„Grundeinkommen für alle?“ – ein Gespräch zwischen Marcel Fratzscher und Andreas Peichl…

…mit teils unerwarteten und vielen erwartbaren Einschätzungen – hier geht es zum Gespräch bei Zeit Online (Bezahlschranke).

Ausgewählte Passagen seien hier wieder kommentiert. Zuerst einmal ist festzustellen, dass Marcel Fratzscher herausstellt, dass er selbst gegenüber dem BGE kritisch war – genau genommen hat er es mit einer ausgesprochen paternalistischen und in manchem der Haltung Peichls entsprechenden Ausführungen abgelehnt, das war 2017, also noch nicht so alt. Ähnlich in diesem Streitgespräch aus dem Jahr 2018.

Andreas Peichl hat sich wiederholt ablehnend zum BGE geäußert wegen der Auswirkungen, die er befürchte, diese Einwände wiederholt er mehr oder weniger im Zeit-Gespräch.

Wie begründet Fratzscher seine veränderte Haltung: „Der Hauptgrund dafür ist das positive Menschenbild, das dem Grundeinkommen zugrunde liegt. Es betrachtet den Menschen als soziales Wesen, das intrinsisch motiviert ist, einen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten“. Diese Begründung ist eher eine weltanschaulich praktische, ihr unterliegt ein Werturteil. Doch Fratzscher spricht hier, so werden beide zumindest angesprochen, als Wissenschaftler und Präsident des DIW. Dafür ist es irrelevant, ob man etwas sympathisch, unsympathisch oder sonstwie findet. Stattdessen müsste er zumindest Belege oder argumentative Herleitungen präsentieren, die deutlich machen, dass diesem „Menschenbild“ eine Realität zugrundeliegt, die wir sozialwissenschaftlich untersuchen können – und nicht eine weltanschauliche Einordnung. Es müsste also darum gehen, aufzuzeigen, dass ein BGE Voraussetzungen enthält, die zum einen schon in der politischen Ordnung Deutschlands eine harte Wirklichkeit darstellen, zum anderen die Entscheidungsfindung des Einzelnen schon heute damit konfrontiert ist, genau die Handlungsfähigkeit in die Tat umzusetzen, die ein BGE verlangen würde.

Irritierend ist dann folgende Formulierung Fratzschers:

„Es [das BGE, SL] betont die Notwendigkeit, unsere Sozialsysteme umzugestalten, weg von einem reaktiven und sanktionierenden und hin zu einem aktivierenden Sozialstaat, der Freiheiten und Chancen schafft, damit möglichst alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können.“

Fratzscher macht hier einen Gegensatz zwischen einem sanktionierenden und einem aktivierenden Sozialstaat auf, ganz ähnlich wie einst Robert Habeck Boni im Leistungsbezug den Sanktionen vorziehen wollte. Doch eine Aktivierung benötigen Bürger nicht, allenfalls müssen Hindernisse der Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt werden – das ist etwas ganz anderes. Außerdem hatte die Vokabel von der Aktivierung ihre Hochzeit mit Einführung von Hartz IV. Chancen schafft der Sozialstaat, indem er zuerst einmal auf den Einzelnen vertraut und dann Angebote macht, die wahrgenommen werden können.

Wie äußert sich Andreas Peichl dazu:

„Peichl: Das [dass Menschen ihr Arbeitsangebot nicht reduzieren, SL] wäre natürlich eine positive Entwicklung, ich will aber noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Es gibt Menschen, die intrinsisch motiviert sind, wie du es gesagt hast, Marcel. Sie arbeiten gern, zum Beispiel weil sie ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden oder das soziale Umfeld schätzen. Das widerspricht dem im ersten Semester gelehrten volkswirtschaftlichen Grundmodell, das nur Arbeitsleid kennt und keine Arbeitsfreude. Dass das anders sein kann, sehen wir in den Daten. Es gibt aber auch Menschen, für die die Entlohnung der wichtigste Grund für die Aufnahme einer Arbeit ist. Deshalb muss man staatliche Leistungen so austarieren, dass sie die intrinsische Motivation erhalten, ohne die extrinsische zu zerstören. Auch mit einem Grundeinkommen muss es sich lohnen, eine Arbeit aufzunehmen.“

Peichl stellt die intrinsische der extrinsischen Motivation gegenüber und legt damit nahe, dass für die einen ein BGE richtig und angemessen wäre, weil sie intrinsisch motitivert seien, für die anderen aber nicht. Wenn aber ein BGE als Basis dient und ein Lohn hinzukommen kann, dann ist dem, was er „extrinsische“ Orientierung nennt, Genüge getan. Was als Einwand gedacht ist, ist keiner. Davon abgesehen wäre es ein Missverständnis zu meinen, „extrinsische Motivierung“ sei eine eigene Quelle von Aktivität, denn auch die Orientierung am Lohn ist eine intrinsische, denn den Lohn als vorrangiges Ziel oder Motiv zu betrachten, ist eine Haltung, die der Betreffende zum Lohn einnimmt, es ist seine Haltung. Das von Peichl erwähnte Theorem vom Arbeitsleid ist eines der empiriefreien Lehnstuhltheoreme, das in vielen Simulationen zu etwaigen Auswirkungen eines BGE die entscheidende Annahme bildet mit entsprechenden Ergebnissen. Was wäre, wenn andere Annahmen die Simulationen leiten würden?

Fratzscher antwortet Peichls Motivierungsthese:

„Fratzscher: Die Frage ist mir zu despektierlich [zuvor wurde gefragt, wer den Müll wegräume]. Auch die Tätigkeit bei der Müllabfuhr kann sinnstiftend sein. In Deutschland gehen viele Millionen Menschen zur Arbeit und machen einen harten Job, der ihnen viel abverlangt – obwohl sie vielleicht nur ein paar Euro mehr bekommen als im Bürgergeld. Es gibt auch im Niedriglohnsektor eine intrinsische Motivation. Es kommt aber natürlich darauf an, dass der Lohnabstand groß genug ist, dass ich also, wenn ich arbeite, mehr Geld habe, als wenn ich nur das Grundeinkommen beziehe. Das bedeutet, dass nach der Einführung eines solchen Einkommens die Löhne steigen müssten. Dann würden einfache Dienstleistungen wahrscheinlich teurer werden, aber das ist aus meiner Sicht gut. Der Abstand zwischen hohen Löhnen und niedrigen Löhnen ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, wenn diese Lohnspreizung zurückgeht, wäre das im Sinne des sozialen Zusammenhalts eine positive Entwicklung.“

Fratzscher antwortet hier treffend auf einen Klassiker der Einwände gegen ein BGE (siehe unsere Kommentare zu diesem Einwand hier). Wer diese Frage als ernsthaften Einwand betrachtet, müsste zeigen können, dass es eine solche Bereitschaft zu Engagement in diesen Berufen nicht gibt – wo ist dieser Beleg? Wie das empirielose Lehnstuhltheorem vom Arbeitsleid, so beruht auch diese Einschätzung – Peichl nennt keine Studie oder Quelle – auf sehr voraussetzungsvollen Annahmen oder eben auf Vorurteilen. In den vielen Jahren, die ich schon Vorträge zum BGE gehalten und Diskussionen bestritten habe, konnte nie ernsthaft belegt werden, dass es am Interesse an einer solchen Tätigkeit fehlt. Eher ist es so, dass, wenn die Bezahlung es nicht erlaubt, die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht wurden, dann deswegen der Beruf gewechselt wurde – nicht aber des Inhaltes wegen. Fratzscher allerdings unterläuft hier ein Denkfehler, denn im Unterschied zu heute gibt es zwischen BGE ohne und BGE mit Lohn immer einen relevanten Abstand, da der Lohn nicht angerechnet wird. Wenn also ein BGE eingeführt würde und derselbe Lohn wie zuvor würde gezahlt, könnte das immer noch attraktiv sein. In dieser Überlegung Fratzschers scheint noch das Armutsfallentheorem fortzuwirken, das wie selbstverständlich genutzt, aber ebensowenig belegt ist (siehe hier).

Wie sehr Peichl noch am Arbeitsleid- und Anreiztheorem hängt, zeigt sich hier:

„Peichl: Mit den Regeln, die wir jetzt haben, würden sie dafür in vielen Fällen faktisch bestraft werden, weil dann möglicherweise Transferleistungen wie zum Beispiel das Wohngeld wegfallen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Das führt dazu, dass vom zusätzlich erzielten Bruttoeinkommen netto wenig übrig bleibt – wenn überhaupt etwas. Man müsste also das Sozialsystem umbauen, um die Arbeitsanreize zu stärken, und gleichzeitig sicherstellen, dass der Staat genug Geld einnimmt, um das Grundeinkommen zu finanzieren.“

Und hier wiederholt sich das:

„Peichl: Das Problem mit solchen Berechnungen ist, dass mögliche Anpassungsreaktionen nicht berücksichtigt werden. Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass die Leute weniger arbeiten, wenn Arbeit höher besteuert wird. Dann geht die Wirtschaftsleistung zurück, und die Steuereinnahmen sinken. Ich kann da in den Modellen ganz verheerende Wirkungen berechnen, je nachdem, welche Annahmen ich treffe – vor allem, wenn zu der 50-Prozent-Steuer noch Sozialabgaben dazukommen. Ich kann natürlich auch zu weniger dramatischen Ergebnissen kommen. Es ist schwierig bis unmöglich, die Folgen einer derart weitreichenden Änderung mit den Methoden, die uns zur Verfügung stehen, abzuschätzen.“

Welche Anpassungsreaktionen, auf Basis welcher Annahmen erfolgen sie? Wenn ein BGE eingeführt wird und die höhere Besteuerung seiner Finanzierung dient, weshalb sollte das in der Breite es weniger attraktiv machen, erwerbstätig zu sein. Auch das ist eine Behauptung. Peichl sagt ja selbst – „je nachdem, welche Annahme ich treffe“ -, eben, „je nachdem“. Wie aber gelange ich denn zu diesen Annahmen? Nur weil etwas aufgrund der Verbreitung dieser Vorstellung von Arbeitsanreizen plausibel erscheint, muss es noch lange nicht plausibel sein. Dass er als Wissenschaftler das einfach so dahin stellt, ist erstaunlich.

Aufschlussreich an dem Gespräch ist auch, dass Peichl lediglich einräumt, welch negative Auswirkungen Sanktionen haben können, wenn sie nur zu kurz anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen führen. Dass er aber überhaupt in der Erhöhung der Beschäftigungsverhältnisse ein relevantes Ziel sieht und nicht darin, durch eine Veränderung der Existenzsicherungsbedingungen durch ein BGE die Chancen für ein gutes Passungsverhältnis zwischen Arbeitsuchendem und Unternehmen zu verbessern oder sogar darüber hinaus die offensive Nutzung von Automatisierungsmöglichkeiten zu befeuern, überrascht.

„ZEIT: Letzte Frage: Ab welchem Einkommen würden Sie aufhören zu arbeiten?

Peichl: Ich glaube, auch mit sehr viel mehr Geld würde ich mir ein Büro einrichten und weiter an den inhaltlichen Themen arbeiten. Es gibt für mich keine Summe, die groß genug wäre, um diesen Job nicht zu machen.

Fratzscher: So ist das auch bei mir. Ich sehe die Arbeit, die ich machen darf, als Privileg an. Ich gebe aber zu, dass ich mich sehr schwertun würde, mit 1.200 Euro im Monat auszukommen.“

Die Frage ist ein Klassiker und wurde schon im ersten langen Grundeinkommensfilm gestellt, die Antworten waren damals schon bezeichnend und sind es auch hier. Was für Peichl gilt, scheint für andere ja nicht gelten zu können; was Fratzscher sagt, bestätigt, was BGE-Befürworter schon lange sagen, auch wenn es nur ein Aspekt unter anderen ist.

Sascha Liebermann