…sanktionsfrei hat gestern seine Studie veröffentlicht und in einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Ergebnisse sind nicht allzu überraschend, wenn man verschiedene Untersuchungen, die dazu vorliegen, berücksichtigt. Schon vor mehr als zwanzig Jahren legte Georg Vobruba mit Kollegen eine Studie vor, die zutage förderte, dass die Gründe für Sozialleistungsbezug sehr unterschiedlich sind, die „Armutsfalle“ (auf die das Lohnabstandsgebot zurückgeht) in der behaupteten Form nicht existiere:
- Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
- Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
- Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
- Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)
An der Aktualität hat sich nichts geändert, denn der Mythos der „Armutsfalle“ wirkt fort.
Was können wir daraus schließen? Dass es nicht an wissenschaftlichen Studien liegt, ob die Sozialpolitik eine andere Ausrichtung nimmt, sondern an Vorurteilen, die schon lange widerlegt sind und dennoch weiter schwelen sowie an Werturteilen, die eben sanktionsbewehrte Leistungen für richtig halten. Vergleichbare Denk- und Argumentationsmuster wie im Fall von Sanktionen findet man in anderen Zusammenhängen ebenso, wie z. B. beim Ehegattensplitting (siehe auch hier). Erwerbstätigkeit „lohne“ sich demnach nicht wegen der ungünstigen Steuerklasse V für Ehegatten, die „Anreize“ – um die geht es dabei immer und bei fast allem (so auch in der IAB-Studie hier, S. 56) – werden beeinträchtigt. Es könnte hingegen, wenn man einmal die Empirie im Sinne einer differenzierten und detaillierten Analyse lebensweltlicher Überzeugungen ernst nähme, an ganz anderen Dingen liegen, die vielschichtiger sind, aber dazu müsste man die vereinfachten Annahmen aufgeben und ebenso die gesetzten Ziele (Erwerbsbeteiligung). Womöglich gibt es jenseits der Erwerbstätigkeit eben noch andere Lebensbereiche, die genauso wichtig sind, gar erheblich wichtiger, die mit dem Erwerbsgebot unter die Räder kommen. Die Frage, nach welchen Kriterien Einkommen bereitgestellt wird, ist eben auch die Frage danach, welcher Stellenwert der Würde des Einzelnen zukommt. Das Grundgesetz zumindest ist diesbezüglich klar.
Sascha Liebermann