…mit diesem Beitrag macht Janina Schütt in der Freitag indirekt auf etwas aufmerksam, das schon lange hätte aufgespießt werden können, meines Wissens aber nicht aufgespießt wurde. Auch wenn es in ihrer Stellungnahme nur um den knapp bemessenen Betrag des Bürgergeldes geht, ist dies ein guter Anlass, sich einmal zu fragen, was denn eigentlich ein bzw. der Bürger ist und ob das Bürgergeld dem entspricht und vielleicht sogar das Gegenteil davon darstellt.
Da es sich beim Bürgergeld um eine sozialstaatlich organisierte und damit demokratisch legitimierte Leistung handelt, soll es hier nur um diese Seite des Bürgerbegriffs gehen, den citoyen also (und nicht um den bourgeois). Er kommt in der Diskussion um den Sozialstaat und ebenso um ein Bedingungsloses Grundeinkommen genauso zu kurz wie jetzt beim Bürgergeld (siehe z. B. hier und hier), das hat einen einfachen Grund. Zwar gibt es eine Fürsorgeverpflichtung des Gemeinwesens gegenüber seinen Angehörigen – den Staatsbürgern -, doch ruht diese bislang auf dem normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit. Vom Kindergeld einmal abgesehen setzen alle sozialstaatlichen Leistungen zu ihrem Bezug entweder Erwerbsbeteiligung voraus oder haben sie zum Ziel, da gibt es kein Entkommen. Genau genommen steht also nicht der Bürger als Angehöriger des Gemeinwesens (bzw. davon abgeleitet als Person mit Lebensmittelpunkt in Deutschland) im Zentrum des Sozialstaats, sondern der Erwerbstätige. Das ist keine neue Erkenntnis und dennoch ist es verwunderlich, dass an diesem Umstand selbst außerhalb der BGE-Diskussion wenig kritisiert wird, es herrscht vielmehr große Einigkeit, dass diese so sein solle, auch dort, wo Sanktionen kritisiert werden.
Dabei gibt die semantische Aufhübschung der erwerbszentrierten sozialstaatlichen Sicherung in der Bezeichnung „Bürgergeld“ genug Anlass, um die Entstellung des Bürgers im Bürgergeld zu kritisieren. Betrachtet man es grundsätzlich, sind die Bürger als Staatsbürger Legitimationsquelle der staatlichen Ordnung. Dieser Status kommt ihnen zu, ohne dass sie dazu Gegenleistungen erbringen müssen und sie können diesen Status nur dann in seiner vollen Tragweite einbüßen, wenn sie gegen diese Ordnung agieren. Ein Bürgergeld in diesem Sinne müsste also eine Einkommensleistung sein, die sich an diesem Status orientiert, sie müsste vorbehaltlos gewährt werden, ganz gleich, ob erwerbstätig bzw. erwerbsbereit oder nicht, einfach nur, weil die Bürger Bürger sind. Ralf Dahrendorf (siehe hier und hier) sprach in diesem Zusammenhang einst von einem „konstitutionelle[n] Anrecht“. Eine solche Leistung würde die fundamentale Stellung der Bürger um ihrer selbst und um des Gemeinwesens selbst willen anerkennen. Von diesem Zentrum aus betrachtet stellt sich dann als nächste Frage, wie mit den Nicht-Staatsbürgern zu verfahren wäre, die auch Bürger sind, weil sie ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. In Anlehnung an heutige Regelungen wäre es naheliegend eine solche Einkommenssicherungsleistung, treffend BGE genannt, für sie ebenfalls vorzusehen – das würde ihnen signalisieren, welchen Stellenwert die Bürger als Träger der staatlichen Ordnung haben. Andere sozialstaatlichen Leistungen, die Bedarfen dienen, die über eine solche Einkommenssicherung hinausgehen, könnten an die Feststellung von Bedürftigkeit gebunden werden, dienten aber gleichwohl nicht dem Vorrang von Erwerbstätigkeit wie heute, sondern der materiellen Absicherung der Autonomie der Bürger.
Wie steht es also in dieser Hinsicht um das gerade eingeführte „Bürgergeld“? Schlecht – das wäre wohl die treffende Antwort, denn es verkehrt das Grundverhältnis, wird nur bei Bedürftigkeit gewährt, hält an der Erwerbsteilnahme als Ziel fest und ist damit das Gegenteil eines wirklichen Bürgergeldes. Damit verstärkt es eine Miss- bzw. Fehldeutung des Bürgerstatus, der zwar mit der politischen Grundordnung Deutschlands nichts gemein hat, mit dem fehlenden Bewusstsein über diese Grundordnung allerdings alles. Folglich kann behauptet werden, Bürger sei erst, wer erwerbstätig ist oder werden will.
Sascha Liebermann