„In Deutschland sind Akademiker vollbeschäftigt“…

…das berichten FAZ und Spiegel in ihrer Online-Ausgabe. Klingt gut, nicht wahr? Klingt, als sei die Lage prima. Wer die Welt durch Statistik betrachtet und zu ihrer Deutung sich solch modelltheoretischer, normativ aufgeladener Definitionen wie „Vollbeschäftigung“ (darin auch den Hinweis auf Wolfgang Strengmann-Kuhn) bedient, kann dann vor allem Gutes berichten. In dieser Hinsicht ist der Beitrag exemplarisch dafür, die Welt durch eine bestimmte Brille zu sehen (siehe aber dazu auch „Es gibt kein Beschäftigungswunder“)

Anders stellt sich die Situation dar, wenn nicht auf statistische Korrelationen vor dem Hintergrund bestimmter normativer Deutungen der Blick gerichtet wird, sondern die individuelle Lebenslage interessiert. Als erstes wären hier diejenigen zu nennen, die zu den 2,5% gehören, die keine Stelle haben. Für sie gilt: „Jedes Leid hat einen Namen“ (siehe auch „Akademikern droht Altersarmut“). Eine solche, auf das konkrete Individuum gerichtete Betrachtung hat in der Statistik per se keinen Platz, deswegen sagt sie über Möglichkeiten des Einzelnen auch nichts aus. Selbst von denjenigen, die eine Stelle haben, wissen wir nicht, ob sie nicht etwas anderes gerne machen würden, wenn sie die Möglichkeiten hätten; ob sie nicht effizienter arbeiten würden, wenn Arbeitsbedingungen besser verhandelt werden könnten usw. Auch wissen wir nicht, welche dieser Stellen automatisiert werden würden, wenn dies politisch gewollt und gefördert würde.

Kurzum, diese ganze Vollbeschäftigungsterminologie führt nicht weiter, sie ist vielmehr ein Grund dafür, bestehende Möglichkeiten nicht ernsthaft zu sehen, sie versperrt den Blick, benebelt. Denn auch diejenigen, die nicht erwerbsförmig beschäftigt sind, können natürlich voll beschäftigt sein, z.B. mit der Suche nach einem Arbeitsplatz ( siehe hierzu „Vollbeschäftigung aus Sicht der modernen Arbeitsmarkttheorie“) oder damit, etwas anderes, in ihren Augen sinnvolles zu tun. Wenn diese Einsicht selbstverständlich geworden sein wird, dann wird dem bedingungslosen Grundeinkommen nichts mehr im Weg stehen.

Sascha Liebermann

„Jedes Leid hat einen Namen“

Auf diese Formel bringt Götz W. Werner den Missstand, dass wir individuelle Lebenssituationen allzu leicht hinter Konzepten und statistischen Größen verschwinden lassen (siehe seine Kolumne im dm-Kundenmagazin), das damit verbundene Leid folglich nicht mehr sehen. In Erinnerung ruft er hierbei eine Diskussion mit der Soziologin und gegenwärtigen Präsdentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, aus dem Jahr 2008 in dem Magazin Chrismon (der Artikel ist online nicht mehr verfügbar, siehe aber unseren Beitrag von damals dazu). Sie hält darin der Perspektive auf das Individuum, die Werner stark macht, das Konzept der Vollbeschäftigung entgegen, wenn sie sagt, 3% Arbeitslose bedeuten beinahe Vollbeschäftigung. Nun, was hilft das dem Einzelnen? Ganz anders wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.

„Verbrämte Statistik“ – Was sagen die Arbeitsmarktzahlen aus?

Unter diesem Titel hat Ulrike Herrmann schon Ende Juni das allmonatliche Ritual kommentiert, mit dem die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitsmarktzahlen präsentiert. Der Kommentar erinnert daran, was diese Statistik aussagt und worüber sie schweigt.

Statistiken sind im allgemeinen mit Vorsicht zu genießen. Denn solange man nicht weiß, was nach welchen Verfahren mit welchen Fragen erhoben wird, ist auch nicht zu ermessen, was aus den Daten geschlussfolgert werden kann. Was sie bestenfalls hergeben, sind Wahrscheinlichkeiten, sie erklären jedoch gar nichts (Siehe auch Walter Krämer, So lügt man mit Statistik, ein interessantes Buch, der Titel ist etwas irreführend, siehe Einleitung; siehe auch einen Vortrag über Statistikausbildung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften).

Was die Kommentatorin indes nicht aufgreift, ist der Umstand, dass eine solche Statistik überhaupt nur misst, was sie per definitionem messen soll und das dies wiederum davon abhängt, nach welchem Modus das Gemeinwesen seine Bürger alimentiert. Wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten und jeder, weil es ausreichend hoch wäre, abgesichert wäre; wenn es also keiner Meldung bei der Agentur für Arbeit bedürfte, um eine Absicherung zu erhalten, dann bräuchte es auch diese Statistik nicht. Folglich würden wir über „Erwerbslosigkeit“ nicht mehr in der Form sprechen, in der wir es heute tun, wir würden uns vielmehr fragen, was wir tun müssen, um die Freiräume zur Selbstbestimmung zu vergrößern.

Sascha Liebermann