Welche „soziale Integration“? Lisa Herzog über Jobgarantie, Demokratie und ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Zu lesen sind Lisa Herzogs Ausführungen in der Basler Zeitung online (Bezahlschranke), wenige Auszüge seien hier kommentiert. Für frühere Anmerkungen zu Ausführungen von ihr, siehe hier.

Im Interview geht es um verschiedene Fragen, die nachfolgend zitierte Passage dreht sich um die Folgen der Pandemie für die Arbeitsplätze und wie darauf geantwortet werden könnte:

„[BAZ] Eine Jobgarantie?

[Herzog] Eine solche finde ich interessanter als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dass man etwa ein staatlich unterstütztes Praktikum im öffentlichen oder privaten Bereich machen kann. Das wäre reizvoll für Jugendliche und junge Erwachsene, die im Moment den regulären Jobeinstieg nicht gut schaffen. Es eröffnet den Leuten eine sinnvolle Tätigkeit: Arbeit ist ja so viel mehr als nur Einkommensgenerierung, bedeutet oft auch soziale Integration.“

Als Beispiele für eine Jobgarantie und dafür, dass sie „interessanter“ sei als ein BGE, führt Herzog staatlich unterstützte Praktika an. Das ist ein etwas überraschendes Beispiel, denn der Vorschlag einer Jobgarantie soll doch vor allem auf „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ reagieren und Erwerbsbereiten einen Arbeitsplatz anbieten.

Wie begründet sie das? Weil damit für junge Erwachsene in dieser schwierigen Phase eine „sinnvolle Tätigkeit“ eröffnet werde – damit ist klar, dass etwas Sinnvolles nicht jenseits der Erwerbstätigkeit liegen kann. „Arbeit“ bedeute „oft auch soziale Integration“, deswegen sei eine Jobgarantie wichtig. Woran bemisst sich, wann etwas für jemanden sinnvoll ist? Hierfür lässt sich zum einen als Kriterium heranziehen, dass eine Leistung für andere erbracht wird; zum anderen allerdings muss beachtet werden, dass die Wahrnehmung von etwas als sinnvoll von der Person selbst abhängt. Der Beruf der Lehrers z. B. ist äußerst bedeutsam und dennoch nicht für jeden das richtige. Deswegen schützt das Grundgesetz die freie Berufswahl (Art. 12, GG), damit Arbeitsaufgabe und -ort möglichst gut zur entsprechenden Person passen. Für Herzog spielt das keine Rolle. Welche Art „sozialer Integration“ kann ein Arbeitsplatz leisten? Wie jeder Arbeitsplatz als Errungenschaft des modernen Erwerbslebens und der Befreiung aus der Leibeigenschaft integriert nur bezogen darauf, eine Aufgabe zu übernehmen und zu erledigen, das geschieht in Absehung von der Person als ganzer oder anders ausgedrückt: der Einzelne in seinen Eigenheiten als ganze Person ist in Erwerbsarbeitsverhältnissen nur solange von Bedeutung, wie er seine Aufgaben erledigt. Diese Integration ist, wenn man so will, eine funktional-spezifische. Auch die Rechtsform ändert daran nichts, ein Unternehmen hat diesbezüglich keine sozialfürsorgerische Aufgabe, diese kommt dem Gemeinwesen zu, das der demokratischen Kontrolle unterliegt. In ihm, ganz anders als in einem Arbeitsverhältnis, stehen die Bürger als Bürger im Zentrum, sie sind die Legitimationsbasis und tragen das Gemeinwesen als ganze Personen. Hier gilt nicht das Kriterium der Leistung. Während hier die Bürger eben nicht austauschbar sind aufgrund ihres Status, zeichnet die Austauschbarkeit Arbeitsverhältnisse gerade aus.

Von der BAZ kommt entsprechend eine Rückfrage.

„Wird so etwas nicht schnell zum Jobzwang?

Natürlich gibt es Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht oder nur reduziert arbeiten können. Aber ich glaube, das Hauptproblem gerade für viele Jüngere im Moment ist, dass sie, abgesehen von der frustrierenden Jobsuche, quasi zur Untätigkeit verdammt sind. Bezüglich der Gefahr des Zwangs müsste man freilich festlegen, dass so eine Jobgarantie nicht andere Sicherungsmassnahmen verdrängt.“

Herzog fokussiert hier auf „Jüngere“, die aufgrund ihrer Lebensphase gerade den Einstieg in die Arbeitswelt zu finden hoffen. Das ist zwar zutreffend, hängt aber auch damit zusammen, dass ihnen ein Einstieg in eine Tätigkeit jenseits der Erwerbstätigkeit nachteilig ausgelegt werden würde, kein Einkommen mit sich brächte und normativ abgewertet ist. Herzog reproduziert hier den status quo, ohne zu fragen, ob das denn so sein müsste. Würden anderen Tätigkeiten mehr Raum gegeben, indem sie ebenso Anerkennung fänden, was eine normative Relativierung von Erwerbstätigkeit voraussetzte, dann wären junge Erwachsene heute freier und selbstbestimmter. Zur „Untätigkeit“ sind sie eben nur „verdammt“, weil Engagement außerhalb der Erwerbssphäre als Untätigkeit gilt. Welche anderen Sicherungsmaßnahmen meint sie, die nicht verdrängt werden dürften? Wenn sie von heutigen ausgeht, dann sind es die mit Erwerbsbereitschaft als Bezugsbedingung versehenen Leistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, die sie im Auge haben muss. Sie sind jedoch gerade Ausdruck des Vorrangs von Erwerbstätigkeit und haben eine Stigmatisierung der Bezieher zur Folge. Das hält sie offenbar für angemessen.

Abschließend sei noch diese Passage zitiert:

„Wie tun wir das?

Für viele ist der Job nur eine Plackerei, bei der sie respektlos behandelt, völlig fremdbestimmt werden. Ihr eigentliches Leben findet anderswo statt. Die Bedingungen dafür, dass Arbeit positiver Bestandteil des Lebens ist, sollten aber für alle Mitglieder der Gesellschaft herrschen – eben auch dadurch, dass sie aus dem «ersten Arbeitsmarkt» aussteigen, ohne Statusverlust etwas Sinnstiftendes tun können.“

Wie kann man denn ohne „Statusverlust“ aus dem ersten Arbeitsmarkt aussteigen? Oder will man womöglich erst gar nicht einsteigen, weil man andere Aufgaben für wichtiger erachtet? Das kommt bei Herzog nicht vor, kam es auch in dem oben erwähnten Interview auf Zeit Online nicht. Hier scheint sie die Tragweite eines BGE nicht zu sehen oder nicht für richtig zu halten, denn das würde genau vieles von dem  ermöglichen, was sie hier offenbar für erstrebenswert hält, alleine dadurch, die Entscheidungsmöglichkeiten des Einzelnen zu verbessern.

Im Interview wird das Manifest „Arbeit – demokratisieren, dekommodifizieren, nachhaltig gestalten“ erwähnt, siehe dazu unseren Kommentar hier.

Sascha Liebermann