„Beim Bürgergeld bleibt die Armut politisch gewollt“…

…so ist ein Gespräch mit dem Sozialberater Ulrich Franz in der Freitag übertitelt, in dem Franz den Finger in die Wunde des Bürgergeldes legt und manches andere berichtet.

An einer Stelle weist Franz auf Folgen hin, die digitalisierte Prozesse in der Beantragung und Bearbeitung für Leistungsbezieher hätten, denn:

„[Franz] […] Viele Menschen mit wenig Geld sind digital nicht gut ausgestattet, Viele haben zwar ein – oft veraltetes – Smartphone, aber keinen Laptop, was das Schreiben von E-Mails und Verschicken von Formularen kompliziert macht. Zudem ist die Frage, ob die Software der Jobcenter dann funktioniert: Viele Fälle landen vor Gericht, in denen ein Formular eingeworfen wurde, aber keine Bestätigung kam – und es als „nicht eingereicht“ galt. Wie sicher ist es, dass ein digital eingereichtes Formular registriert wird? In der Corona-Zeit litten zudem viele darunter, dass es keinen Kontakt gab, zu den Beratungsstellen und auch beim Jobcenter. Ich kenne einen Fall, in dem ein Mann dringend Geld brauchte, Kühlschrank leer und nichts auf dem Konto. Ein Security-Angestellter wies ihn vorm Jobcenter ab – obwohl man in diesem Fall einen Anspruch auf eine „Notfallzahlung“ hat.“

Was also ganz praktisch und praxisnah klingt im Koalitionsvertrag, weil mit der Technologie eine Vereinfachung möglich wäre, bedarf Voraussetzungen, die nicht ohne weiteres gegeben sind. Das erinnert an die Diskussionen über die Zuhausebeschulung während der Pandemie, als in Schulen oft schlicht nicht bedacht wurde, dass die nötigen Geräte dafür nicht verfügbar sind (und in den Schulen selbst nicht verfügbar waren). Hier scheinen also Lösungsvorschläge entwickelt zu werden, die an der Realität der Leistungsbezieher vorbeigehen, und zwar gerade an denen, die der Hilfe in besonderem Maße bedürfen.

Franz schildert weitere Widrigkeiten, die Leistungsbeziehern widerfahren. An einer weiteren Stelle geht es um Sanktionen und die „Augenhöhe“, die in Beratungen gelten soll:

„[Franz] Wenn es dabei bleibt, dass eine Sanktion droht, wenn eine Beziehende von Bürgergeld eine Maßnahme ablehnt, dann gibt es diese Augenhöhe, von der im Koalitionsvertrag die Rede ist, sowieso nicht. Das ist eines der Hauptprobleme von Hartz-IV-Beziehenden: dass sie zu der Person, die für sie verantwortlich ist, kein Vertrauen haben. Wenn es mir nicht gut geht, ich gerade durch den Wind bin, reagiert der Angestellte dann verständnisvoll – oder haut er mir die nächste Maßnahme rein? Lässt er mich für ein paar Tage wegfahren, oder zwingt er mich, zu Hause zu bleiben, aufgrund der Aufenthaltsanordnung? Diese Abhängigkeit von einem fremden Angestellten löst massive Ängste aus.“

Franz bringt auf den Punkt, was es bedeutet, Sozialleistungen sanktionsbewehrt zu gestalten. Eine solche Konstellation ist machtasymmetrisch. Was er auch heraushebt ist, dass die Leistungen ein bestimmtes Ziel haben: die Arbeitsaufnahme. Genau das ist die Krux solcher Leistungen, im bestehenden Gefüge allerdings ganz konsequent. Entsprechend führt ein Weg daraus nur über eine Abschaffung von Sanktionen. Dann aber müsste auch der Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgegeben werden.

Siehe unseren früheren Beiträge zum Bürgergeld hier, zu Sanktionen hier.

Sascha Liebermann