„Die Wirtschaft fußt auf der unbezahlten Arbeit von Frauen“…

…so ist ein Interview mit Uta Meier-Gräwe übertitelt, das in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht wurde. Ich kommentiere hier einige Ausschnitte:

„Frau Meier-Gräwe, Sie sagen, bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit sei der größte Wirtschaftssektor. Wie berechnen Sie das?

[Meier-Gräwe] Durch Erhebungen des Statistischen Bundesamts wissen wir: Frauen in Deutschland leisten jährlich 60 Milliarden Stunden – allein an unbezahlter Hausarbeit. Der Geldwert dieser Arbeit, legt man anteilig den Durchschnittslohn einer Hauswirtschafterin, Köchin und Erzieherin zugrunde, würde jährlich etwa 830 Milliarden Euro betragen. Das ist fast so viel wie Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr an Ausgaben tätigen. Wenn man zur unbezahlten die meist unterbezahlte Sorgearbeit in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Kitas hinzuzählt, ist dieser Bereich der größte Wirtschaftssektor. Leider bildet sich das weder in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung noch im Bruttoinlandsprodukt ab, das als Wohlstandsmaß eines Landes gilt.“

Das ist ein in der Diskussion um Sorgearbeit zuerst einmal hilfreicher Hinweis und stellt einen Versuch dar, den Umfang unbezahlter Arbeit zu bestimmen und mit bezahlter Arbeit zu vergleichen. Zugleich aber kann dieser Vergleich in die Irre führen, wenn man berücksichtigt, was methodisch nötig ist, um zu solchen Daten zu gelangen (siehe meinen Kommentar hier und hier). Wie die Autoren der verlinkten Studie hervorheben, gibt es gerade dann, wenn es sich um persönliche Nahbeziehungen handelt, ein Abgrenzungsproblem in der Messung. Das spricht nicht gegen die Angaben zum Umfang unbezahlter Arbeit, er wäre eher noch größer, als die Messungen ihn zu erfassen erlauben. Vor allem wird es ihrem Charakter nicht gerecht, denn Sorgetätigkeiten aufgrund einer persönlichen Nahbeziehung sind etwas anderes als berufliche erbrachte Dienstleistungen. Wenn Frau Meier-Gräwe bezahlte Sorgearbeit noch in das Volumen der Sorgetätigkeiten einbegreift, um deren Stellenwert zu veranschaulichen, vermischt sie, was nicht vermischt werden sollte. Das ist ein Grund, weshalb die Eigenheiten unbezahlter Arbeit im BIP nicht erfasst werden können, denn dazu müsste man über ihre Eigenheiten hinweggehen.

Vollkommen richtig ist folgendes:

„Warum ist das aus Ihrer Sicht problematisch?

Weil dadurch die ökonomische Bedeutung der unbezahlten Sorgearbeit ausgeklammert bleibt. Aber es gibt keine Wirtschaft, ohne dass jemand Kinder großzieht, den Familienalltag organisiert, kranke oder pflegebedürftige Haushaltsmitglieder versorgt. Feministische Ökonominnen nutzen das Eisbergmodell, um das zu verdeutlichen: Als Wirtschaft wird heute fast ausschließlich das verstanden, was oberhalb der Wasseroberfläche sichtbar ist: die marktvermittelte Güterproduktion. Die weibliche „Unterwasser-Ökonomie“ dagegen zählt fast nichts.“

Sie weist zurecht darauf hin, welche Bedeutung Sorgetätigkeiten haben, denn die Welt am Warentausch zu orientieren, greift viel zu kurz, dennoch lässt sich beides nicht einfach vergleichen.

„Was würde sich mit einer anderen Sicht ändern?

Wäre klar, dass Sorgearbeit das Fundament allen Wirtschaftens ist, würde das bedeuten, dass in diesen Sektor viel mehr Geld fließen müsste und Unternehmen in Form von Abgaben dafür ihren Beitrag zu leisten haben. Aber momentan geht die ökonomische Erzählung so: Erst müssen Industrie und Handwerk Gewinne erwirtschaften, dann können wir soziale Dienstleistungen finanzieren. Diese Denke zeigt sich unter anderem auch darin, wie Kosten für Kitas und Schulen verbucht werden.“

Hier zeigt sich nun die Vermischung, denn inwiefern müsste hier „mehr Geld fließen“, als Bezahlung unbezahlter Arbeit? Oder in der Sphäre bezahlter Arbeit? Würde sie unbezahlte in bezahlte Arbeit verwandeln wollen, so dass auch persönliche Nahbeziehungen zu Dienstleistungen werden? Dann würde der Charakter von Haushaltstätigkeiten gerade verwandelt.

Hier folgt eine Rückfrage zur Finanzierung dieser Leistungen:

„Inwiefern?

Der ohnehin erst seit 2005 zögerliche Ausbau des Betreuungssystems mit Kitas und Ganztagsschulen verhindert, dass Frauen ihrem Beruf nachgehen oder ihr Erwerbsvolumen ausweiten können, obwohl das viele gern tun würden. Allerorten fehlen nicht nur Betreuungsplätze, sondern obendrein werden Öffnungszeiten reduziert und Gruppen geschlossen, weil Fachkräfte fehlen. Dass es zu wenige Erzieherinnen gibt, ist aber eine Folge der Ignoranz des Bedarfs sowie der jahrzehntelangen Unterbezahlung dieser Berufe.“

Angesichts des Plädoyers dafür, unbezahlte Arbeit in ihrer Bedeutung ernst zu nehmen, erscheinen die Äußerungen hier doch geradezu widersprüchlich. Betrachtet man die Entwicklung seit 2007 hat nicht nur die Betreuungsdauer der Kinder ab 3 Jahren erheblich zugenommen, auch das Betreuungsalter ist abgesenkt worden. Man kann natürlich noch längere Betreuungszeiten noch jüngerer Kinder anstreben, dann muss man sich aber darüber im Klaren sein, dass das Familienleben abgewertet wird und nur noch Anhängsel der Erwerbstätigkeit bleibt. Das käme allerdings keiner Aufwertung von Haushaltstätigkeiten, sondern ihrer Abwertung gleich. Wie bekommt Frau Meier-Gräwe das unter einen Hut (im vergangenen Jahr hatte sie sich ähnlich geäußert)? Müsste sie nicht vielmehr den Stellenwert von Erwerbstätigkeit in Frage stellen und eine Ausrichtung der Sozialpolitik befürworten, die der unbezahlten Arbeit ihren Raum lässt, sie aber durch dauerhafte, garantierte Alimentierung in der Form eines Bedingungslosen Grundeinkommens ermöglicht (nicht aber bezahlt). Dann stellte sich die Frage für Eltern grundsätzlich anders, denn weder bräuchten sie Erwerbstätigkeit, um das Auskommen der Familie zu sichern, noch hätte diese dieselbe Bedeutung wie heute.

Hier nun kommt das Interview auf die Alimentierung zu sprechen:

„Sind Sie für den Hausfrauenlohn, wie er in den 70ern gefordert wurde?

Nein. Wir müssen vielmehr eine faire Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern erreichen, ergänzt um finanziell abgesicherte Zeiten für Kleinkindbetreuung daheim und häusliche Pflege. Zugleich braucht es verlässliche Dienstleistungen von der Wiege bis zur Bahre und Löhne, von denen die Beschäftigten dort auch gut leben können. Bis heute werden soziale Berufe wie Erzieherin oder Arzthelferin jedoch als Zuverdienst-Berufe betrachtet. Man hängt immer noch der völlig aus der Zeit gefallenen Vorstellung an, dass der „richtige“ Lohn doch vom Familienernährer erarbeitet wird. “

Ein BGE scheint ihr nicht in den Sinn zu kommen oder nicht angemessen zu sein, der „Hausfrauenlohn“ wäre in der Tat problematisch, weil er eine Nahbeziehung (familial) in eine Dienstleistung überführte. Meier-Gräwe sieht nur befristete Alimentierungen für besondere Umstände vor und zugleich eine Verteilung der Sorgearbeit, ohne zu sagen, wie das erreicht werden könnte. Hier könnten Arbeitszeitmodelle (siehe hier und hier) eine Rolle spielen, doch sie alle ändern nichts am normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit. Dass Meier-Gräwe das nicht sieht und die Möglichkeiten eines BGE diesbezüglich übersieht, überrascht hier am meisten.

Als gutes Beispiel dienen skandinavische Länder:

„Aus Städten wie Oslo oder Helsinki hört man jedenfalls nicht, dass Kitas ihre Öffnungszeiten reduzieren müssen, obwohl dort sehr viele junge Familien leben. Die skandinavischen Länder stecken seit Jahrzehnten viel mehr Geld in den Care-Sektor. Darüber gibt es dort einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Nicht von ungefähr wandern Krankenpflegerinnen nach Skandinavien aus. Dort kann man von dem Beruf leben und ihn gut mit Familie verbinden. In Deutschland wird stattdessen die betriebswirtschaftliche Logik aus der Warenproduktion – also mit immer weniger Ressourcen immer mehr zu erzeugen – auf den sozialen Bereich übertragen. Etwa indem die Pflege alter Menschen nach Minuten getaktet und abgerechnet wird. Ich bin mit einem Altenpfleger verheiratet, ich weiß, wie sehr diese Praxis Menschen frustriert.“

Dass ein anderes Verhältnis zu bezahlten Sorgetätigkeiten möglich ist, Arbeitsbedingungen besser sein können usw. sei dahingestellt. In der Tat zerstört Effizienzdenken das, worum es dabei gehen muss. Übergangen wird hier aber die starke Stellung, die Erwerbstätigkeit in diesen Ländern hat, ihr gilt der Vorrang, statt Familien mehr Zeit zu verschaffen bzw. mehr Zeitsouveränität, sich für das Zuhausesein zu entscheiden. Meier-Gräwes Plädoyer führt nicht zu einer Aufwertung unbezahlter Arbeit, es weist in die Richtung einer Befestigung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit mit kleinen Sichtfenstern für das Leben jenseits davon.

Sascha Liebermann