In ihrem Beitrag auf Zeit Online wirft Elisabeth von Thadden wichtige Fragen auf und blickt auf gegenwärtige Schieflagen in der Vermögensverteilung. Diese entlarven den Mythos von der Leistungsgesellschaft, den von Thadden allerdings recht eng fasst. In dieser Form der Erzielung von Einkommen und der Bildung von Vermögen war er ohnehin nie gegeben, denn die Leistung, die zu Einkommen führen kann, entsteht nicht im luftleeren Raum, sie hat vielerlei Voraussetzungen, von denen Arbeitsbedingungen und Löhne nur wenige sind. Um überhaupt leistungsfähig in diesem engen Sinne zu werden, bedarf es anderer Leistungen im Sinne einer sorgsamen Zuwendung und Anerkennung des Individuums, wie sie zuallererst in der Familie erfahren wird. Im Zuge der Sozialisation gehen Bildungsprozesse, die durch die familiale Dynamik initiiert und getragen werden, anderen Leistungen voraus und ermöglichen sie erst. Schon hier also bedarf es einer Korrektur am enggeführten Leistungsverständnis. Aber selbst wenn man ein Leistungsverständnis im engen Sinne betrachtet, wird deutlich, dass auch hier allerlei Illusionen im Spiel sind, denn arbeitsteilige Prozesse der Erzeugung und Bereitstellung standardisierter Güter machen es unmöglich, Leistungsergebnisse individuell zuzurechnen. Das ist der Grund dafür, weshalb Löhne willkürliche Vereinbarungen im Rahmen des Verteilbaren darstellen. Insofern also ist die Vorstellung, Leistung gehe vor allem und alleine auf individuelle Anstrengungen und Erfolge zurück, stets eine Illusion gewesen. Das soll nicht die Bedeutung der Leistungsbereitschaft des Einzelnen schmälern, aber ohne sie im weiteren Zusammenhang zu sehen, führt sie zu Verklärung. Hier ein Zitat aus dem Beitrag von Thaddens:
„Wenn es sich für die junge Generation bis auf ein paar finanzmutige Glückspilze nicht mehr lohnt, zu arbeiten (zumal für Ostdeutsche, denen nach 1989 die Immobilien von Westdeutschen, unterstützt durch staatliche Steuergeschenke, weggekauft wurden und die also deutlich weniger erben, wie es auch die Kinder aus Zuwandererfamilien tun), dann wird das Versprechen von demokratischen Leistungsgesellschaften zur Chimäre. Dann macht sich ein Gefühl von Ohnmacht breit.
Dann wächst der Ärger, ohne eigenes Zutun zu den Verlierern zu zählen, während andere unverdient die Erfolgreichen spielen.“
Lohnen würde es sich nur, wenn was möglich ist? Vermögensbildung? Dass sich über Löhne streiten lässt, ist klar, doch sind sie der Grund dafür „zu arbeiten“? Leistung wird hier mit der Sicherung oder Erreichung von Erbchancen gleichgesetzt – das scheint doch ziemlich verkürzt. Sicher lässt sich über ungleiche Einkommensmöglichkeiten diskutieren und sie haben Einfluss darauf, ob man es sich noch(!) leisten kann, einen bestimmten Beruf bzw. eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, doch ist das eine beschränkende Folge des Lohngefüges, nicht indes der Grund für das Tätigsein. Insofern findet hier eine Verkehrung statt.
An anderer Stelle schreibt die Autorin:
„In einer US-amerikanischen Variante des 19. Jahrhunderts bedeutete liberale Freiheit, dass Vermögen in einer Demokratie fair verteilt sein muss, wenn Ungleichheit sich nicht vererben soll. In tagesaktuellen europäischen Varianten kommt das gemeinsame Eigentum hinzu, ob in Bauprojekten oder in Bürgergesellschaften, denen etwa Solaranlagen oder Windräder gehören. So oder so: Freiheit in Demokratien müsste heißen, dass alle als Eigentümer an der Macht partizipieren. Freiheitsdenken im 21. Jahrhundert würde mithin auf Ideen vom gerechten Eigentum ruhen.“
Es geht hier nicht um absolute, sondern um relative Ungleichheit, denn eine gewisse Ungleichheit ist gar nicht vermeidbar – so weit, so gut. Die Frage ist dann eine eminent politische, wo eine nicht mehr akzeptable Ungleichheit beginnt. Freiheit als Partizipation aller als „Eigentümer an der Macht“ – aber wie genau? Wird die legitimatorische Macht des Souveräns ernst genommen, also auch von diesem selbst, dann bestünde dieses Eigentum doch längst – mehr oder weniger ausgeprägt. Ist es nicht vielmehr die Frage, weshalb bestimmte Entwicklungen hingenommen werden, die Grund dieser Schieflagen sind? Einen Vorschlag, wie dieser Gedanke gerechten Eigentums aussehen könnte folgt dann sogleich:
„Atkinsons Star-Schüler Thomas Piketty hat daraus seine Ideen für eine künftige Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert geschmiedet. Er nennt das Projekt „Erbschaft für alle“, finanziert durch progressive Steuern auf das Eigentum, konkret: Die Idee zielt darauf, jeden jungen Erwachsenen zum 25. Geburtstag mit einem Kapital auszustatten, das 60 Prozent des aktuellen Durchschnittsvermögens pro Erwachsenem in seinem Land entspricht. In Deutschland wären das knapp 140.000 Euro, überreicht durch den Staat.“
Das klingt sehr nach dem vor etlichen Jahren schon in Gestalt eines „stakeholder grants“ unterbreiteten Vorschlags Bruce A. Ackermans und Anne Alstotts (siehe hier). Immerhin, könnte man sagen, hätte damit jeder Erwachsene eine Ausgangsbasis, um Investitionen zu tätigen. Eine verlässliche Basis über die Lebensspanne wäre es nicht und um das Startkapital langfristig nicht zu verlieren, müsste man sich mit Investitionsmöglichkeiten beschäftigen. Was aber, wenn man Besseres zu tun hätte? Weshalb spart Frau von Thadden hier den Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens aus, wenn es ihr doch darum geht, ein Gegengewicht zur von ihr kritisierten Ungleichheit zu schaffen? Vielleicht weil er gegenwärtig unrealistisch erscheint? Dabei ist er viel näher am Sozialstaatsgefüge dran als das Mindesterbe. Ein BGE wäre darüber hinaus viel weitereichender und es würde gerade den Gedanken des Eigentums an der Macht stärken, indem es zu einer Machtverteilung beitrüge, wenn die Existenzsicherung nicht mehr von Erwerbstätigkeit abhängig wäre.
Siehe frühere Beiträge Diskussion um eine Leistungsgesellschaft hier.
Sascha Liebermann