Ruprecht Polenz (CDU), der real existierende Sozialismus und das Bedingungslose Grundeinkommen

So könnte man den Titel seines Beitrags für starke-Meinungen.de umformulieren. Dort schreibt Ruprecht Polenz:

„‘Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seinen Bedürfnissen‘, so stellte sich Karl Marx das Schlaraffenland vor. Die klassenlose Gesellschaft werde es jedem ermöglichen, ‘heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden‘. In den bisherigen Versuchen hat es mit der Realisierung nicht geklappt. Sie wurden 1990 beendet, weil beide Versprechen vom real existierenden Sozialismus nicht erfüllt werden konnten.“

Schreibt Marx über das Bedingungslose Grundeinkommen? Keine Silbe, worauf kürzlich Christoph Henning hingewiesen hat. Auch vom Schlaraffenland ist bei ihm keine Rede und wieviel die DDR mit Karl Marx zu tun hat – konnte man da etwa tun, was Polenz beschreibt? Vielleicht hätte ein Blick in die DDR-Verfassung helfen können, in der von der Pflicht zur Arbeit die Rede ist. Das hat mit dem BGE also gar nichts zu tun, wie diese Passage zeigt:

Verfassung der DDR von 1968 (1974), Art 24:

„(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation

(2) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger. Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit

Wer den real existierenden Sozialismus mit dem BGE vergleicht, kann die westliche Demokratie nicht verstanden haben (siehe meinen Kommentar zur Ausführungen Thomas Sattelbergers). Wie sonst könnte er zu dem Vergleich gelangen?

Selbstverständlich geht es in Polenz Beitrag um die Digitalisierung, doch darauf hat er eine beruhigende Antwort:

„Ich denke nicht, dass es so kommt. Wie bei der ersten und zweiten industriellen Revolution werden Arbeitsplätze wegfallen. Vor 200 Jahren arbeiteten 80 Prozent in der Landwirtschaft, heute sind es noch 4 Prozent. Und sie produzieren ein vielfaches mehr. Hätte man die Bauern vor 200 Jahren gefragt, sie hätten vielleicht gedacht: dann muss ich ja nicht mehr arbeiten und bekomme trotzdem zu essen. Die Arbeit ist durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft aber nicht ausgegangen. Sie hat sich vom Feld in die Fabrik verlagert.“

Ja, schon, und wie sieht es mit dem Arbeitsvolumen aus? Diese Tabelle (fünfte Tabelle von oben) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder gibt Aufschluss. Man beachte besonders das Arbeitsvolumen pro Erwerbstätigen, es ist – nicht erst – seit dem Jahr 2000 gesunken (siehe auch hier). Polenz trifft insofern einen wunden Punkt der BGE-Diskussion, in der das BGE direkt mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt begründet wird.

„Auch diesmal wird es nicht so kommen. Wir haben Arbeit, weil Menschen Bedürfnisse haben. Und wir bekommen Geld dafür, weil wir in organisierter Arbeitsteilung zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer Menschen beitragen, die uns dafür bezahlen.

Diese Bedürfnisse verändern sich mit den Möglichkeiten und sind, darauf kommt es hier an, prinzipiell unbegrenzt. Wir können heute noch nicht wissen, was sich die Menschen in 30 oder 40 Jahren wünschen werden. Bei uns stand 1990 auch noch kein Handy auf dem Wunschzettel. Aber wir wissen schon, dass es auch Weihnachten 2050 Wunschzettel geben wird.“

Damit macht er es sich zu leicht. Denn, so wenig wir wissen können, was nun tatsächlich mit der Digitalisierung einhergeht, so wenig können wir das Gegenteil behaupten, dass alles schon nicht so schlimm werde. Beide Extrema, die Hysterisierung wie die Bagatellisierung etwaiger Folgen der Digitalisierung haben viel mit der Sorge um Arbeitsplätze und Einkommenssicherung zu tun. Sobald wir die Einkommenssicherung durch ein BGE von der Erwerbstätigkeit ablösen, ein reguläres, erwerbsloses Dauereinkommen einführen, können wir gelassener über die Digitalisierung nachdenken – und nicht nur über sie.

Sascha Liebermann