…schreibt Samira El Ouassil auf Spiegel Online zum Bürgergeld-Entwurf der Bundesregierung nach der Vorstellung der Studie, die sanktionsfrei hat durchführen lassen. Aber spricht der Bürgergeldentwurf tatsächlich für ein anderes Menschenbild als im bisherigen Sozialstaatsgefüge oder eher für eine graduelle Veränderung im alten Menschenbild?
Dort, wo sie diese Einschätzung einführt, räumt sie zugleich ein, dieses „andere Menschenbild“ schimmere nur „ganz zart“ durch. Mit Verve begrüßt sie diese Entwicklung:
„Der Staat muss hier nicht als autoritärer Vater oder als naive Nanny fungieren, sondern undogmatisch Voraussetzungen schaffen, die Menschen eine existenzielle Autonomie ermöglichen, gerade in Zeiten kollektiver oder persönlicher Krisen. Und das ist in der Tat eine Verschiebung in der staatlichen Wahrnehmung der Bürger:innen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind: Es geht nicht um Fordern und Fördern, sondern um ein Zugeständnis an die Mündigkeit und Eigenverantwortung.“
Mündigkeit ist ein maßgebliches Prinzip, auf das unsere Demokratie gründet (siehe Art. 20 (2) GG), weder kann es da ein „Zugeständnis“ geben noch bedarf es eines solchen. Wo diese Mündigkeit nicht Voraussetzung und zugleich Zweck des Handelns ist, wird gegen die Grundfesten dieser Demokratie verstoßen – das kann nicht graduell bloß Richtschnur sein. Die Verfasstheit unseres Sozialstaates allerdings widerspricht genau in dieser Hinsicht den Grundfesten der Demokratie, sie hinkt hinter ihnen her. Sanktionsbewehrte Existenzsicherung geht gerade nicht davon aus, dass der Einzelne das für ihn richtige und wichtige schon tut. Was El Ouassil lobt, ist ein Verbleiben in diesem Rückstand, der nur etwas geringer wird, aber groß bleibt. Nun ist das nicht, wie manche schreiben, mit Hartz IV erst in den Sozialstaat eingezogen, Sanktionen gehörten nach dem Zweiten Weltkrieg alsbald zu ihm dazu, wie im Bundessozialhilfegesetz (siehe auch hier und hier) in aller Deutlichkeit nachgelesen werden kann.
Verschiebt nun das Bürgergeld wirklich seine „Wahrnehmung“ der Bürger? Allenfalls auf der Skala des Hinterherhinkens, nicht aber bezogen auf die Grundfesten, es sei denn, man würde das Befolgen des Erwerbsgebots (das nicht aus dem Grundgesetz hervorgeht) als entscheidendes Kriterium für Mündigkeit erachten.
An einer späteren Stelle schreibt sie:
„Und das ist vielleicht die wichtigste Feststellung: Bürgergeld beziehen zu müssen, das insbesondere während eines Krieges und einer Energiekrise einfach immer noch zu wenig ist, kommt dem gesellschaftlichen Ausschluss nahe. Er ist für den Menschen als soziales Wesen vielleicht eine der schlimmsten Strafen. Schafft den bürokratischen Rohrstock vollends ab, die Armut selbst ist doch schon die schlimmste Sanktion.“
Ist das nun ein Plädoyer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Es müsste darauf hinauslaufen, dafür spricht auch, dass in Krisen diese Absicherung „gerade“ notwendig sei.
Sascha Liebermann