…in dieser Stellungnahme ist folgendes zu lesen:
„Aus ökonomischen Gesichtspunkten ist einzig der neoliberale BGE-Ansatz umsetzbar. Bei diesem würden alle Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in das BGE zusammengefasst werden.“
Diese Einschätzung ergibt sich aus der Bezugnahme auf eine ausführliche Stellungnahme von ver.di aus dem Winter 2017, die behauptet, was hier zitiert wird. Doch, wenn der bestehende Sozialstaat finanzierbar ist, wir uns Grundfreibeträge leisten, weshalb sollte das mit einem BGE dann sonderbarerweise nicht der Fall sein. Dieser Schluss ist erst möglich, wenn man der Auffassung ist, ein BGE senke die Leistungsbereitschaft. Da wird es interessant, es geht um Grundlagen (siehe hier und hier).
Interessant ist hier, dass die stigmatisierende Seite des an Bedürftigkeit ausgerichteten Sozialstaats gar nicht thematisiert wird, man nehme diese Bemerkung:
„Für die Mehrheit der lohnabhängig Beschäftigten, welche die Hauptlast einer BGE-Finanzierung leisten müssten, würde sich kein finanzieller Vorteil ergeben. Durch den Wegfall einer Bedürftigkeitsprüfung bedarfsorientierter Sonderzahlungen könnte es je nach Höhe eines pauschalen BGE sogar zu einer deutlichen Schlechterstellung kommen. Dies stellt insbesondere eine Armutsgefährdung niedriger Einkommen, Erwerbsloser und Rentner*innen dar.“
„Hauptlast“ der Finanzierung, kein „finanzieller Vorteil“ – die Frage ist, woran sich ein finanzieller Vorteil bestimmt, spielt es dafür eine Rolle, in welcher Form das Einkommen bereitsteht, der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgehoben wird, die Machtverhältnisse verschoben werden? Wenn das in der Bewertung einen Unterschied macht, muss es für die Aussage berücksichtigt werden. Dann spielt es für alle eine Rolle, für die ver.di-Jugend offenbar nicht.
Da ein BGE nicht in Frage kommt, bietet die ver.di-Jugend dies:
„Als ver.di Jugend stehen wir für die Antworten auf diese Krisenerscheinungen. Mit unserer Arbeit in Betrieben, Dienststellen und Fach-/Hochschulen, in Gremien der Mitbestimmung und Tarifkommissionen streiten wir für bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und höhere Vergütungen. Wir setzen uns schon lange für ein besseres BAföG, die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die Erhöhung der Grundsicherung und Verbesserung des Rentenniveaus ein. Für eine echte bedarfsadaptierte Unterstützung ohne Sanktionen und eine gerechtere Verteilung der Kosten über alle Teile unseres Wirtschaftssystems. Der Wunsch nach einem BGE muss daher auch als ein Appell an uns als Gewerkschaftsjugend gehört werden, unsere Forderungen, Möglichkeiten und Stärken, noch sichtbarer und deutlicher in die gesellschaftliche Öffentlichkeit und Arbeitswelt zu tragen.“
So, so, eine „bedarfsorientierte Unterstützung ohne Sanktionen“ – wie ist das in einem erwerbszentrierten Sozialstaat möglich? Dazu müsste mindestens ein Vorschlag wie die Garantiesicherung à la Robert Habeck enthalten sein, um aus dem Fahrwasser herauszugelangen (siehe auch zur „repressionsfreien Grundsicherung“). Davon ist hier nichts zu lesen, insofern bleibt es bei der Erwerbszentrierung. Zuvor übrigens war noch dies zu lesen, das tief blicken lässt:
„Dennoch stellt sich die Frage, warum viele auch gerade sozial-orientierte Bürger*innen und auch Gewerkschaftsmitglieder ein BGE fordern. In der Utopie würde dieses eine staatlich garantierte finanzielle Absicherung für alle darstellen, ohne Zwänge und Anforderungen. Es wird suggeriert, dass Menschen nur so wirklich frei in ihrer Entscheidung zur Arbeit wären, sodass eine vollendete Entfaltung möglich wäre.“
Da soll aber keiner sagen, man würde der ver.di-Jugend unterstellen, sie befürworte „Zwänge“, als höbe ein BGE die Fragen auf, die sich dem Leben nun einmal stellen, sowohl individuell wie kollektiv. Da wären z. B. die Frage danach, was der Einzelne mit seinem Leben anfangen will, ein BGE beantwortet sie nicht, und ausweichen kann man ihr auch nicht; weiterhin müssten wir uns als Gemeinwesen natürlich darüber abstimmen, wie wir leben wollen, auch diese Frage beantwortet ein BGE nicht, es schafft nur andere Möglichkeiten, sich ihr zu stellen. Die Frage ist also, von welchen „Zwängen“ die Rede ist, sind es die der erwerbszentrierten „Arbeitsgesellschaft“, die alles nicht erwerbsförmige zum Hobby degradiert oder sind es die „Zwänge“, die sich aus dem Leben in seinem umfassenden Charakter selbst ergeben? Nur von ersteren befreit ein BGE, ohne die Bedeutung von Erwerbstätigkeit zu unterschätzen.
Sascha Liebermann