…so wird der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr (Universität Zürich) im Beitrag „Finnland testet bedingungsloses Grundeinkommen“ von Katharina Matheis in der Wirtschaftswoche zitiert:
Die Passage lautet vollständig:
„‚Es ist einfach gut, dass es nun endlich Daten darüber geben wird, wie sich ein Grundeinkommen tatsächlich auswirkt‘, sagt Ökonom Fehr. Er selbst gehört eher zu den Skeptikern: ‚Falls so ein System flächendeckend eingeführt wird, erwarte ich, dass sich eine Subkultur bildet, die nur von Grundeinkommen und ein bisschen Schwarzarbeit leben wird. Und selbst wenn das nur ein Zehntel der Gesellschaft ist, unterminiert das die Akzeptanz des Sozialstaats in der Bevölkerung.‘ Arbeiten für andere – das funktioniere in westlichen Gesellschaften nur, wenn der andere eigentlich auch arbeiten will.“
Dass der Feldversuch in Finnland „Daten darüber“ liefere, wie sich ein Grundeinkommen „auswirkt“, wie Fehr gesagt haben soll, kann ich nicht nachvollziehen. Weder handelt es sich dort um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, noch kann aus einem Feldversuch auf die Realsituation geschlossen werden, die sich ganz anders darstellen würde. Siehe meine ausführlichen Kommentare zu dieser Problematik hier und hier.
Die Subkultur, die Fehr mit der Einführung eines BGE entstehen sieht, ist keine Zukunftsmusik, es gibt sie schon heute, wenn auch unter anderen Bedingungen. Die Frage ist, aus welchen Gründen entsteht sie, was steckt dahinter? Würde ein BGE an den Entstehungsgründen etwas ändern?
Fehr Ausführungen weisen auf eine grundsätzliche Frage hin, die er offenbar in einem sehr engen Sinne beantwortet. Ein Gemeinwesen lebt in der Tat vom Engagement seiner Bürger, und zwar in allen für das Fortbestehen relevanten Bereichen. Das heißt nicht, dass dieses Engagement von jedem in allen nötig ist, aber grundsätzlich muss sich jeder die Frage stellen, wie er beitragen will zum Fortbestehen des Gemeinwesens durch „sexuelle Reproduktion“, durch Erhaltung von Sittlichkeit (politische Vergemeinschaftung) und zur Bereitstellung standardisierter Problemlösungen (Güter- und Dienstleistungen). Ein Gemeinwesen muss alle drei Aufgaben bewältigen und dabei – in einer Demokratie ganz besonders – auf die Bereitschaft seiner Bürger setzen. Sollte nun eine Haltung sich breit machen, in der diese Aufgaben von einer relevanten Anzahl an Bürgern abgelehnt würde, wäre das Fortbestehen des Gemeinwesens in Frage gestellt. Was könnte dagegen getan werden? Es müsste über diesen Misstand eine öffentliche Auseinandersetzung geben. Für heute ist ein anderer Misstand viel gravierender als der von Fehr – laut Wirtschaftswoche – angeführte. Es wird der Bereich der Erstellung von Gütern und Diensten (Erwerbsarbeit) überbewertet, die anderen hingegen unterbewertet, obwohl sie unverzichtbar sind. Das BGE würde gerade das deutlich machen, dass es aller drei bedarf und keiner von vorrangiger Bedeutung ist.
Sascha Liebermann