"Willi Weise" und Konsorten – eine Herausforderung für mündige Bürger

In den letzten Monaten ergingen manche Aufrufe dazu, Parteien oder ähnliche Gruppierungen wie „Willi Weise„, „D4U„, „D-Bü“ u.a. zu unterstützen, die sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Fahne schreiben bzw. geschrieben haben. Offenbar fanden die Aufrufe Gehör, einige bGE-Befürworter sind ihnen gefolgt. Kritik an den Gruppierungen hat nicht lange auf sich warten lassen (siehe z.B. Archiv Grundeinkommen, Netzwerk Grundeinkommen). Auf manche Merkwürdigkeit wurde hingewiesen, programmatische Themensetzungen wurden kritisiert, durchaus auch am Ziel vorbei.

Eines lehrt uns diese Diskussion auf jeden Fall: dass es darauf ankommt, genau hinzusehen, was sich hinter denjenigen verbirgt – auch den etablierten Parteien -, die mit dem bGE für sich werben. Die Diskussion um die Trittbrettfahrer hat gezeigt, wie einfach zu erkennen ist, wo Schindluder getrieben wird, man muss nur hinsehen. Insofern stellen diese Entwicklungen also lediglich eine Herausforderung unserer Mündigkeit dar, nicht vorschnell und unbedacht vermeintlich progressiven Vorschlägen hinterherzulaufen.

Manche Kritik an den oben genannten Gruppierungen gibt allerdings zu denken, weist sie auf Unklarheiten in der Grundeinkommensdiskussion hin. Jörg Marx z.B. schreibt in seinem Blog über die „D-Bü“, die er als rechtsradikal bezeichnet: „Auch das neu ins Parteiprogramm aufgenommene Bekenntnis zu den Menschenrechten klingt ganz toll, bleibt aber eine hohle Phrase, wenn es wenig später heißt: ‚Asyl kann bei politischer Verfolgung gewährt werden.‘ Kann, muss aber eben nicht – ein merkwürdiges Verständnis der Menschrechte.“

Bei aller berechtigten Kritik an der Trittbrettfahrerei dieser Gruppierungen hinsichtlich des bGEs wird hier eine auch für die bGE-Diskussion wichtige Frage in die rechte Ecke gestellt. In Marx‘ Stellungnahme scheint die Frage auf, welche Bedeutung die Souveränität politischer Gemeinschaft hat, welche Stellung die Staatsbürger haben und welche Status-Bedingung erfüllt sein muss, um ein bGE zu erhalten. Asyl zu gewähren im Sinne eines Obdachs und einer Zuflucht setzt stets jemanden voraus, der einem anderen diese Zuflucht gewährt. Es handelt sich also um eine freiwillige Entscheidung, dem Flüchtigen Schutz zu geben. Die Gewährung von Asyl setzt also eine souveräne Gemeinschaft voraus, die über das Ersuchen befindet. Sie hat das letzte Wort, nur sie kann darüber entscheiden, ob Asyl gewährt wird. Insofern ist die Kann-Bestimmung, die Jörg Marx für ein Skandalon hält, unerlässlich, denn eine Muss-Bestimmung käme einer Selbstentmündigung bzw. -verleugnung gleich.

Der Artikel 16 Grundgesetz, auf den wir gerne voller Stolz verweisen, weil er zeigt, dass aus den Erfahrungen des Dritten Reiches Lehren gezogen wurden, ist gerade deswegen auch problematisch. Er bringt ein Selbstmisstrauen zum Ausdruck, denn letztlich besagt er, dass wir uns selbst nicht über den Weg trauen. Gäbe es das Grundrecht nicht, so seine Stellung, stünden wir stets in Verführung, Asyl gar nicht zu gewähren. Genau darauf zielt Jörg Marx. Was aus historischen Gründen nachvollziehbar erscheint, stellt der Sache nach eine Fortsetzung des Obrigkeitsstaates dar. Genau darin besteht die Gemeinsamkeit zur Grundeinkommensdiskussion, sowohl hinsichtlich der bGE-Kritiker als auch mancher Befürworter.

Wird in der bGE-Diskussion auf das bGE als Menschenrecht gepocht, um so seine Gewährung zu garantieren, wird die Souveränität politischer Gemeinschaft ausgehebelt. Ein bGE sei nur bedingunglos, wenn es gar keine Bezugsbedingung gäbe, deswegen dürfe es auch nicht an Staatsbürgerschaft gebunden werden, so z.B. Ronald Blaschke in einer Diskussion. Fragt man nach, ob denn auch Touristen ein bGE erhalten sollen, wird eingeräumt, dass es schon einer Status-Bedingung für die Gewährung bedürfe, z.B. einer Mindestaufenthaltszeit im Land. Das ist nun aber auch eine Bedingung, jedoch eine, die auf jegliche Loyalität der Staatsbürger verzichtet und zwischen ihnen und Nicht-Staatsbürgern keinen Unterschied macht.

Auf diese Unterscheidung und damit auf die Bedingung der Staatsbürgerschaft für die Gewährung eines bGEs zu verzichten (von der ja andere Status abgeleitet werden können, z.B. ein bGE Personen mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis zu gewähren), würde unsere politische Ordnung und das solidarische Gefüge erodieren lassen (siehe hierzu „Vielfältige Möglichkeiten, eigenartige Hindernisse“, insbesondere Fußnote 5 und 6). Die Staatsbürgerschaft hingegen als Status-Bedingung zu nehmen, entspräche ganz der Verfasstheit demokratischer nationalstaatlicher Ordnung, in der die Staatsbürger das Fundament sind. Soverän ist ein Staat nur, wenn seine Bürger souverän sind.

Sascha Liebermann

Ergänzung (14.8.2009): Ein weiterer interessanter Artikel über Willi Weise samt Kommentaren findet sich beim Forum Grundeinkommen. Offenbar werden die AGB von Willi Weise im Verborgenen gehalten, um Interessenten nicht vorzeitig abzuschrecken. Die Seite besteht noch, ist aber im sichtbaren Menü nicht mehr zu finden. Allerdings gibt eine Lektüre der Website auch ohne diese Feinheiten ausreichend Aufschluss über das Demokratieverständnis.

Freiheit und Selbstbestimmung statt bevormundender Integration – Replik auf Julian Nida-Rümelin

Der nachstehende Beitrag wurde der Frankfurter Rundschau zum Abdruck angeboten, die Redaktion hat ihn jedoch abgelehnt. Wir dokumentieren ihn in einer überarbeiteten Fassung an dieser Stelle.
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Eine „fundamentale Spaltung“ des Gemeinwesens befürchtet Julian Nida-Rümelin (Nida-Rümelin, Frankfurter Rundschau vom 5. Juni) durch die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Aus diesem Grund plädiert er für eine „Erneuerung der Idee der Arbeitsgesellschaft“, für eine „Integration durch Erwerbstätigkeit“. Er will also die Freiräume der Bürger zum Wohle unserer demokratischen Ordnung nicht maximieren, sondern auf ein bestimmtes Ziel kollektiv ausgerichtet sein lassen, das auch bislang dominiert: die Erwerbsverpflichtung. Damit wird aus der Bürgergemeinschaft eine von Werktätigen. Schon die Maxime „Integration durch Erwerbstätigkeit“ lässt aufhorchen. Sind wir als Bürger nicht immer schon integriert, Angehörige unseres Gemeinwesens und Souverän? Sind wir nicht Legitimationsquelle unserer politischen Ordnung und von daher ohnehin „integriert“? Es bedarf dazu keiner Erwerbsverpflichtung, die im Duktus von Nida-Rümelin zum Hilfs- und Fürsorgeprogramm für die Stärkung des Zusammenhalts wird. Statt einer solchen bevormundenden Integration, benötigen wir lediglich ein Einkommen, um auch auf Erwersarbeit verzichten zu können.

Was progressiv klingt und im Dienste der Bürger sein soll, setzt indes nur fort, woran unser Land krankt: dem Einzelnen vorschreiben zu wollen, wo er sich einzubringen hat. „Integration durch Erwerbstätigkeit“ heißt in aller Konsequenz auch, dass jegliches Engagement jenseits von Erwerbsarbeit eines zweiter oder dritter Klasse ist und auch bleiben soll. Bei allem Lob in Sonntagsreden für ehrenamtliches Engagement, bei allem Respekt vor der elterlichen Sorge für die Kinder – anerkannt wird dies nur, wenn zuerst Erwerbseinkommen erzielt worden ist. Nicht Freiheit und Selbstbestimmung stehen im Zentrum, sondern bevormundende Integration, bevormundend, weil das Ziel vorgeschrieben wird, wodurch sie erfolgen soll.

Wenn alle Bürger unseres Gemeinwesens (und davon abgeleitet alle Personen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung) ein Bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, dann kann von einer Spaltung gar keine Rede sein, vielmehr wird der Zusammenhalt mittelbar gefördert. Als Bürger – und nicht als Arbeitnehmer – werden die Bürger durch das BGE anerkannt. Der Volkssouverän ist grundlegender als der Zusammenhalt der Erwerbstätigen. Das BGE schafft Freiräume – stets vorausgesetzt, dass es hoch genug ist –, die in voller Verantwortung auch genutzt werden können. Schon heute überlassen wir es dem Einzelnen weitgehend, sein Leben in die Hand zu nehmen, das ist heute schon die Grundlage unserer demokratischen Ordnung. Das BGE allerdings erweitert diese Freiräume noch erheblich. Von der Freiheit Gebrauch machen muss aber niemand, es kann sehr wohl sein, dass sie ungenutzt bleibt. Wer nun darin einen Einwand erblickt, träumt davon, Freiheit „sicherzustellen“, ganz so wie manche meinen, die Erwerbsbetätigung könne sichergestellt werden – das ist nicht nur eine Illusion, sondern noch Ausdruck eines Kontrollbedürfnisses. Auch heute wird niemand einem Arbeitsplatz zugewiesen. Es könnte also Bürger geben, die nur vom bGE leben, weil das, wofür sie sich einsetzen, im Gütermarkt nicht den rechten Ort hat. Andere, die sich auch heute mit ihrem Beruf identifizieren, werden sicher weiter erwerbstätig sein, vielleicht aber auch sich selbständig machen, mit einem BGE im Rücken wäre das viel einfacher. Unterschiedliche Lebenspräferenzen haben mit Spaltung nichts zu tun, sie stehen für Vielfalt. Offenbar sind wir uns darüber noch nicht ausreichend klar geworden, wovon das Fortbestehen unseres Gemeinwesens abhängt: von der Loyalität der Bürger. Wo sie sich mit dem Gemeinwesen identifizieren können, werden sie sich auch einbringen, das belegt das umfangreiche ehrenamtliche Engagement. Wenn heute Resignation zunimmt, sollte uns das nicht wundern. Wer glaubt, durch das Anziehen der Daumenschrauben die Bürger zu mehr Loyalität bewegen zu können, irrt. Um ihre Gefolgschaft muss geworben werden, und zwar durch eine freiheitliche Politik.

Für uns als Gemeinwesen muss doch entscheidend sein, dass wir Bürger als Bürger – nicht als Erwerbstätige – auf gleicher Augenhöhe stehen, dazu leistet das BGE einen maßgeblichen Beitrag. Darüber hinaus verleiht es in jeder Lebenslage Verhandlungsmacht, denn mit einem Einkommen im Rücken, müssen keine faulen Kompromisse eingegangen werden. Das BGE als solches ist schon Ausdruck von Solidarität, da bedarf es keiner Appelle mehr.

Statt eines dirigistischen Elterngeldes, das Prämien auf Fürsorge für die Kinder aussetzt, würde ein bGE fördern, was immer Eltern tun: ob sie zuhause bleiben oder erwerbstätig sein wollen, das wäre in ihre Hände gelegt. Das BGE ist keine Prämie auf ein bestimmtes Handeln, es ist allenfalls eine Ermöglichungsprämie für Bürger, ohne vorzusehen, wozu sie genutzt werden soll.

All diese Freiheiten seien schön und gut, sagen die Kritiker. Sie verweisen auf Studien zum ehrenamtlichen Engagement, die angeblich belegen, dass es Menschen in unserer Mitte gibt, die sich gerade nicht engagieren. Zum einen wird es solche immer geben, ja, und? Zum anderen, und das ist entscheidend, müssen wir eine Politik für die Regel, nicht für die Ausnahme machen. Außerdem – und das ist genauso bekannt wie diese Studien – wissen wir, welch demotivierende Auswirkungen der Bezug von Transferleistungen hat: die Stigmatisierung leistet ganze Arbeit. Wer kann schon durch die Straßen laufen und sich damit brüsten, arbeitslos zu sein angesichts einer Vergötterung der Erwerbsverpflichtung? Was aber, wenn die Stigmatisierung durch ein BGE aufgehoben wird? Das lässt sich erahnen.

Alle Einwände gegen das BGE zeigen, womit wir hadern: Die Vorstellung aufzugeben, dass die Bürger bestimmte Lebensziele zu verfolgen haben. Dazu denken wir uns alle möglichen Programme aus, sie sind gut gemeint und kommen doch Erziehungsprogrammen gleich. Deswegen stellen sie die eigentliche Gefährdung unserer demokratischen Ordnung dar, sie nehmen uns Bürger als Bürger nicht ernst. Ein BGE hingegen macht ernst mit der Stellung der Bürger in unserer Demokratie: Es eröffnet ihnen Freiräume, gibt ihnen Verantwortung zurück und sichert sie zugleich ab. Selbstbestimmung und soziale Sicherung sind kein Gegensatz, wie oft behauptet wird. Ermöglichung statt fürsorgender Hinführung, das muss unsere Maxime sein. Erst wenn wir ihr folgen, werden wir die Bevormundung im Geiste hehrer Ziele aufgegeben haben. Das BGE ist ein Schritt dahin.

Sascha Liebermann

Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens?

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens haben deutlich an Zahl zugenommen, nicht nur in der öffentlichen Diskussion melden sie sich zu Wort, auch Parteien und Experten nehmen den Vorschlag heute ernster als noch vor einem Jahr. Die zunehmende Popularität hat allerdings nicht nur zu einer Verbreitung der Idee, sondern auch der Begriffe geführt, mit denen sie formelhaft in Verbindung gebracht wird. Seit einiger Zeit ist deutlich geworden, daß unter der Flagge auch Schiffe segeln, die mit der Idee mehr oder weniger, bisweilen gar nichts mehr gemein haben.

Jüngst wurde Meinhard Miegel in einem Interview gefragt, ob er das bedingungslose Grundeinkommen unterstütze, hier seine Antwort:

„Wir führen eine Diskussion über dieses bedingungslose Grundeinkommen. Ich finde diese Diskussion symphatisch, aber es gibt noch eine ganze Reihe von ungelösten Problemen. Diese müssen gelöst werden. Das Hauptproblem sind schrankenlose Mitnahmeeffekte. Ich vertrete die Auffassung, dass ein Grundeinkommen gewährt werden sollte und zwar von der Wiege bis zur Bahre. Andere Sozialleistungen sollen dann aber ersatzlos gestrichen werden. Gleichzeitig soll jeder Erwachsene, sagen wir vom 18. bis zum 70. Lebensjahr, eine Verpflichtung zu sozialer Tätigkeit eingehen müssen. Und wer diese soziale Arbeit nicht auf sich nehmen will, der bekommt auch kein Grundeinkommen.

Zwei Stellen in dieser kurzen Passage sagen, was Meinhard Miegel mit dem Vorschlag verbindet. Mitnahmeeffekte kann es nur geben, wenn Leistungen (zweckgebundene Subventionen) mißbraucht werden, sie also in Anspruch genommen werden, obwohl kein Bedarf besteht bzw. ein Handeln auch zustande gekommen wäre ohne diese Leistungen. Schon hieran ist abzulesen, daß das bedingungslose Grundeinkommen nicht mehr das ist, was es bezeichnet. Wenn jeder Staatsbürger Anspruch (Individualanspruch) auf das bGE hat und es nicht als zweckgebundene Subvention zu verstehen ist, kann es keinen Mitnahmeeffekt geben. Das bGE entspricht ja vielmehr einer zweckungebundenden Subvention für alle Staatsbürger.

Die zweite aufschlußreiche Stelle bedarf kaum eines weiteren Kommentars. Wird die Gewährung des bGEs an Altersstufen geknüpft, ist der Individualanspruch von der Wiege bis zur Bahre aufgegeben. Wer eine Verpflichtung zu sozialer Tätigkeit vorsieht, verkehrt das bGE in eine Sozialleistung alten Stils, also dem Geiste nach in das, was wir heute mit Arbeitslosengeld I und II schon haben.

Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens ist nur gesichert, wenn seine Gewährung nicht von einer zu erbringenden Leistung abhängig gemacht wird. Sein Bezug darf lediglich vom Status abhängig sein. Deswegen ist die allgemeine Bestimmung notwendig, daß Staatsbürgerschaft oder auch eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis Voraussetzung sind. Neben dieser Bestimmung spielt die Höhe des bGEs eine entscheidende Rolle. Ist der Betrag zu niedrig angesetzt, diese Gefahr besteht beim Solidarischen Bürgergeld und der Grünen Grundsicherung (hier ein Kommentar von Thomas Poreski zu meiner jüngst geäußerten Kritik , dann erzeugt das bGE mittelbar eine Erwerbsverpflichtung, damit ein ausreichendes Einkommen erzielt werden kann.

Nun wird gerne darauf verwiesen, der Vorschlag müsse auch Akzeptanz finden können, ein zu hoch angesetzter Betrag bewirke das Gegenteil. Würde dies bemerkt, nachdem es eine breite öffentliche Diskussion schon gegeben hat, wäre sie bedenkenswert. Bevor aber überhaupt eine solche breite Diskussion tatsächlich in Gang gekommen ist – wir stehen erst am Anfang – führt diese Beschränkung zur Selbstbeschränkung. Wir verschenken Möglichkeiten, wenn eine Diskussion über den weitreichenden Vorschlag schon zu Beginn unterlaufen wird.

Sascha Liebermann