Im Handelsblatt hat Bert Rürup, Wirtschaftswissenschaftler, einst „Wirtschaftsweiser“ und vielfältig Politikberater, einen Beitrag mit dem Titel „Von Hartz IV zum Bürgergeld und zurück“ (wir hatten denselben Titel für einen Kommentar genutzt, siehe hier) veröffentlicht. Wie dem Titel zu entnehmen ist, greift er die Diskussionen um das Bürgergeld auf und ordnet sie ein. Endlich habe auch die SPD ein Einsehen, dass die Einführung des Bürgergeldes ein Fehler war, so liest sich sein Beitrag, als seien damals grundsätzliche Änderungen eingeführt worden. Eher könnte man davon sprechen, dass die Bezugsregelungen etwas weniger strikt ausfielen, aber angesichts einer nach wie vor geltenden Bedürftigkeitsprüfung in Verbindung mit einem sanktionsbewehrten Leistungsbezug konnte nicht ernsthaft von einer wesentlichen Erleichterung für die Bezieher gesprochen werden. Deswegen war schon damals Kritik an der Bezeichnung „Bürgergeld“ laut geworden, da sie etwas suggeriere, das nicht der Fall war, und zwar dass eine Leistung für alle Bürger als Bürger war, ohne sonstige Bezugsbedingungen. Insofern ist die nun vorgesehene Veränderung eben nur eine Rückkehr zu dem, was es zuvor schon gab.
Rürup fehlt allerdings eine entscheidende Veränderung, die Frage nach den Hinzuverdienstregelungen, denn die seien demotivierend, der Transferentzug ist bei Hinzuverdiensten erheblich, es bleibt von ihnen letztlich nicht viel übrig. Diese Kritik gibt es schon lange, sie steht im Zusammenhang mit der um das Lohnabstandsgebot sowie dem ihm zugrundeliegenden Theorem von der Armutsfalle, eines Theorems, das hohes Ansehen genießt, aber empirisch nicht belegt ist (siehe hier). Dass über die Frage diskutiert werden kann, wann es sich „lohne“ erwerbstätig zu sein und wann nicht, soll hier nicht bestritten werden, die Engführung ist das Problem, als entscheide sich dies am Lohnabstand alleine und vor allem, als habe Erwerbstätigkeit nicht noch andere ebenso gewichtige Dimensionen, die für den Einzelnen relevant sind und als gebe es nicht andere Aufgaben, die bedeutender sein können oder es gar sind. Dass dies keine Beachtung findet bei denjenigen, die den Lohnabstand zu gering bzw. die Transferentzugsrate zu hoch finden, liegt an deren Vorstellung davon, warum Menschen tun, was sie tun. Bei Rürup wird das an folgender zustimmend zitierter Aussage deutlich:
„‚Wenn man die Wahl hat, entweder brutto für netto mehr zu verdienen oder aber für mehr Brutto kaum oder kein zusätzliches Netto zu erhalten, verwundert diese Reaktion auf die Anreize des Sozialsystems nicht‘, stellt Ifo-Experte Andreas Peichl fest.“
Folgerichtig, von diesen Annahmen ausgehend, muss das „Arbeitsangebot gezielter“ stimuliert werden.
„Sicherlich sind einfachere Lösungen denkbar. Allerdings wäre es durch eine Kombination unterschiedlicher Entzugsraten möglich, das Arbeitsangebot gezielter zu stimulieren und zugleich fiskalische Einsparungen unter Berücksichtigung verteilungspolitischer Ziele zu erzielen. Denn eine „One-size-fits-all-Lösung gibt es nicht“, schreibt das Ifo-Institut zutreffend.“
Weil eindimensional gedacht wird, kann das Problem nur durch gezieltere Stimulierung gelöst werden, als fehle es an der grundsätzlichen Bereitschaft. Rürup erkennt nicht an, dass es einen Zielkonflikt geben kann, wenn die Aufnahme von Erwerbstätigkeit bzw. die Erhöhung des Umfangs mit anderen Verpflichtungen schlicht kollidiert und es bei ganz gleichem Lohn, der Preis zu hoch wäre, der Preis, der in diesem Fall womöglich hieße, andere Dinge nicht tun zu können, die der Einzelne für wichtig oder gar wichtiger erachtet. Bestimmte Annahmen ziehen eben bestimmte Schlussfolgerungen nach sich, aber wie steht es um die Annahmen?
Sascha Liebermann
