…“das Bedingungsloses Grundeinkommen – eine gefährliche Chimäre“…

…so Elmar Wiegand in seiner Besprechung des Buches von David Graeber, „Bullshit-Jobs“, die auf den Nachdenkseiten am 30. September veröffentlicht wurde. Gegen Ende kommt er auf das BGE zu sprechen, da heißt es:

„Graeber fordert am Ende gar das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) – eine gefährliche Chimäre, die in Deutschland vermutlich erst von der linken Agenda verschwinden wird, sobald sich die AfD dieses Thema auf die Fahnen schreibt.“

Das BGE ist gar nicht Bestandteil „der linken Agenda“, sondern nur von manchen Befürwortern auf Seiten der Linken, wie auch immer das eingegrenzt wird. Weshalb wäre es ein Grund, das BGE aufzugeben, nur weil die AfD es befürworten könnte? Die Frage wäre, was drin steckt, wenn die AfD es aufgreift, bislang spricht nichts dafür, dass sie es tun würde. Es kann doch nicht entscheidend sein für einen Vorschlag, von welcher Seite er vorgebracht oder befürwortet wird, sondern was ihn von der Sache her ausmacht. Alles andere läuft auf kindische Selbstblockade hinaus.

„Das BGE ist eigentlich wie geschaffen für die Propaganda eines Bernd Höcke und seiner völkischen Gewerkschaftsinitiative ALARM! (Alternative Arbeitnehmervereinigung Mitteldeutschland). Wenn man das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Zusatz „nur für Deutsche“ versieht, entsteht dadurch fast automatisch der perfekte Apartheidsstaat.“

An dieser Passage lässt sich gut erkennen, welche Probleme manche Kreise mit der Demokratie und ihrem Verständnis von Zugehörigkeit haben. „Deutscher“ ist nach dem Grundgesetz, wer die deutsche Staatsbürgerschaft hat, es handelt sich um einen universalistischen Status, der weder ethnisch noch verwandschaftlich verankert ist. Deswegen kann er man ihn durch Beantragung erhalten, sofern bestimmte Mindestbedingungen erfüllt sind. Wenn folglich ein BGE auf deutsche Staatsbürger beschränkt würde, hätte das Folgen für die Wahrnehmung von Autonomie und Selbstbestimmung derer, die keine Staatsbürger sind. Diejenigen, die eines bezögen, würden gestärkt, die anderen geschwächt. Das wäre nach der Verfasstheit unserer politischen Ordnung undemokratisch. Wiegand baut hier einen Popanz auf, um das BGE in die rechte Ecke zu stellen. Ein leicht durchschaubares Manöver ohne Argumente und damit eine schöne Einladung für die AfD.

Was schreibt er noch?

„Auch gibt es bereits eine neoliberale, scheinbar freundliche Variante. Graeber kennt den Boss der Drogeriekette dm, Götz Werner, offenbar ebensowenig wie die Strategen bei der Deutschen Post / DHL und ihren „Glücksatlas“. Diese Strategen sahen schon den Mindestlohn als Aufforderung, keinen Tariflohn mehr zu zahlen, und sie sehen im nächsten Schritt das BGE als Chance, überhaupt keinen Lohn mehr zu zahlen, sondern nur noch ein Taschengeld. Der viel geschmähte Staat – Graeber ist bekennender Anarchist – soll einmal mehr die volle Sorge und Verantwortung für Proleten und Überflüssige übernehmen – inklusive aller Kosten.“

Sollen etwa Unternehmen darüber befinden, was wird? Worauf will Wiegand hinaus? Wenn die Bürger nicht einverstanden sind, mit dem was Wiegand befürchtet, müssen sie sich dagegen wenden. Wer sonst könnte denn die „Sorge und Verantwortung“ verbindlich gestalten, wenn nicht „der Staat“ als Gemeinschaft der Bürger, die den Souverän bilden? Hat nicht „der Staat“ den Mindestlohn eingeführt, den wir heute haben? Dass gerade ein BGE ein Instrument sein kann, damit sich Arbeitnehmer besser wehren können als heute, lässt Wiegands Eifer dagegen offenbar nicht zu.

Dass Graeber den Staat schmäht, läuft auf einen Selbstwiderspruch hinaus, wenn dieser Staat zugleich Garant eines BGE werden sollte. Worauf will Wiegand nun hinaus? Dass sich der Staat etwa zurückhalten sollte? Hier seine Antwort:

„Statt ausgerechnet nach einem wohlmeinenden, starken Staat zu rufen – Wer sonst soll ein BGE einführen, garantieren und umsetzen? [Wer sonst soll politische Entscheidungen umsetzen? SL] – sollten wir herausfinden, welches Widerstandspotential sich aus dem tiefgreifenden Frust schöpfen ließe, den Bullshit-Job-Betroffene in sich tragen müssen. Um zu Andersens Märchen zurückzukehren: Sobald das gemeine Volk [Wer ist das nun? Höckes Version der Bürger oder die Staatsbürger? SL] erkannt hat, dass der Kaiser nackt dasteht und sein Hofstaat aus Speichelleckern und Narren besteht, ist die Herrschaft in den Köpfen bereits zerplatzt und der Weg zum Aufstand nicht mehr weit. Ob dieser Aufstand emanzipatorisch sein wird, ob Menschen zu solidarischem Handeln fähig sind, die jahrelang Kollegialität bloß simuliert haben, wieviel Bullshit-Deformation sich möglicherweise bereits in der gegenwärtigen Pegida-Welle findet, gilt es herauszufinden.“

Ist denn dieses Volk letztlich ein anderes als dasjenige, das heute den Staat trägt, der ohne das Volk schlicht gar nicht wäre? Wiegand räumt doch selbst ein, dass es von den Bürgern abhängt, wofür sie streiten und was zu tragen sie bereit sind. Wenn es ein BGE wäre, welcher Gestalt auch immer, dann wäre es so. Wäre es ein anderer Vorschlag, z. B. eine Verschärfung von „Hartz IV“, dann wäre das eben so. Und was heißt denn emanzipatorisch? Ein schönes Wort, ohne spezifischen Inhalt angesichts der politischen Grundordnung, in der wir leben.

Sascha Liebermann