„Das Bürgergeld ist ein Etikettenschwindel“ oder Arbeitgebervertreter, die nicht unternehmerisch denken,…

…so könnte das Interview mit Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger für RP-Online übertitelt werden. Was sagte er dazu genau?

„[RP-Online] Mit dem Bürgergeld will die Ampel Hartz IV überwinden. Die Vermögensprüfung soll in den ersten zwei Jahren entfallen. Welches Signal wird da gesetzt?

Dulger Es wird doch völlig außer Acht gelassen, dass es eine zentrale Grundlage unseres Sozialstaates ist, dass die Gemeinschaft allen denjenigen hilft, die sich nicht selbst helfen können und nicht über ausreichend eigenes Vermögen und Einkommen verfügen. Insgesamt soll der Fokus offenbar weg vom aktivierenden Sozialstaat wieder zu einem verwahrenden Sozialstaat gelegt werden, der sich im Geldausgeben erschöpft. Wir sollten die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die wirklich bedürftig sind und alle Kraft darauf ausrichten, sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. All dies in einer Zeit, wo die Chancen am Arbeitsmarkt durch die demografische Entwicklung und den Arbeitskräftemangel auch für schon länger arbeitslose Menschen besser sind als jemals zuvor. Das ist für mich völlig unverständlich.“

Vom „aktivierenden“ zum „verwahrenden Sozialstaat“, das sei, wozu das Bürgergeld führe. War denn fehlende Aktivität vor den Hartz-Reformen tatsächlich ein Problem? Bekannte Untersuchungen wie z. B. zur „Armutsfalle“ lassen das gerade nicht erkennen, es handelt sich vielmehr um ein Klischee. Dulger fehlt offenbar jede Vorstellung davon, dass die Demokratie ohnehin auf die „Aktivität“ ihrer Bürger setzt und setzen muss, es wird schließlich keiner dazu animiert oder zum Engagement getragen. Das gilt auch für Erwerbstätigkeit, denn wie sich jemand darin orientiert, welche Aufgaben ihn interessieren und wie er sich auf diese einlässt, hängt im wesentlichen von ihm und dann von den Arbeitsbedingungen ab. Sieht Dulger das Gemeinwesen denn als Animateur? Was Dulger als Alternativziel ausgibt, heißt eben, Sanktionen als Instrument beizubehalten und kein Engagement jenseits von Erwerbstätigkeit als legitime Haupttätigkeit anzuerkennen –  der Arbeitsmarkt geht über alles. Wer in diesem Fahrwasser sich bewegt und darin auch bleiben will, das macht Dulgers Ausführungen ganz konsequent, muss jede Abweichung für gefährlich halten. Abgesehen davon, dass diese Haltung den Bürgern gegenüber einem Dompteur gleichkommt, fragt sich allerdings auch, ob sie denn für die für Unternehmen so bedeutsame Leistungserbringung hilfreich ist? Es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, im Grunde kaum vorstellbar, dass Dulger noch nie die Erfahrung gemacht haben sollte, wie unproduktiv es ist, Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich für die Aufgabe, die sie übernehmen sollen, nicht oder nur wenig interessieren. Er wäre allerdings nicht der erste, der Unternehmen als eine Art Erziehungsanstalt verstünde, obwohl das weder ihre Aufgabe ist noch sie dazu legitimiert sind. Ein Unternehmen ist eben nur ein Arbeitgeber oder -nehmer, mehr nicht. Hierauf bezogen hat es Verantwortung. Deswegen muss er – etwas anderes steht ihm gar nicht zu – sein Augenmerk nur auf Mitarbeiter, also einer Aufgabe verpflichtete Angestellte, richten, nicht aber auf die ganze Person mit all ihren Eigenheiten und Vorlieben. Dulger hingegen, wenn er von der Integration in den Arbeitsmarkt spricht, reproduziert die Illusion, als erfahre die ganze Person um ihrer selbst willen Anerkennung in einer Organisation, ganz so, wie es heute üblich ist davon zu reden, dass in Unternehmen „der Mensch“ im Mittelpunkt stehe. Wertschöpfung (siehe auch hier) ist stattdessen die Aufgabe eines Unternehmens, was nicht mit Gewinnmaximierung gleichzusetzen ist, und gerade diesem Zweck könnte besser entsprochen werden, wenn auf die Leistungsbereitschaft des Einzelnen gesetzt würde. Weshalb betont Dulger das nicht? Weiter sagte er

„Fallen wir mit dem Bürgergeld zurück in die Zeit vor der Agenda 2010 von Gerhard Schröder?

Dulger Bürgergeld klingt gut, ist aber ein Etikettenschwindel. Die Hartz-Reformen von Gerhard Schröder waren mutig und haben eine Rekordarbeitslosigkeit abgebaut und zu einer Rekorderwerbstätigkeit geführt. Wir sollten daher die Anreize so setzen, dass es attraktiv ist, in eine Beschäftigung zu gehen. Dazu zählen nicht nur niedrige Steuern und Sozialabgaben, sondern auch die Erkenntnis, dass Sozialleistungen von denen erarbeitet werden müssen, die ihr Einkommen selbst verdienen. Die Koalition kann ja Hartz IV umbenennen – aber die Substanz dieser mutigen Reformen darf nicht verloren gehen. Etwas was Bürgergeld heißt, aber wie ein bedingungsloses Grundeinkommen wirkt, ist sicherlich das Gegenteil.“

Alleine schon die einseitige (und zweifelhafte) Bewertung dessen, was die Agenda 2010 bewirkt habe, spricht Bände (siehe hier). Wie schon zuvor erkennbar, ist die Steigerung von Erwerbsteilnahme offenbar das entscheidende Ziel für Dulger, doch auch hier erwähnt er nicht, dass Teilzeitarbeit hier eine große Rolle spielt, mit allen Folgen, die sie hat (Sozialversicherungsansprüche). Hätte Erwerbseinkommen und damit Erwerbstätigkeit nicht die Bedeutung, die ihr heute beigemessen werden, würden wir über Erwerbslosigkeit ganz anders reden können. Ohnehin müssten aus unternehmerischer Sicht andere Fragen wichtiger sein: Einkommensstabilität – damit Binnenkaufkraft gestärkt ist; ein möglichst gutes Passungsverhältnis zwischen Erwerbstätigen und Aufgaben, die sie wahrnehmen – weil das dem Ziel der Wertschöpfung dienlich ist; vorbehaltlose Automatisierung, wo sie sinnvoll ist – um Lebenszeit von Mitarbeitern nicht unnötig zu beanspruchen. Dulger hebt nichts davon hervor, Wertschöpfung betrachtet er offenbar nicht als erstes unternehmerisches Ziel, dem andere Frage nachgeordnet sind, wie z. B. das Entstehen von Arbeitsplätzen. Was ist denn dann die Aufgabe von Unternehmen (die Auffassung Götz W. Werners dazu scheint eine rare Ausnahme zu sein, siehe hierhier und hier)? Was die kosmetische Ausdrucksweise von „Anreizen“, die es „attraktiv“ machen sollen, „in Beschäftigung zu gehen“, betrifft, so dient sie hier lediglich dazu zu verschleiern, dass gegenwärtig angesichts von sanktionsbewehrten Sozialleistungen nicht vor dem Arbeitsmarkt ausgewichen werden kann, ohne ins Abseits zu geraten. Zuletzt darf das Kostgänger-Argument nicht fehlen, das besagt, Sozialleistungen müssen von denen erarbeitet werden, die erwerbstätig sind – ja, die Frage ist nur welche Arbeit ist es, die diese Erarbeitung überhaupt erst möglich macht? Es ist die familiale Sorgetätigkeit, sie bleibt wieder unerwähnt. Davon abgesehen ist ein Gemeinwesen keine Bilanzgemeinschaft nach Kosten-Nutzen-Kalkül, sondern ein Solidarverband von Bürgern. Aber das scheint im allgemeinen nicht hoch im Kurs zu stehen. Den Unterschied zwischen Make-up auf Hartz IV und einem Bedingungslosen Grundeinkommen scheint ebenfalls nicht klar zu sein. Es ist doch erstaunlich, dass selbst Arbeitgebervertreter sozialpolitische Formeln übernehmen, statt herauszustellen, worin ihre Aufgabe besteht und wofür sie die Infrastruktur des Gemeinwesens samt der Lebenszeit von Arbeitnehmern beanspruchen dürfen.

Sascha Liebermann