ökonomisierung der Lebenswelt in den vergangenen Jahren rapide vorangeschritten ist. Mit Geld kann man sich heute Gesundheit, Schönheit und sogar ein längeres Leben kaufen, denn Arme sterben nachweislich früher als Reiche. Eine funktionierende Demokratie aber ist auf öffentliche Räume angewiesen, in denen die Bürger sich als Bürger begegnen und nicht als Wirtschaftswesen…“
Letzteres ist tatsächlich für eine Demokratie entscheidend, wo das nicht mehr möglich ist, ist sie am Ende. Schieritz vergisst aber zu erwähnen – oder vielleicht übersieht er es schlicht -, wie dieser Ökonomisierung entkommen werden kann. Denn die Entwicklung der vergangenen Jahre ist nicht zu verstehen, ohne einen Blick auf die Idolatrisierung der Erwerbsarbeit zu werfen. Das Schlagwort von der Ökonomisierung verdeckt darüber hinaus, dass sie zugleich mit einer Erhöhung an Kontrolle und Beaufsichtigung der Bürger einhergegangen ist. Das hat mit Marktliberalismus nichts mehr zu tun, es wäre sogar das Gegenteil dessen, was Milton Friedman bei seinen Überlegungen zur Negativen Einkommensteuer vorschwebte. Es ist eben gerade nicht ein liberales Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen, sondern eine erhebliche Bevormundung feststellbar, die gerade mit der Bedeutung von Erwerbstätigkeit gerechtfertigt wird.
An derselben Stelle entwirft Schieritz noch sein Szenario:
„…Die Deutschlandkarte schaffte diese Räume. Sie würde den Kapitalismus nicht aushebeln, aber ihn in die Schranken weisen.Doch es ginge nicht nur um Gerechtigkeit. Die Möglichkeit zur kostenfreien Nutzung der Infrastruktur würde die Republik verändern. Die Deutschen würden experimentierfreudiger, neugieriger – in jeglicher Hinsicht mobiler. Sie würden ihr Land erkunden, Freunde und Verwandte besuchen. Es entstünden Orte, an denen Menschen unterschiedlichster Schichten sich treffen würden: in der Bahn, im Schwimmbad, in den Universitäten. Die Gesellschaft käme wieder mit sich ins Gespräch.“
Ja, dem würde ich nicht widersprechen, weswegen aber das BGE verdammen? Schieritz sieht offenbar nicht, wie es gerade der Vorrang, die Verklärung von Erwerbstätigkeit ist, die es erschwert, dass wir uns in Deutschland ganz souverän als Gemeinwesen von Bürgern begreifen, die darüber befinden, wie sie zusammen leben wollen. Wer es damit ernst meint, kommt an der Relativierung von Erwerbstätigkeit nicht vorbei, und dazu benötigt es ein BGE. Alles andere sind bloß warme Worte.
Sascha Liebermann