…und er fragt, wie man die Leute dazu „bekomme“, „intrinsisch motiviert“ zu sein. Das aber genau ist paternalistisch, wenn man jemanden dazu „bekommen“ will, etwas Bestimmtes zu tun bzw. eine bestimmte Haltung zu haben.
Dass man sich warm anziehen muss, wenn man in eine Talkshow eingeladen wird, kann niemanden überraschen, es soll dort möglich sein, Kontroversen auszufechten. Das kann lehrreich sein und deutlich werden lassen, worin die Eigenheiten einer Position bestehen. In der gestrigen Sendung war Cansin Köktürk eingeladen, die allerding auch nicht damit gespart hat, auszuteilen. Sie ist Sozialarbeiterin und Mitglied von Bündnis 90/ Die Grünen. Grund der Einladung war offenbar eine Rede, in der sie das Sondierungspapier kritisierte.
Als Sozialarbeiterin verfügt sie über Erfahrung mit „Familien mit multiplen Problemlagen“. Dass sich Lanz über die Begrifflichkeit mokiert, zeigt nur, dass er mit der Fachsprache nicht vertraut ist. Frau Köktürk berichtete aus ihrer Erfahrung, den Wirkungen von Sanktionen, den Beschwernissen, die ihre „Klienten“ haben – Lanz nannte sie „Leute“ – und machte deutlich, dass die auf sanktionsbewehrte Leistungen gestützte Sozialpolitik für ihre Klienten nicht hilfreich sei (siehe auch hier und hier). Leider verquickte sie die Berichte aus ihrer Erfahrung mit ihrer Einschätzung zum Ergebnis der Bundestagswahl und anderen Fragen, was dazu führte, von der eigentlich brisanten Frage abzukommen.
Frau Köktürk sagte nämlich, dass es Gründe dafür gebe, weshalb Menschen so handeln, wie sie es von ihren Klienten kennt und es deswegen wichtig sei, die Gründe dafür zu verstehen, wenn man ihnen helfen wolle. Lanz, der stets betont, wie interessiert er daran sei, zu verstehen, was seine Gäste sagen, hörte aber gar nicht mehr zu, da er die Bemerkungen zur Bundestagswahl und der Ampelkoalition, die Frau Köktürk nebenbei machte, nicht einfach so stehen lassen wollte. Dabei war das viel weniger interessant, es sind zwei verschiedene Debatten, doch die eine – Bundestagswahl – eignet sich für Krawall, die andere nicht.
Geradezu eine verkehrte Welt war es, wenn Lanz, der die Eigenverantwortung hochhielt (auf die Hartz IV gerade nicht vertraut) und betonte, die junge Generation wolle endlich wieder einmal ihr Leben selbst in die Hand nehmen, dann fragte, wie man die Klienten denn motivieren könne – als fehle es an Motivation. Köktürk betonte hingegen, dass es eher die Hindernisse seien, die man aus dem Weg räumen müsse, das eröffne auch ihren Klienten Möglichkeiten, die sie nicht haben. Lanz war ob dieser Ausführungen perplex, hätten wir doch eine so umfassendes Sozialsystem wie nur wenige Länder. Nun, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Angesichts einer Bemerkung von Frau Köktürk bekundete er, sehr wohl zu wissen, was es heiße, mit wenig Geld zu leben, doch seinen Reaktionen auf ihre Ausführungen bezeugten eher das Gegenteil. Offenbar ist ihm der Zusammenhang von Sanktionen und Stigmatisierung überhaupt nicht bekannt oder er hat ihn einfach übergangen. Verdeckte Armut – auch hierbei spielen stigmatisierende Effekte die entscheidende Rolle – kennt er offenbar auch nicht.
Allzuschnell wurde die Diskussion über ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das übrigens Lanz ins Spielte brachte, sehr schnell auf die Finanzierungsfrage verlagert – die Frau Köktürk, wie sie offen sagte, aus dem Stand nicht beantworten könne. Wo war nun das Interesse Lanz‘ an den Problemlagen der Klienten geblieben? Dass der Frage, wie etwas zu finanzieren sei, aber die Frage vorausgehen müsse, was denn zu welchem Zweck gestaltet werden solle – eine eminent politische Frage -, wurde von Frau Köktürk benannt, von den anderen hingegen verkannt.
Es ist schon grotesk, wenn Lanz seine eigenen paternalistischen Einwürfe (den Leuten einmal über den Kopf streicheln) dann als freiheitlich, auf Selbstbestimmung gerichtete Überlegungen adelte, obwohl doch er es ist, der die Leute zu etwas anhalten oder „bekommen“ will, nicht aber ein BGE. Gerade ein BGE ist ganz im Einklang mit der Demokratie in Deutschland, die auf mündige Bürger setzt, die nicht erzogen werden müssen. Genau dies spielte aber keine Rolle.
Selbst Gerhard Baum, sozialliberales Urgestein der FDP, so kann man heute sagen, schwankte zwischen der Haltung, anderen eine Lebensperspektive eröffnen zu müssen, da war er nah bei Lanz‘ Paternalismus, und dem Eröffnen von Möglichkeiten, er sprach von „Chancen“, die der Einzelne dann ergreifen könne oder auch nicht.
Sascha Liebermann