Ein aufrüttelnder Kurzbericht des Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schien vor einigen Wochen Entscheidendes entdeckt zu haben. Matthias Diermeier und Judith Niehues stellten fest, dass Grundeinkommensbefürworter „keineswegs Gegner von Eintrittsbeschränkungen in den Sozialstaat“ seien. Auch Lea Hampel berichtete über diese bestürzenden Befunde in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeine Zeitung war dies ebenfalls unter dem Titel „Kein Geld für Zuwanderer“ eine Meldung wert.
Zu Beginn des Kurzberichts wird zwar auf die in Umfragen zum Ausdruck kommende Sympathie für ein BGE verwiesen, zugleich aber eingeräumt, dass dies nicht „unmittelbar“ mit einer „Reformbereitschaft“ gleichgesetzt werden könne (siehe unsere Beiträge zu dieser Frage hier). Dann geht es um die entscheidenden Punkte, die ich hier kommentiere, ohne die Fragen des Surveys, auf den Bezug genommen wird, zu kennen. Wie gefragt wurde, welche Definition von Grundeinkommen genutzt wurde, spielt für die Ergebnisse eine erhebliche Rolle:
„Denn zwei Drittel der Befürworter eines Grundeinkommens plädieren an anderer Stelle in der gleichen Befragung für substanzielle Bedingungen, bevor Zuwanderern die gleichen Rechte auf Sozialleistungen zugestanden werden wie eingesessenen Bürgern.“
Wo ist der Widerspruch? Zuerst einmal muss der Status einer Person, die nicht ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hat oder hatte, geklärt werden, um darüber zu befinden, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen können soll. Das ist wichtig, weil sonst jeder Tourist Ansprüche anmelden könnte. Daraus ergibt sich ein Mindestkriterium, z. B. die Aufenthaltszeit oder die Bestimmung des Lebensmittelpunktes. Angesichts der Komplexität der Frage, um die es geht und von der Warte aus betrachtet, dass hier über ein neues System der Absicherung nachgedacht werden soll, sind das wichtige Aspekte. Insofern wäre es nicht verwunderlich, dass die Folgen möglicher Status-Voraussetzungen den Befragten nicht ohne weiteres klar gewesen ist. Abgesehen davon sind auch BGE-Befürworter nicht frei von Vorurteilen – wen könnte das nun überraschen?
Dann heißt es:
„Besonders widersprüchlich erscheint, dass im Durchschnitt der 20 europäischen Länder 42,4 Prozent der Grundeinkommens-Befürworter Zuwanderern erst die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen zugestehen wollen, ’nachdem sie mindestens ein Jahr gearbeitet und Steuern bezahlt haben‘.“
Zuerst einmal sei hier angemerkt, dass Länder miteinander verglichen werden, in denen es teils nicht einmal eine Leistung gibt, die „Hartz IV“ entspricht, in denen der Vorschlag eines BGE also denkbar weit entfernt zu sein scheint von der Realität. Man wüsste schon gerne, was genau gefragt und von welchem Hintergrundwissen ausgegangen wurde.
Die Einschätzung der Befragten entspricht dem oben genannten praktischen Problem, dass nämlich bestimmt werden muss, ab wann der Aufenthaltsort als Lebensmittelpunkt zu verstehen ist. Ein Jahr ist dafür nicht viel. Wenn in dieser Zeit noch kein Anspruch auf ein BGE gelten soll, wird es ohne Erwerbstätigkeit nicht gehen. [update 13.08., 15.40: Hier darf der Verweis auf bedarfsgeprüfte Leistungen nicht fehlen, die es auch ohne BGE-Anspruch geben sollte. Diejenigen, deren Status also noch unklar ist, sollten Anspruch auf bedarfsgeprüfte Leistungen haben, um das Existenzminimum abzusichern, SL]. Der Verweis auf „Steuern“ ist z. B. missverständlich, denn jeder Nicht-Erwerbstätige bezahlt mindestens Mehrwertsteuer, sofern sie in dem betreffenden Land erhoben wird.
Daraus schließen die Autoren:
„Die Präferenz erscheint paradox, da die Unabhängigkeit von der Erwerbsbiografie ein wesentliches Kriterium im Rahmen der Grundeinkommens-Debatte darstellt.“
Paradox erscheint es nur, wenn davon ausgegangen wird, dass für BGE-Bezieher der Status keine Rolle spielen sollte. Das wäre aber so, als würde heute jeder Tourist Sozialleistungen erhalten. Wenn das aber nicht gewünscht ist, muss er zuvor z. B. eine Mindestaufenthaltsdauer nachweisen können, seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben und bis das der Fall ist, erwerbstätig sein, um sein Auskommen zu haben. Es mag sein, sofern die standardisierte Befragung das hergibt, dass auch BGE-Befürworter über manchen Aspekt sich nicht im klaren sind. Deswegen bedarf es der Aufklärung. Unter denjenigen, die sich damit intensiver befassen, ist klar, dass der Status geklärt werden muss – ganz wie heute auch.
In dem Kurzbericht werden Länder erwähnt, die eine bezüglich ihre Demokratisierung ziemlich junge Geschichte haben. Es wäre also von daher gar nicht überraschend, wenn es zu einer Diskrepanz zwischen den Sympathien für ein BGE und einer restriktiven Haltung zu den Bezugsvoraussetzungen gibt. Mit der Bedingtheit der Bedingungslosigkeit habe ich mich vor längerer Zeit schon einmal befasst, siehe hier.
Sascha Liebermann