Fundamentalismus versus Pragmatismus – oder wie schiefe Gegensätze zur Selbstblockade führen können

In der Grundeinkommensdiskussion trifft man immer wieder einmal, wenn es darum geht, wie „echte“ Demokratie auszusehen habe, auf einen Gegensatz, der dabei aufgebaut wird. Auf der einen Seite steht dabei die repräsentative Demokratie, die gar keine wirkliche Demokratie sei, weil sie das Volk nicht recht zu Wort kommen lasse bzw seinen Einfluss auf Wahlen reduziere. Auf der anderen wird dieser verkürzten oder unechten Demokratie die Kraft direkter Demokratie entgegengehalten, die erst zu wirklich demokratischen Verhältnissen dadurch führe, dass Referenden, fakultative wie obligatorische, abgehalten werden. Die Schweiz dient nicht selten als Vorbild dafür.

Nun, in der Tat hat die direkte Demokratie Möglichkeiten, die die repräsentative nicht hat, alleine die Möglichkeit von Referenden ist nicht gering zu schätzen. Schon der Umstand, dass gegen eine Entscheidung Referendum ergriffen werden kann, zeigt, an wem sich Entscheidungen auszurichten haben: dem Souverän. Es führt aber einer schiefen Entgegensetzung, wenn die repräsentative Demokratie auf die eine, die direkte auf die andere Seite gestellt wird. Denn in der Schweiz handelt es sich um eine Mischform, da nicht alle Entscheidungen tatsächlich zum Gegenstand von Referenden werden, das wäre praktisch auch nicht zu bewältigen. Unterschätzt wird dabei allerdings, welche Möglichkeiten die repräsentative Demokratie bietet. Es ist nicht so, dass in ihr „Politiker“ „von oben“ etwas entscheiden oder verordnen. Sie sind vom Souverän beauftragt, Lösungen für Probleme zu finden und dann in Kraft zu setzen. Entscheidungen „von oben“ sind insofern immer Entscheidunge „von unten“. Auch in einer direkten Demokratie gibt es keine unmittelbare Übersetzung von Einzelwillen in politische Gestaltung, das erfolgt nur über Mehrheiten. In der repräsentativen Demokratie haben Politiker ein Mandat des Souveräns – ein freies, kein imperatives. Sie sollen dabei ihrem Gewissen folgen können und nicht an Weisungen gebunden sein.

Nicht nur kommt es einer Überhöhung direkter Demokratie gleich, sie als einzig richtige Demokratie zu bezeichnen, denn eine Demokratie lebt vom Bürgerethos, vom Selbstverständnis des Gemeinwesens. Verfahren können dies nur stützen und bekräftigen, nicht aber hervorbringen.

Nun sind in Deutschland auf Bundesebene keine Referenden vorgesehen, auf Landesebene sind sie meist aufwendig, nur auf kommunaler Ebene sind sie lebendiger. Keineswegs bedeutet dies, machtlos zu sein, wie manchmal behauptet wird, denn Willensbildung beginnt schon in der Öffentlichkeit. Bürgerinitiativen praktizieren genau das und da ist schon mit erstaunlich wenigen Mitteln viel zu bewegen. Das kann aber nicht heißen, dass jede Bürgerinitiative, jede Interessenartikulation selbstverständlich aufgenommen werden muss, weil dem gegenüber ja die anderen stehen, die sich nicht artikulieren und damit wenigstens das Bestehende tolerieren oder sich gar mit ihm einverstanden erklären. Manche Befürworter direkter Demokratie übersehen, dass auch in der Schweiz, wie z. B. 130 000 Unterschriften für die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ eben nur 130 000 Tausend waren, bevor es zur Abstimmung kam. Und dann waren es 23 % der Stimmen dafür, aber 77 % dagegen.

Die strikte Gegenüberstellung von repräsentativer und direkter Demokratie, wie sie manchmal anzutreffen ist, ist Ausdruck einer Selbstentmündigung und Verklärung des Volkswillens, der ja heute schon angeblich für Volksabstimmungen und gegen Hartz IV sei. „Die da oben“ wollten das nur nicht hören. Als Beleg dafür müssen dann Meinungsumfragen z. B. von yougov oder anderen Einrichtungen herhalten, die im Allgemeinen nichts darüber aussagen, wie im Falle einer tatsächlich zu verantwortenden Entscheidung votiert würde. Sich auf angebliche Mehrheiten zu berufen, die sich nicht verbindlich artikuliert haben bislang, trägt zur Mythenbildung bei.

Vor diesem Hintergrund geht das Bündnis Grundeinkommen einen pragmatischen Weg – bei allen Schwierigkeiten, die ich sehe – und versucht angesichts dieser Lage Möglichkeiten zu nutzen, die unserem heutigen Selbstverständnis entsprechen. Das halte ich für pragmatisch. Sonst bliebe nur, bis auf den Sankt Nimmerleinstag zu warten. Siehe hierzu auch den Beitrag von Enno Schmidt und einen früheren von mir.

Sascha Liebermann

Referendum in Griechenland, Finanzkrise und bedingungsloses Grundeinkommen

Die Griechische Regierung will per Referendum zu einer Entscheidung über die Pläne der EU gelangen. Dieses Vorhaben hat für Aufruhr gesorgt. Ökonomen äußern sich drastisch, wie z.B. Michael Hüther, zitiert nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Alles in allem scheint es wie ein politischer Selbstmord aus Angst vor dem Tode.“ Sagt das nun mehr über ihn oder über die Lage in Griechenland?

Offensichtlich fällt es diesen Experten schwer, die Stellung des Volkes als Souverän in einem demokratischen Gemeinwesen zu begreifen. Sie haben ein technokratisches Verhältnis zur Demokratie. Die richtigen Lösungen halten sie bereit, das Volk soll sie abnicken, da es selbst nicht mündig ist, um über seine Zukunft zu befinden. Nicht Experten allein haben ein hochmütiges Verhältnis zum Volk, muss man hier hinzufügen, das Volk selbst hat ein solches zu sich, wie Diskussionsveranstaltungen zum Grundeinkommen einem eindrücklich zur Erfahrung bringen. Dabei steht dieser Hochmut im Widerspruch zu den alltäglichen Lebensvollzügen, die einem etwas ganz anderes vor Augen führen. Dass die Bürger sehr wohl ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, aber nach ihrem Dafürhalten und nicht nach dem der anderen, bezeugt die eigene Erfahrung.

Wir könnten zugespitzt sagen, ein Großteil der gegenwärtigen Probleme entspringen dem Misstrauen untereinander. Ein Referendum in der Lage, in der Griechenland sich befindet und die es mitzuverantworten hat, kann Klarheit bringen. Stimmen die Bürger für die EU-Pläne, dann haben diese Pläne großen Rückhalt und können nicht mehr einfach als EU-Diktat abgetan werden. Die Griechen müssen sie dann tragen. Lehnen sie diese Pläne ab, müssen sie die Konsequenzen ebenso tragen und andere Lösungen vorschlagen. Vielleicht führt gerade ein solches Referendum dazu, dass wir in der EU erkennen, woran es mangelt: am Vertrauen in die Bürger, vor ihnen haben sich politische Entscheidungen zu rechtfertigen, sie müssen sie aushalten und tragen – nicht Investoren und Händler.

Es gibt aber andere Stimmen zum Referendumsvorhaben:
„Demokratie ist Ramsch“ (Frank Schirrmacher, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
„Referendum in Griechenland“ (Wolfgang Lieb, Nachdenkseiten). An diesem Beitrag ist erstaunlich, wie positiv sich der Autor zum Referendum äußert. In der Vergangenheit war das anders (siehe unseren früheren Hinweis).

Siehe unseren früheren Beitrag zum Thema Volksentscheid und direkte Demokratie hier.

Wie anders die Lage wäre, wenn es schon ein Grundeinkommen gegeben hätte? Wäre es zur Finanzkrise überhaupt gekommen? Es spricht manches dafür, dass unsere Lage ganz anders aussähe.

Sascha Liebermann

Nachtrag: Nun soll doch kein Referendum in Griechenland durchgeführt werden. Verfolgt man die Meldungen z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bei Spiegel Online, dann ging es für Papandreou darum, mit einem möglichen Referendum Druck auf die größte Oppositionspartei auszuüben. Ob dieses Taktieren dazu förderlich ist, die Gefolgschaft des Volkes für die EU-Pläne zu gewinnen, kann bezweifelt werden. Womöglich richtet es mehr Schaden an, lässt das Misstrauen eher noch wachsen.