Heike Schmoll berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben wurde.
Dass dem Bundesministerium an einer solchen Rechnung gelegen ist, kann einen nicht überraschen (Oxfam sieht das ja offenbar ähnlich). Wie wäre es aber, zu dieser Berechnung eine Gegenrechnung aufzumachen und beide zu vergleichen?
1) Aufzurechnen im strikten Sinne, das geht natürlich nicht. Wie aber wäre es, wenn Kinder erst dann den Kindergarten besuchen, wenn sie selbst die Bereitschaft dazu artikulieren, weil das etwas mit ihrem Wohlbefinden zu tun hat? Das hätte nicht nur Vorteile für die Kinder, weil sie reifer wären, es würde sich auch auf die Einrichtungen auswirken, die nicht damit beschäftigt wären, die Trennungserfahrungen und -ängste der Kinder auffangen zu müssen. Würden wir so auf die Sache blicken, dann müssten wir eher institutionelle Frühförderung zurückfahren und Eltern darin bestärken bzw. unterstützen, dass Kinder Zeit für ihre Entwicklung brauchen in einem Schonraum, der ihnen diese Zeit gibt.
2) Wie wäre es damit, Schulkindern den Freiraum zu schaffen, damit sie mehr Zeit zum freien Spielen haben? Kinder könnten sich wieder mehr in ihrem direkten Lebensumfeld miteinander verabreden und es erkunden, statt unter Dauerbeaufsichtigung zu sein. Dann müssten wir die Ganztagsangebote nicht ausbauen, sondern reduzieren, denn sie sorgen heute schon dafür, dass sich Schulkinder (der Grundschule) mit Freunden nicht selten erst um 16.30 Uhr verabreden können.
3) Wie wäre es damit, Eltern mehr Möglichkeiten zu geben, damit Familienleben mehr sein kann, als gemeinsam Frühstück und Abendessen einzunehmen sowie vor- und nachher ein wenig zu spielen? Gemeinsame Erfahrungen brauchen gemeinsame Zeit statt getaktete und durchgeplante Alltage. Kinder und Jugendliche artikulieren ihre Wünsche und Sorgen nicht terminorientiert, in der „quality time“, sondern dann, wenn sie ungezwungen Raum dafür haben.
Es mutet angesichts dessen nachgerade zynisch an, über die weitere Erhöhung der „Frauenerwerbsquote“ – um die geht es dabei meist – und die Ausweitung von „Betreuungszeiten“ sowie die Absenkung des Betreuungsalters zu sprechen, ohne darüber zu reden, was die Voraussetzungen für ein lebendiges Familienleben sind, in dem Eltern wissen, was in ihren Kindern vorgeht, sich ihren Sorgen und Nöten widmen, einfach da sein können.
Apropos „Bildungsungleichheit“ und „Qualität“ in Einrichtungen: Zeit für Familie und Frühförderung gegeneinanderzustellen, denn mehr Zeit für letzteres bedeutet weniger Zeit für ersteres, ist der falsche Ansatz. Andere Förderformen, dort wo überhaupt nötig, Formen, die mit den Nähewünschen der Kinder im Einklang sind, erfordern diesbezüglich ein Umdenken, statt einfach die „Qualität“ in Einrichtungen verbessern zu wollen. Und, weil der Einwand sicher schon auf der Türschwelle wartet, Familien, die ihrer Verantwortung diesbezüglich nicht nachkommen, benötigen eine andere Unterstützung als mehr Erwerbstätigkeit der Eltern. Dafür gibt es allerdings schon Regelungen im Achten Buch Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfe). Sie bedeutet allerdings stets eine Gratwanderung.
Sascha Liebermann