„…warum so viele junge Menschen FDP gewählt haben…“ – nachgefragt von Bent Freiwald…

…mit interessanten Eindrücken. Ohne zu wissen, wie die Antworten in voller Länge aussehen und wie die Gespräche geführt wurden, zeigen die Ausschnitte, welch starkes Gewicht „Eigenverantwortung“ darin zu haben scheint. Das lässt sich in zwei Richtungen auslegen:

1) Die Befragten haben ein starkes Autonomieverständnis und sehen sich zuerst als mündige Personen. Das würde mit dem starken Autonomieverständnis der Demokratie übereinstimmen, die stets eine Verantwortungszumutung mit sich bringt. Hier könnten die Auskünfte darauf hindeuten, dass das Bewusstsein über die Grundlagen der Demokratie deutlicher ausgeprägt ist als früher. Von dort aus ließe sich manche Kritik an Bevormundung verstehen, die zutreffend wäre.

2) Das Autonomieverständnis wird nicht umfassend im Sinne der Demokratie gedeutet, sondern bezogen auf Interessenwahrnehmung bezüglich Ausbildung und Arbeitsmarktteilnahme sowie Eigentum.

Dafür spricht die undifferenzierte Kritik am Staat, die die Aussagen erkennen lassen. Wogegen richtet sich das genau, denn ohne Staat geht gar nichts, und ja, es ist entscheidend, wie gestaltet wird im und durch „den Staat“. Aber das ist eine politische Aufgabe, der Staat ist kein Gegenüber, das zu bekämpfen wäre, für seine Ausgestaltung ist das Parlament bzw. sind die Parlamente zuständig und ebenso die Bürger aufgefordert, Missstände zu artikulieren bzw. Alternativen vorzuschlagen.

Interessant ist auch der negative Blick auf das Sozialsystem, in dem Leute festgehalten würden, zugleich dieser Staat aber „für Bildung und Aufstieg“ sorgen solle – wie soll das möglich sein? Bildung beruht auf Bildungsmöglichkeiten, Bildung lässt sich nicht sicherstellen. Auf der einen Seite findet sich also eine starke Betonung von „Eigenverantwortung“, auf der anderen wird dem Staat doch viel zugetraut, und zwar in eine Richtung, die ganz nah an dem ist, was abgelehnt wird. Hier wäre es doch interessant, mehr über die Widersprüche zu erfahren, die womöglich den Widersprüchen entsprechen, die in den letzten zwanzig Jahren deutlich hervortraten: die ewige Rede von Aktivierung gepaart mit einem erheblichen Misstrauen in die Bereitschaft des Einzelnen, sich einzubringen; die Rede von Eigenverantwortung und der ausgeprägte Sinn dafür, bis ins Detail zu planen, was an den Bacherlor-Studiengängen, um ein Beispiel zu nennen, deutlich wird.

Sascha Liebermann