… – Hannes Koch schreibt in der taz über eine Teilnehmerin des Pilotprojekts Grundeinkommen, das vom Verein Mein Grundeinkommen initiiert und u.a. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung begleitet wird. Wie schon viele der von Mein Grundeinkommen gesammelten und erzählten Geschichten ist auch die von Koch insofern interessant, als sie Einblick in die Lebensvorstellung eines Menschen gibt, der ohne Grundeinkommen schon seine Vorstellungen hatte und seinen Weg gemacht hat. Beeindruckend ist an diesen Geschichten immer die Vielfalt der Lebensentwürfe, auf die man stößt, das Ringen mit Lebensbedingungen und die Beharrlichkeit darin, Anliegen zu verfolgen. Zugleich kehren bestimmte Fragen, die sich jedem stellen, wieder, so dass die Lebensentwürfe immer als Antwort auch auf allgemeine Fragen verstanden werden können.
Diese Vielfalt, die Eigensinnigkeit des Lebens und seine Autonomie zu erforschen – dazu bräuchte es allerdings keines Pilotprojekts, dessen Erkenntnisse ohnehin beschränkt sein werden, was am Charakter solcher Feldexperimente liegt (siehe meinen Kommentar dazu hier). Doch lassen die Geschichten aufhorchen und verlangen nach einer Forschung, die diese konkreten Lebensentwürfe ernst nimmt und sie nicht nur in ihrer Einzigartigkeit betrachtet, sondern als Antwort auf eine allgemeine Frage versteht und ihre Gemeinsamkeiten herausstellt. Zu leisten ist das allerdings nicht mit Instrumenten der standardisierten Sozialforschung, deren Weg zum Individuum durch seine Subsumtion unter vordefinierte Antworten bzw. zu erhebende Merkmalskategorien beschränkt ist (siehe den vorangehenden Hinweis).
Die von Koch berichtete Geschichte ist noch in anderer Hinsicht interessant, und zwar als Zeugnis des Zeitgeistes. Wenn es z. B. heißt:
„Beispielsweise bestehe keine Notwendigkeit [wegen des Grundeinkommens, SL], ’nach sechs Monaten unbedingt eine Tagesmutter finden zu müssen – und dann eine Kita, in der sich das Kind wohlfühlt‘. Bäcker kann sich etwas mehr Zeit lassen. Sie muss auch nicht unbedingt so schnell wie möglich in den Job zurück, um Geld zu verdienen.“
Das Elterngeld wird heute in voller Höhe für ein Jahr bereitgestellt, das Grundeinkommen aus dem Projekt erhält sie obendrauf. Sie könnte sich also, je nach Lebenshaltungskosten, erheblich mehr Zeit lassen als zuvor. Woher kommt der Druck? Und auch wenn sie kein Grundeinkommen erhielte, könnte der Kindsvater sie doch unterstützen, damit sie nicht nach sechs Monaten wieder erwerbstätig sein müsste? Und selbst für den Fall, dass er es nicht täte, könnte sie den Bezug von Sozialhilfe prüfen lassen, wenn sie denn länger zuhause bleiben wollte (bis einschließlich des dritten Jahres), denn bei allem stigmatisierenden Charakter von Sozialhilfe handelt es sich um einen Rechtsanspruch. Es fragt sich also, ob der Druck hier weniger von der Einkommensseite herrührt als von einer bestimmten Vorstellung davon, was Unabhängigkeit bedeutet. In der folgenden Passage heißt es dann:
„Sie denkt an ihre Mutter, die in den 1980er Jahren ihren Beruf aufgab, um die Kinder zu erziehen. Der Vater bestritt den finanziellen Lebensunterhalt. Selbst nach der Trennung der Eltern ist die Mutter finanziell abhängig von ihrem Ex-Partner, weil ihre Rente nicht reicht. Auch dank des Grundeinkommens „stecke ich mit Kind nicht in dieser Abhängigkeitsfalle“. Sie müsse ’niemanden um Hilfe bitten'[!, SL].“
Was Koch hier zitiert, gilt natürlich nur für die unmittelbar bevorstehende Zeit, nicht aber für die Rente, die im Beispiel eine Rolle spielt. Denn die nicht vorhandenen Rentenanwartschaften der Mutter Bäckers rühren daher, dass der erwerbszentrierte Sozialstaat keine Einkommenssicherung in Absehung von Erwerbstätigkeit oder Erwerbsbereitschaft vorsieht und Kindererziehungszeiten nur geringfügig berücksichtigt. Deutlich wird hier, welche Folgen ein erwerbszentrierter Sozialstaat hat, weil er keine dauerhafte Absicherung bereitstellt, die unabhängig von Erwerbstätigkeit oder Erwerbsbereitschaft existiert und in der Gegenwart schon sich auswirkt. Daraus ergibt sich dann die Abhängigkeit der Mutter nach der Trennung, denn sie konnte ja, wenn sie Zeit für die Kinder haben wollte, nicht ausreichend Rentenansprüche erwerben. Heute wird in der Regel als Ausweg aus dieser Lage die Erhöhung der Erwerbsquote und die Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit angestrebt.
Allerdings ist die Rede von einer Abhängigkeit wiederum verkürzt, denn abhängig sind in einer Paarbeziehung immer beide voneinander, das macht eine Paarbeziehung aus, man lebt – und wohnt nicht nur – zusammen, teilt das Leben, richtet sich aufeinander aus. Eine solche Abhängigkeit gehört also dazu, ist gar nicht vermeidbar, aus ihr folgt aber ebenso: Einkommen ist immer gemeinsames Einkommen, ganz gleich, wer es heranschafft. Weil es ein solches gemeinsames Leben ist, gibt es Unterhaltsansprüche und einen Versorgungsausgleich für den Fall einer Trennung. Beides würde mit einem BGE zwar in einem anderen Licht erscheinen, doch würde auch ein BGE die für eine Paarbeziehung notwendige Abhängigkeit voneinander nicht aufheben, die in ganz anderer Hinsicht viel stärker ist als in finanzieller, und zwar in affektiver, emotionaler. Weshalb schreibe ich das? Weil die Deutung in Kochs Beitrag Paarbeziehungen als etwas erscheinen lässt, das man haben könnte, ohne abhängig zu sein. Denn erst, wenn man der Auffassung ist, diese Abhängigkeit ließe sich vermeiden, kann man die Vorstellung haben, ein BGE ändere daran etwas. So sehr ein BGE das Individuum um seiner selbst willen stärkt, so sehr es auf einfache Weise wirksamer wäre als heutige Leistungen, so sehr hebt es grundsätzliche Abhängigkeiten nicht auf, es verlagert sie eher auf eine andere Ebene. Wenn also das Gefühl, von anderen abhängig zu sein, das eigentliche Problem darstellt, dann findet sich eine Lösung dafür nicht in einer Vermeidung von Abhängigkeit, sondern eher in ihrer Anerkennung. Auch das bringt ein BGE zum Ausdruck.
Sascha Liebermann