Vorurteilspflege…

…betreibt der Beitrag von Markus Herbrand, FDP, in der Wirtschaftswoche. Das beginnt so:

„Die richtigen Ziele Armutsprävention und verbesserte Teilhabe von Kindern dürfen nicht dazu führen, dass wir uns gutgläubig ausnutzen lassen. Auch die Grünen müssen erkennen, dass noch mehr Geld für die Eltern allein in den wenigsten Fällen automatisch zu mehr Erfolg führt. Stattdessen benötigen wir mehr Personal in Schulen und Jugendämtern, mehr digitale Lernangebote und eine Neubelebung des Aufstiegsversprechens.“

„Automatisch“ verändert sich ohnehin nichts – auch nicht mit Geld. Es sind immerhin Menschen, die Entscheidungen treffen, also handeln müssen, damit sich etwas verändert. Bei Herbrand erscheinen sie als Automaten, in die Geld gesteckt wird und die mechanisch ihre Ausnutzung der Gemeinschaft beginnen. Die wichtige Frage ist doch lediglich, welchen Überzeugungen folgen sie dabei, in diesem Fall die Eltern? Herbrand sieht das so:

„Auch die Eltern müssen stärker in die Pflicht genommen werden, um den langfristigen sozialen Aufstieg ihrer Kinder durch Ausbildung oder Studium zu unterstützen und nicht einfach mehr Geld für die minderjährigen Kinder abzukassieren. Wenn die Kindergrundsicherung als bequemes Ruhekissen bis zur Volljährigkeit missverstanden wird, ist der Weg zum anschließenden Bürgergeld-Bezug nicht weit und wir haben bis auf gestiegene Kosten nichts erreicht.“

Karl-Josef Laumann hätte ihm das hier entgegengeschleudert, und er ist nicht gerade als nachgiebig bekannt. Herbrand pflegt, ganz wie die CDU in der Bürgergelddebatte im ausgehenden Jahr 2022, Vorurteile, anstatt sich zu fragen, woher es rührt, wenn Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu unterstützen und welche Hilfen sie dann benötigen würden, die wirklich helfen könnten. Plattitüden sind eben keine Antworten, sondern eine Denkverweigerung. Siehe auch eine Studie dazu, was Eltern mit dem „abkassierten“ Geld denn anfangen.

Der Klassiker darf nicht fehlen:

„Bis dahin schlagen wir Freien Demokraten vor, verbesserte Antragstellungen und das von uns geforderte Kinderchancenportal unkompliziert vorzuziehen, um die Situation von Familien zügig zu verbessern. Ein Kinderchancenportal könnte die bestehenden Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket einfach online abrufbar machen und einen Beitrag leisten, dass die vorhandenen Instrumente umfassender als bisher genutzt werden. Und es würde im Gegensatz zu den grünen Vorschlägen deutlich erschweren, dass Eltern das zusätzliche Geld einfach für ihre eigenen Bedürfnisse wie beispielsweise Alkohol oder Zigaretten verwenden.“

Gegen Vereinfachung der Beantragung ist nichts einzuwenden, doch Herbrand dient sie nur dazu, Eltern zu maßregeln, die angeblich ihre „eigenen Bedürfnisse“ stärker gewichten als die ihrer Kinder. Es ist bitter, dass solche Märchen noch pauschalisierend verbreitet werden, zeigt aber, wie es um das Verständnis von Menschenwürde zu stehen scheint. Die Leistungsträger lassen grüßen.

Sascha Liebermann