Ein Gespräch mit dem Soziologen Manfred Krenn auf der Website des Österreichischen Nachrichtenmagazins profil in der Reihe des profil history podcasts erlaubt interessante Einblicke in die arbeitssoziologische Forschung. Im Gespräch geht es gleich zu Beginn um „glückliche Arbeitslose“ und ein Eingliederungsprojekt – „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ für Langzeitarbeitslose in Gramatneudsiedl (Österreich). In Anlehnung an Ergebnisse aus der berühmten Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ soll mit dem Projekt herausgefunden werden, wie den „psychischen Verhehrungen“, die Arbeitslosigkeit mit sich bringe, entgegengewirkt werden könnte und was diesbezüglich eine Arbeitsplatzgarantie bewirkt.
Die interessanten und differenzierten Einschätzungen des Gesprächspartners bezeugen in einer Hinsicht, und das ist eine grundlegende, eine überraschende Kurzsichtigkeit. Die Folgen von Arbeitslosigkeit werden geschildert, ohne jedoch diese Folgen – Stigmatisierung – auf ihre Ursachen hin genauer zu betrachten. So wird zwar die Exklusion thematisiert, die ein Arbeitsplatzverlust mit sich bringe, also der Verlust von Anerkennung bezogen auf Erwerbstätigkeit.
Ebenso wird der Verlust von Sozialkontakten genannt, der eine Folge ist. Dass diese Folgen sich jedoch nicht einfach durch den Verlust ergeben, sondern vom normativen Status herrühren, den Erwerbstätigkeit innehat, taucht nur indirekt auf. Krenn hebt vielmehr hervor, was Erwerbstätigkeit leiste, z. B. die Strukturierung des Tages, Kontakte außerhalb der Familie zu verschaffen, den Horizont zu erweitern, die Erfahrung mit Kooperation am Arbeitsplatz, die Anbindung an soziale Realität (vieles in Anlehnung an Marie Jahoda). Dass Arbeitslose an einem Gefühl der Nutzlosigkeit leiden und Erwerbsarbeitarbeit zum gelingendem Leben hinzugehöre usw.
Eine gewisse Verklärung ist hier nicht zu übersehen, denn diese Tagesstrukturierung fällt nicht einfach weg durch Erwerbslosigkeit, es hängt ganz davon ab, womit die betreffende Person ihren Alltag verbringt. Wer Interessen hat, die er legitimerweise verfolgen kann, hat mit der Tagesstruktur kein Problem; wer die eigenen Kinder versorgt, stellt diese Tagesstruktur ebenso her; dasselbe gilt für das Ehrenamt. Wer vom Verlust der Tagesstruktur und all den anderen Phäonomenen spricht, sollte vom normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht schweigen, der alle anderen Tätigkeitsformen degradiert. Krenn erwähnt das nur indirekt. Auffällig ist darüber hinaus, dass die Besonderheit der Sozialintegration, die Erwerbstätigkeit leistet, gar nicht betrachtet wird, dass nämlich die Person um ihrer selbst willen, darin gar nicht von Bedeutung ist. Austauschbarkeit ist das Merkmal schlechthin moderner Arbeitsverhältnisse, sie ist Ausdruck der Überwindung von Leibeigenschaft. Deswegen sind Einstellungen und Kündigungen vollkommen normale Vorgänge, in denen die Eignung einer Person für Aufgaben und Zwecke entscheidend sein sollte. Erst dadurch werden Unternehmen aber auch Mitarbeiter von sozialfürsorgerischen Aufgaben oder Verpflichtungen gegenüber einander entlastet, die heute durch die politische Gemeinschaft getragen werden müssen in Gestalt des Sozialstaates. Erst so kann die Erzeugung und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen gegenüber Kunden im Zentrum stehen, Arbeitsplätze sind kein Selbstzweck, sondern von dieser Funktion her zu bestimmen. Genau das wird in Krenns Ausführungen nicht deutlich, ist allerdings ein Mangel der allgemeinen Diskussion.
Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn Krenn einem BGE gegenüber skeptisch ist, weil er nicht überzeugt ist, dass es die Inklusionsleistungen vollbringen kann, die Erwerbstätigkeit angeblich vollbringe. Dass Haushaltstätigkeiten im gesamten Gespräch nicht auftauchen, sei hier nur erwähnt, ebensowenig kommt vor, welche Stellung die Bürger in der modernen Demokratie haben, dass hier die maximale Sozialintegration vorliegt bezogen auf die ganze Person. Krenn hält ein Recht auf Arbeit für wichtiger – was einer Sinnentleerung der Arbeit jedoch gleichkommt, wenn sie nur formal betrachtet wird und nicht ins Verhältnis zu den Interessen und Neigungen des Einzelnen gesetzt wird. Das erinnert an die Diskussion um eine Jobgarantie.
Sascha Liebermann