Zitat: „Problematisch ist aber nicht nur der Beschäftigungseffekt, sondern auch das [..] Gesellschaftsbild, das die Ehe mit klassischer Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern als dominierende Form des Zusammenlebens sieht.“
Sehr richtig! /end https://t.co/RC0w6K8Ki3— Achim Truger (@AchimTruger) September 16, 2021
In diesem Tweet wird auf eine Zusammenfassung des ifo-Standpunktes in der Süddeutschen Zeitung verwiesen. Als erstes, das wird in der SZ zitiert, fällt auf, wie deutlich Haushaltstätigkeit und Erwerbstätigkeit einander entgegengesetzt werden und erstere letzterer nachgeordnet wird. Wünschenswert sei die Zunahme an Erwerbstätigkeit, was praktisch aber bedeutet, weniger Zeit für Haushaltstätigkeiten zu haben. Das ist heute schon eine bedenkliche Entwicklung, wie einförmig in dieses Horn geblasen wird, ohne die Folgen zu bedenken. Der Ausbau von Ganztagsbetreuung in Kita und Schule schreitet voran, d. h. bis zu 45 Stunden pro Woche in einer Einrichtung, das ist mehr Zeit in der Kita als am Arbeitsplatz. Das Alter, in dem Kinder in die Kita gehen sollen, wurde abgesenkt (U3) in den letzten Jahren. Die Betreuungsquoten für Ein- und Zweijährige haben stark zugenommen. All das dient primär der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung. Was das ifo-Institut – wie viele Befürworter eines Abschieds vom Ehegattensplitting – anstrebt, ist eben eine noch stärkere Integration in Erwerbstätigkeit, was praktisch eine weitere Beschränkung von Familienzeit bzw. Zeit außerhalb von Erwerbstätigkeit im Allgemeinen bedeutet (siehe auch hier). Selbst die Familienberichte der Bundesregierung, trotz teils anders lautender Überschriften, befürworten dies. Dabei wäre die Frage zu stellen, ob nicht vielmehr die Möglichkeiten für Eltern, sich der Familie oder anderen Aufgaben außerhalb von Erwerbstätigkeit zu widmen, verbessert werden sollten, wenn es ernst werden soll mit „Zeit für Familie“. Solange Kinder den Schonraum Familie für ihre Entwicklung benötigen, wäre es geradezu wünschenswert, das dieser auch mit Leben gefüllt ist und nicht mit Abwesenheit.
Dass die Väter hier genauso gefragt sind wie die Mütter, scheint man immer noch zusätzlich erwähnen zu müssen, dabei ist es ein schon lange konstatierter Mangel, dass die Väter in der Regel unter der Woche nur in Randzeiten des Tages anwesend sind und vom Alltagsleben und seinen Herausforderungen wenig mitbekommen.
Im ifo-Standpunkt heißt es an einer Stelle:
„Die Gleichberechtigung von Frauen, ein grundlegendes gesellschaftliches Anliegen, hat viel mit Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu tun. Als eine Alternative zum Ehegattensplitting gilt daher die Individualbesteuerung. Sie hat den Vorteil, dass für die Zweitverdiener deutlich größere Arbeitsanreize bestehen.“
Ist das so, wie der erste Satz behauptet? Gleichberechtigung ist eine grundsätzliche Frage und nicht vorrangig auf Erwerbsbeteiligung zu richten. Außerdem suggeriert diese Ausrichtung, es ließe sich alles im Leben auf einmal haben, Zeit für Familie und Zeit für Beruf. Das ist allerdings gerade eine Illusion, die durch das „Vereinbarkeits“-Motto befördert wurde. Dass es Lebensphasen gibt, in denen Familie, gerade mit kleinen Kindern, eben viel mehr Zeit verlangt, wenn nicht die ganze, ist genauso realistisch wie die, dass in anderen Lebensphasen der Beruf im Zentrum stehen kann. Alles zu seiner Zeit; wer aber meint, alles gehe gleichzeitig, hängt Illusionen nach. Beides gleichzeitig geht nur um den Preis der Einschränkung in beidem. Unsere gegenwärtige Vorstellung von Erwerbstätigkeit lässt für Familie keinen Platz und verdeckt hinter dem „Vereinbarkeits“-Motto lediglich, dass damit gemeint ist, die Sorgetätigkeiten aus der Familie auszulagern. Dann sollte man das auch offen aussprechen, wenn es so gemeint ist.
Die zweite Behauptung betrifft die „wirtschaftliche Unabhängigkeit“? Was ist damit gemeint? In einer Paarbeziehung, ganz gleich, ob verheiratet oder nicht, kann es eine solche Unabhängigkeit kaum geben, da Einkommen immer gemeinsames Einkommen ist, denn nur dann kann von Zusammenleben gesprochen werden, andernfalls ist es nur ein Zusammenwohnen. Wenn Paare das Leben miteinander teilen, teilen sie alles, dann ist alles ein Gemeinsames, was nicht heißen muss, dass beide in jeder Hinsicht dieselben Interessen haben. Wenn das ifo-Institut hier im Auge haben sollte, wozu die heutige Normierung von Einkommenserzielung führt, wenn sich ein Paar trennt, dann wäre eine Einkommensabsicherung zu schaffen, die von Erwerbstätigkeit unabhängig ist. In der Regel trifft die Erwerbsnorm eben die Mütter, die erheblich mehr Zeit mit den Kindern verbringen als die Väter.
Die dritte Behauptung betrifft die „Arbeitsanreize“. Wo liegt die empirische Evidenz dafür, dass das Ehegattensplitting tatsächlich der entscheidende Grund dafür ist, dass Frauen nicht mehr erwerbstätig werden, weil ihr Einkommen so stark besteuert wird? Das Ehegattensplitting ist allerdings personenneutral, Väter könnten genauso gut zuhause bleiben. Wer es für wichtig hält, Zeit für Familie oder auch andere Aufgaben zu haben und es sich erlauben kann, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten bzw. diese einzuschränken, wird dies tun, ganz gleich wie die Besteuerung ausfällt. Die Anreiz-Begrifflichkeit ist unterkomplex und verdeckt die vielfältigen Motivierungen für Handeln, die miteinander im Konflikt liegen können (siehe hier). Diese lassen sich über einfache standardisierte Befragungen kaum erheben, weil sie den Befragten nicht bewusste Motivierungen kaum erfassen, schon gar nicht ihre Widersprüchlichkeit.
Diese ganze Diskussion könnte leicht von gestern sein, wenn man sich ernsthaft auf ein BGE einließe, denn damit wäre eine elementare Absicherung dauerhaft bereitgestellt, auf Freibeträge könnte weitgehend verzichtet werden, jeder dazu verdiente Euro wäre dazuverdient, ohne davon abhängig zu sein. Doch die Ehegattensplitting-Kritiker wollen genau diesen Schritt nicht gehen.
Siehe unsere früheren Beiträge zum Ehegattensplitting hier, zur „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf hier.
Sascha Liebermann