In der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht es neben vielen Aspekten ganz zentral um die Würde des Einzelnen, Anerkennung durch die Gemeinschaft und das Recht auf Einkommen. Von daher liegt es nicht fern, darin den Kontrapunkt zum heutigen Sozialstaat auszumachen, doch dabei gerät manches durcheinander oder gar aus dem Blick. In einem Interview aus dem Jahr 2016 mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, sagt dieser folgendes:
„Nur, was mir am heutigen Sozialstaat vor allem missfällt: Ich muss um Hilfe bitten, auch wenn ich mein Leben lang gearbeitet habe. Das Grundeinkommen verspräche mehr Würde und könnte das Unternehmertum sogar fördern.“ (Handelsblatt, „Wir sind zu satt, Interview mit Timotheus Höttges, 22. Dezember 2016)
Höttges macht genau den Missstand aus, der erwähnt wurde. Aber ist es so, dass die Beantragung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch heute einer Bitte um Hilfe entspricht? Nein, es handelt sich nicht um ein Ersuchen, sondern um einen Rechtsanspruch, der gemäß geltender Verfahren geprüft wird. Nun lässt sich am Verfahren, den Bereitstellungsbedingungen, dem Ermessensspielraum der Sachbearbeiter und dem Machtgefälle zwischen Sachbearbeiter und Antragsteller manches kritisieren, doch verwandelt all dies den Rechtsanspruch nicht in eine Bitte oder gar ein Almosen. Zwar ist es nachvollziehbar, wenn das Prozedere als entwürdigend und beschämend wahrgenommen wird, das hat mit dem normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit zu tun, reicht als Erklärung aber nicht aus (siehe hier). Wie könnte man erklären, dass der Rechtsanspruch so leicht in eine Bittstellung umgedeutet wird?
Die Vorstellung, vom „Staat“ abhängig zu sein, sich von anderen versorgen zu lassen, es nicht geschafft zu haben „von der eigenen Hände Arbeit“ zu leben (siehe hier) – das sind die stärkeren Quellen dafür, woher die Beschämung rührt. Es gibt keines oder nur ein sehr schwachse Bewusstsein davon, eine Gemeinschaft von Bürgern zu sein, deren Status nicht von Leistung abhängig ist. Bedenkt man noch, dass in der deutschen politischen Kultur das Vertreten von Partikularinteressen stets unter Verdacht steht, gemeinwohlschädigend zu sein, Konflikte in der politischen Auseinandersetzung nicht wirklich offensiv ausgetragen, sondern schnell abgekanzelt werden (siehe z. B. die Verhandlungen zur Großen Koalition), dann unterstützt das nicht die Wahrnehmung von Eigeninteresse, es schwächt sie (siehe dazu auch hier). Daraus ließe sich also der Schluss ziehen, dass wir nicht zu viel selbstbewusstes Vertreten von Partikularinteressen haben, sondern zu wenig. Zugleich haben wir aber nicht zu viel Selbstbewusstsein als Gemeinwesen, sondern zu wenig. Beides zusammen ist das Problem.
Sascha Liebermann