Die in Der Spiegel referierte Studie der Hans-Böckler-Stiftung gelangt zu Einsichten, die nicht überraschen können, es sei denn man hätte die Entwicklung der letzten vierzig Jahre übersehen. „Emanzipation“ stand darin nicht im politischen Sinne, nicht bezüglich der Frage der Autonomie (nicht zu verwechseln mit Autarkie) als solcher im Zentrum, es war immer „Emanzipation“ zur Erwerbsteilnahme angestrebt oder polemisch ausgedrückt: Das Alleinernährermodell wurde allverbindlich. Auf der Strecke blieb dabei, wofür einmal Anerkennung gefordert wurde, die „unsichtbare Arbeit“ heute auch „unbezahlte Arbeit“ genannt. Der Aufwertung von Erwerbstätigkeit als für alle verbindlicher Maßstab, führte zugleich zu einer weiteren Abwertung von Haushaltstätigkeiten, damit zu einer Abwertung von Familienleben und -beziehungen.
Nun war es aber schon zu Zeiten geringerer Frauenerwerbstätigkeit ein Missstand, dass Väter so wenig präsent waren. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wieviel Zeit vom Tag übrigbleibt bei Vollerwerbstätigkeit. Nehmen wir den heutigen Acht-Stunden-Tag, zuzüglich Mittagspause und Pendelzeiten, sind wir schnell bei etwa zehn Stunden durchschnittlicher Abwesenheit. Allzuviel Präsenz in der Familie ist damit für Vollerwerbstätige nicht möglich, ganz gleich ob für Mütter oder Väter. Was hat sich verändert? Der Missstand gilt nun für beide, mit einem Unterschied.
Mütter machen aufgrund der Schwangerschaft eine kontinuierliche Leiberfahrung (es geht hier also nicht um die biologisch regulierten, sondern um die sozial regulierten Prozesse) einschließlich der Geburt ihres Kindes (es wird „zur Welt gebracht“), wodurch sie dem Kind und seinen Bedürfnissen viel näher sind als Väter. Dass eine Geburt dennoch alles durcheinanderwirbelt, die weitgehende Selbstbestimmung davor in umfassende Fremdbestimmung danach verwandelt, ist eine Krise für beide, Mütter sind aber näher an dem Kind. Für Väter verläuft all dies recht abstrakt, sie „wissen“ von der Schwangerschaft, sehen die Veränderungen, erfahren sie aber nicht am eigenen Leib. Sie können an ihrem Alltag lange festhalten und müssen wenig bis gar nichts verändern. Entsprechend haben sie nach der Geburt einen enormen Erfahrungsrückstand. Von hier aus gedacht müssten sie also nach der Geburt viel Zeit zuhause mit der Familie verbringen, um in die Vaterschaft hineinzufinden. Was aber ist die Realität heute? Allenfalls wenige Monate werden im Zuge der Elternzeit in Anspruch genommen und diese Elternzeit ist noch – betrachtet man ihren normativen Charakter – eine Belohnung für erwerbstätige Eltern, also das Signal, zur Quelle der Belohnung wieder zurückzukehren. Das geschieht unterstützt vom Ausbau außerhäuslicher Betreuungsangebote alsbald, man schaue sich nur die Entwicklung der Betreuungsquoten und -zeiten an (siehe z. B. hier). Wen wundert es also angesichts dessen, dass es Mütter sind, die einen „Großteil“ der Aufgaben übernehmen?
Diejenigen, die diese Entwicklung dann kritisieren, wie z. B. hier die gewerkschaftsnahe Stiftung u. a., sehen die entscheidende Kur für diesen Missstand in der Ausweitung von Erwerbstätigkeit, ermöglicht durch Betreuungsangebote. Kur? Eher das Gegenteil, Fortschreibung und Verschärfung.
Sascha Liebermann