Bedingungsloses Grundeinkommen: „Modell mit Tücken“ oder Tücken der Einwände?

…ein Beitrag von Thomas Greven auf Gegenblende.

Welche Tücken sieht der Autor?

Nachdem zu Beginn des Beitrags kurz ausgeführt wird, welche Aspekte die Befürworter eines BGE herausheben, setzt Greven dazu an, die Tücken zu erläutern. Dabei bezieht er sich auf einen Modellvergleich von Ronald Blaschke.

„Jenseits der Details der Vielzahl unterschiedlicher Modelle ist die Grundidee eines bedingungslosen Grundeinkommens denkbar einfach. Anstelle diverser bedarfsorientierter sozialstaatlicher Programme hat jeder das Recht auf ein Grundeinkommen aus Steuermitteln. Einige Fragen sind offensichtlich: Wer ist bezugsberechtigt, alle Staatsbürger oder jeder sich auf dem Bundesgebiet legal aufhaltender Mensch, oder jeder Mensch überhaupt? Wie wird die Höhe der Transferleistung bestimmt (Existenzsicherung, Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben)? Wie wird die Transferleistung ausgezahlt und wird sie durch Bezug von Arbeitseinkommen eingeschränkt. Ich will mich in der Folge auf das Modell einer negativen Einkommenssteuer konzentrieren, da mir die Konzeption einer Sozialdividende, also die Auszahlung des Grundeinkommens an alle, unabhängig von ihrem Einkommen, als politisch unrealistisch erscheint.“

Diese Fragen können kaum als Vorbehalte theoretischer Art verstanden werden, müssen sie alle praktisch beantwortet werden, es geht nämlich darum, welches BGE gewollt wird von den Bürgern. Lehnt man sich an heute bestehende Regelungen an, ist die Frage, wer bezugsberechtigt sein könnte, einfach zu beantworten. Staatsbürger, weil sie das Volk bilden; Personen mit einem zu definierenden Aufenthaltsstatus, weil das heute schon das Kriterium ist. „Jeder Mensch“ kann es nicht erhalten – es sei denn, wir würden unsere Selbstauflösung betreiben wollen. Die Höhe bestimmt sich danach, welche Möglichkeiten durch ein BGE geschaffen werden sollen, auch das ist eine praktische Frage. Das nur verteilt werden kann, was erwirtschaftet wird, bezweifelt niemand. Eingeschränkt werden soll das BGE durch Erwerbseinkommen nicht, dann wäre es nämlich keines. Diese Frage lässt allerdings schon erahnen, dass der Autor BGE und Negative Einkommensteuer (NES) durcheinanderbringt.

Da der Autor sich nun für die NES entschieden hat, stellen sich andere Fragen, als es mit einem BGE der Fall wäre:

„Eine Reihe von Fragen bleiben: Wie wird ein Abstand zwischen Transferleistung und Erwerbseinkommen gesichert, damit Arbeit attraktiv bleibt? Positiv gewendet müsste unattraktive Arbeit höher entlohnt werden, damit sich Menschen finden, die sie ausüben wollen. Ist es sozial gerecht, dass die steuerzahlenden Beschäftigten für ein Grundeinkommen aufkommen, wenn es weder Bedingungen für dessen Bezug noch Anreize für die Aufnahme von Erwerbsarbeit gibt, insbesondere wenn zur gezielten Zuwanderung in das System des Grundeinkommens kommt? Durch Strategien individueller Nutzenmaximierung kann es zu erheblichen Ungerechtigkeiten kommen, welche wiederum Einfallstor für Rechtspopulisten sein können.“

Attraktiv wäre beim BGE gerade, dass über Arbeitsbedingungen, damit auch den Lohn, anders verhandelt werden kann als heute. Für einen Arbeitsplatz, der nicht attraktiv ist, wird sich niemand finden.

Die Frage nach der Gerechtigkeit so abstrakt zu stellen, ist ziemlich sinnlos, sie ließe sich problemlos umdrehen. Ist es gerecht, dass diejenigen, die sich dafür entscheiden, sich viel Zeit für ihre Kinder zu nehmen, so viel schlechter dastehen (Einkommen in der Gegenwart wie Einkommen – Rente – in der Zukunft) als die, die das nicht tun? Ist es gerecht, dass einige sich ehrenamtlich stark engagieren, andere aber nicht? Ist es gerecht, das Einkommen vor allem über Löhne verteilt werden, obwohl doch die Einkommensbildung von Leistungen vorausgehender Generationen abhängig ist und damit ein Gemeingut darstellt? Ist es gerecht, Leistung fiktiv individuell zuzumessen, obwohl dies gar nicht zumessbar ist? Und so weiter und so fort. Gerechtigkeit ist eine Frage danach, wie eine Gemeinschaft leben will und wie sie es gestaltet samt aller Folgen.

Die „Anreize“ dürfen natürlich nicht fehlen, diese sehr bescheidene Vorstellung davon, warum Menschen handeln wie sie handeln.

„Gezielte Zuwanderung“ in das System des Grundeinkommens? Dazu müssen wir uns heute schon verhalten, das ist keine Frage der Zukunft. Man könnte sagen, ein BGE würde uns um so mehr dazu aufrufen, uns zu fragen, wie wir damit umgehen wollen und welchen Beitrag wir dazu leisten können, dass Menschen nicht aus ihrem Land fliehen.

Dann diese Frage:

„Ist es andererseits sozial gerecht, mit einem Grundeinkommen tatsächliche Bedarfe, die punktuell oder strukturell über dieses hinausgehen, zu ignorieren, weil es weder Bürokratie noch Programme gibt, diese Bedarfe zu erfassen?“

Wer fordert die Abschaffung jeglicher bedarfsgeprüfter Leistungen?

„Es ist zudem fraglich, ob es sozial gerecht ist, mit einem Grundeinkommen all diejenigen quasi ruhig zu stellen, für die in einer modernen Arbeitswelt angesichts von Produktivitätsrevolutionen durch Digitalisierung etc. kein Platz mehr ist.“

Man könnte diese Haltung als die umgekehrte Variante des Paternalismus betrachten, der den Bürgern abspricht, mündig zu sein. Es ist der Paternalismus der Sorge, dass die Bürger im Allgemeinen ihre eigenen Interessen nicht wahrzunehmen in der Lage wären, der meint, sie könnten überhaupt ruhiggestellt werden. Außerdem bleibt es eine gemeinschaftliche Aufgabe, Lösungen zu finden, die für alle tragbar sind.

Dann heißt es:

„Aber Arbeit ist auch Quelle von Anerkennung und Sinnstiftung; fällt sie für Menschen weg, kann es zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommen. Dies ist auch politisch gefährlich.“

Nun, worauf will Greven hinaus? Kann „Arbeit“ denn sinnstiftend sein, die im Grunde nicht benötigt, aber aus sozialfürsorgerischen Gründen vorgehalten wird? „Anerkennung und Sinnstiftung“ sind nicht losgelöst davon, ob eine „Arbeit“ auch eine Sachbindung hat, ob sie einer Sache dient, die sich nicht im Selbstzweck der Arbeit erschöpft. Grevens Frage wird aber nur relevant, wenn er Arbeit zum Selbstzweck erhebt (ohne dass wir hier fragen, welche er denn meint).

Abschließend folgt dann:

„Wahrscheinlich ist es sinnvoll, die Auswertung des großangelegten finnischen Versuchs der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abzuwarten (2.000 Menschen erhalten für zwei Jahre 560 Euro monatlich, ohne vorherige Bedarfsprüfung und ohne Notwendigkeit, eine Arbeitssuche nachzuweisen). Nach fünf Monaten sind die Auskünfte aus dem Kreis der Teilnehmer positiv (Bericht der Huffington Post), aber viele Fragen können wohl erst nach Ablauf der zwei Jahre beantwortet werden, insbesondere ob es wirklich zu den antizipierten Einsparungen bei der Bürokratie kommt.“

Weder geht es in Finnland um ein allgemeines BGE, noch werden die „Ergebnisse“ Schlüsse auf ein solches zulassen. Wie schon bei den Negative Income Tax Experiments aus den 1970er Jahren werden die Befunde strittig bleiben (siehe hier, hier und hier).

Sascha Liebermann