Anfang November diskutierten Ulrich Schneider (Paritätischer Wohlfahrtsverband) und Hans-Jürgen Urban (IG Metall) über das Sondierungspapier, Jacobin hat diese Diskussion in gekürzter Version veröffentlicht. Darin findet sich eine Passage zum Bürgergeld, sie lautet so:
„Und was ist mit dem Bürgergeld?
US [Ulrich Schneider]: Vonseiten des Paritätischen ist völlig klar, dass Hartz IV erst dann überwunden ist, wenn die Sanktionen weg sind – und zwar vollständig weg sind. Und Hartz IV ist erst dann überwunden, wenn die Menschen mehr Geld erhalten. Und wenn diese beiden wichtigen Kriterien in einem Koalitionsvertrag nicht erfüllt sind, dann sollte man auch den Etikettenschwindel lassen und Hartz IV nicht in Bürgergeld umbenennen.“
Schneider hat sich schon wiederholt in diese Richtung geäußert und für eine Abschaffung von Hartz IV plädiert. Wie aber Hartz IV samt der Sanktionen abschaffen, wenngleich eine Erwerbsverpflichtung bestehen bleibt? Läuft das nicht auf den Vorschlag einer „Garantiesicherung“ hinaus, die immerhin die Erwerbsbereitschaft hinter sich ließe, nicht aber den Vorrang von Erwerbstätigkeit? Und weshalb nicht den nächsten Schritt machen und ein BGE einführen? Schneider äußert sich hier nicht weiter, aber in einem Interview mit n-tv aus dem vergangenen August wird er ausführlicher:
„[n-tv] Sie wollen Hartz IV mitsamt seinen Sanktionen abschaffen, warum nicht gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen?
[Schneider] Die Bedingung bleibt ja die Bedürftigkeit! Das ist ein Riesen-Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen. Wir, die als Verband gegen Sanktionen sind und die Zuwendungen armutsfest machen wollen, sagen nicht, dass das alle bekommen sollen, sondern man muss bedürftig sein. Ich persönlich bin gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee dahinter finde ich aber total sympathisch. Man geht davon aus, dass die Menschen kreativ sind und man sie nicht quälen braucht.“
In der Tat ist das der entscheidende Unterschied, denn eine Bedürftigkeitsprüfung setzt immer voraus, dass der Einzelne zuerst einmal bemüht sein muss, Erwerbseinkommen zu erzielen. Der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit bleibt also bestehen. Weshalb aber sollen das nicht alle bekommen? Es wäre doch viel einfacher, wenn das Existenzminimum einfach bereitstünde, ohne es beantragen zu müssen? Welche Vorbehalte hat Schneider hier, wenn es doch so ist, dass das Existenzminimum allen zusteht – auch nach heutigem Verständnis?
„Sie vergleichen das mit der Grundauffassung hinter Hartz IV, die Ihrer Meinung nach das Gegenteil vertritt. Aber ist es nicht naiv, wenn man bei Hartz IV alle Sanktionen abschaffen will und sagt, wir sind alle Freunde und haben uns alle lieb?
Faktisch ist es so, dass wir 1,2 Millionen Aufstockende haben in Hartz IV, die gehen jeden Tag arbeiten. Der größte Teil von ihnen sozialversicherungspflichtig, das sind also keine Minijobber. Die gehen arbeiten, obwohl sie nur 200 Euro mehr in ihrer Familie haben. Das ist doch ein schlagender Beweis, dass Hartz-IV-Beziehende weder faul sind, noch Drückeberger, sondern dass ein offensichtliches Bedürfnis da ist, sein Geld selbst zu verdienen. Diese Misanthropie, dieses Denken, dass ich Leute drangsalieren muss, dass ich sie in Armut halten muss, damit sie überhaupt arbeiten wollen, so wie es hinter Hartz IV steht, das wird den Fakten einfach nicht gerecht. “
Des Interviewers Frage ist provokant, es geht ja nicht darum, dass „wir uns alle lieb“ haben, es geht darum, was ich dem anderen zutraue, was das Gemeinwesen seinen Bürgern zutraut, aber nicht im Sinne einer großzügigen Geste, sondern als Voraussetzung für sein Fortbestehen. Schneider weist zurecht darauf hin, dass es an Belegen dafür mangele, Sanktionen überhaupt zu benötigen. Wenige Absätze später stellt er klar:
„Wir erleben die gleiche Diskussion um schwarze und weiße Pädagogik, die wir an der Schule hatten, bei Hartz IV. Dass Menschen mit sehr wenig pädagogischer Phantasie sagen: „Ja hör mal, da kann man doch nicht drauf verzichten. Man muss die Menschen doch mal richtig knuten können, sonst wollen die ja nicht mehr.“ Es sind Menschen. Und genauso wenig wie ich bei Kindern einen Rohrstock brauche, brauche ich ihn bei Erwachsenen.“
Was spricht denn dann gegen ein BGE? Weshalb will Schneider an der Bedürftigkeitsprüfung für das Existenzminimum festhalten, wenn er doch den Bürgern so viel zutraut? Auch Reiche haben einen Anspruch auf das Existenzminimum – wäre denn Schneider auch für die Abschaffung der Grundfreibeträge (siehe auch hier) heutigen Zuschnitts? Darüber erfährt man nichts, wie so häufig, wenn gegen ein BGE eingewandt wird, es sollen doch nicht diejenigen erhalten, die es nicht brauchen. Das Existenzminimum wird aber nicht bereitgestellt, weil es gebraucht wird, sondern weil die Person als solche ein Anrecht darauf hat und das Gemeinwesen die Verpflichtung, es bereitzustellen.
Sascha Liebermann