In dieser Aufzeichnung einer Diskussion in Bonn über „Werte und Disruption…“ im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die bei Phoenix ausgestrahlt wurde, geht es ab Minute 53’40 um das BGE. Zwar ist die Passage sehr kurz, der Austausch sehr gedrängt, aber es wird doch eines deutlich: dass es um grundsätzliche Fragen geht, wenn die Sprache auf das BGE kommt. Götz W. Werner hebt hervor, dass man es sich leisten können müsse, eine Arbeitsstelle anzunehmen, Einkommen sei gar keine Bezahlung, sondern eine Ermöglichung. Dieser einfache Gedanke sorgt immer wieder für Irritation, weil wir heute das Verhältnis genau umdrehen. Werner lenkt damit jedoch den Blick weg von einem individualistisch verkürzten Leistungsverständnis hin zu den Voraussetzungen dafür, weshalb der Einzelne sich einzubringen in der Lage ist. Wer kein Einkommen hat, bevor er seinen Lohn ausbezahlt bekommt, kann sich auch keinem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Er bringt das im Bild zum Ausdruck, dass jeder Einzelne auf den Schultern der Gemeinschaft stehe, ohne aber dies kollektivistisch misszuverstehen. Obwohl es sich dabei um eine empirische Tatsache handelt, man muss sich dazu nur ansehen, was wir alles nutzen müssen für unser Handeln, ohne es selbst hervorgebracht zu haben, bezeichnet der Moderator dies als philosophische Betrachtung. Das soll wohl auch heißen, sie sei abstrakt. Dabei ist die Unterstellung, der Einzelne leiste ohne Voraussetzungen, von denen er lebe, vollkommen abstrakt und unrealistisch. Über diese Abstraktheit hat sich schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel (siehe auch hier, S. 575) treffend ausgelassen. Eine interessante und aufschlussreiche Verkehrung ist also die Ersetzung des Konkreten durch das Abstrakte, der man immer wieder begegnet. Mir ist dasselbe schon begegnet, wenn ich darauf hinwies, dass die Demokratie in ihrer Verfasstheit eine drastische Autonomiezumutung darstellt, mit der jeder Bürger heute ganz alleine zurechtkommen muss. Zumindest ist das die erste Erwartung. Erst wenn das nicht geht, setzen wir darauf, dass er sich Hilfe und Rat sucht. Eine harte Realität, die viele für philosophisch bzw. spekulativ halten. Dabei sind gerade die Vorbehalte gegen diese reale Autonomie philosophisch und spekulativ (im schlechten Sinne, nicht im hegelschen).
Jens Spahn nun, der bislang unverdächtig war, zu den Befürwortern eines BGE zu gehören, erweist sich als einer wider Willen. Zwar hebt er verklärend damit an, wir hätten ja faktisch ein Grundeinkommen, übergeht dabei die knallharten Bezugsbedingungen und Sanktionsinstrumente der Grundsicherung, doch dann sagt er etwas, dass gegen ihn selbst spricht. Sinn entstehe gar nicht durch Geld, so seine Auffassung, sondern durch eine Aufgabe. Es sei wichtig, die Vorstellung aufzubrechen, das Leben müsse sich nur um Arbeit (also: Erwerbsarbeit) drehen, was ihn direkt zum Ehrenamt führt (immerhin – dass die Fürsorge für andere im Rahmen von Haushaltstätigkeit viel bedeutender ist, übersieht er, siehe hier). Wenn er es damit ernst meint, gilt das vorher Gesagte aber nicht mehr. Er müsste nun einen Weg jenseits von Sonntagsreden weisen, wie von dieser Erwerbszentrierung wegzukommen sei. Möglich ist das doch nur, wenn man die Freiräume hat, zu entscheiden, was man für wichtig und richtig hält, um sich dort dann einzubringen. Ohne BGE geht das jedoch nicht. An Spahns Ausführungen lässt sich ablesen, wo die Hindernisse für ein BGE liegen, nicht etwa im Gegeneinander von Befürwortern und Kritikern, sondern in der Widersprüchlichkeit der Einwände gegen, die für ein BGE sprechen.
Sascha Liebermann