Ruprecht Polenz (CDU), der real existierende Sozialismus und das Bedingungslose Grundeinkommen

So könnte man den Titel seines Beitrags für starke-Meinungen.de umformulieren. Dort schreibt Ruprecht Polenz:

„‘Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seinen Bedürfnissen‘, so stellte sich Karl Marx das Schlaraffenland vor. Die klassenlose Gesellschaft werde es jedem ermöglichen, ‘heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden‘. In den bisherigen Versuchen hat es mit der Realisierung nicht geklappt. Sie wurden 1990 beendet, weil beide Versprechen vom real existierenden Sozialismus nicht erfüllt werden konnten.“

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Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz – nicht national umsetzbar?

Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Bericht des tagesanzeigers (auf den sich auch die Neue Zürcher Zeitung beruft, die gleich die Schweiz zum „Schlaraffenland mit gefährlicher internationaler Sogwirkung“ ernennt) und bezieht sich auf Äußerungen Oswald Siggs, der einer der Initianten der Eidgenössischen Volksinitiative ist. Sigg „glaube nicht, dass man das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz isoliert umsetzen kann“, zitiert ihn der tagesanzeiger. Wegen der durch ein BGE erwachsenden Attraktivität der Schweiz für „all die Arbeitslosen in Europa und für Flüchtlinge“ würde durch die Einführung die Zuwanderung deutlich zunehmen. Sigg plädiere deswegen für einen Pilotversuch in einem Kanton, um zu testen, was passiert, wenn ein BGE eingeführt wird (siehe meinen jüngeren Kommentar zu Feldexperimenten hier). Dabei verweist er laut tagesanzeiger allerdings selbst darauf, dass definiert werden könne, wer in diesem Experiment bezugsberechtigt ist. Damit hat Sigg im Grunde aber schon ausgesprochen, wie mit der Zuwanderung umgegangen werden könnte, wie mit ihr auch heute schon umgegangen werden muss. Es bedarf bei nationaler und selbst europäischer Einführung einer Wartefrist, bis jemand bezugsberechtigt ist. Wie sie aussieht, wäre wiederum Gegenstand politischer Willensbildung bzw. bestehender Gesetzgebung.

Aus der Sicht eines politischen Gemeinwesens, das über sein Leben selbst bestimmen können will, ist eine Fristenregelung die einzige Möglichkeit, mit der auf die von Sigg aufgeworfene Sorge geantwortet werden kann. Über eine ähnliche Frage gab es im letzten Jahr eine Diskussion in Deutschland betreffend den Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Das Bundessozialgericht  (siehe auch hier) stellte fest, dass bei EU-Bürgern geprüft werden müsse, ob Anspruch auf Sozialhilfe bestehe. Nach einer Mindestaufenthaltszeit allerdings bestehe ein Rechtsanspruch. Was Oswald Sigg für die Schweiz befürchtet, ist also in der EU schon Realität und nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz zu klären, wie auf Zuwanderung reagiert werden kann. Dass es nur eines BGE wegen zu besorgniserregenden Wanderungsströmen kommen würde, ist unwahrscheinlich, dafür gäbe es ja durchaus heute schon Anlass, auch innerhalb der EU, denn das eigene Land zu verlassen, bedeutet ja, nicht nur die eigene vertraute Lebensumgebung aufzugeben, es verlangte ja ebenso, Angehörige und Freunde zurückzulassen.

Gegen Ende des Beitrags heißt es noch:

„All diese Unwägbarkeiten zeigen: Bei einem Ja zum bedingungslosen Grundeinkommen würde die Schweiz in ein grosses Testlabor verwandelt. Denn die Idee wurde noch nirgendwo in diesem Ausmass erprobt. Zwar fanden im Ausland diverse Pilotversuche statt, aber stets in sehr beschränktem Rahmen. Auch wurden dort vor allem die Auswirkungen der ausgeschütteten Gelder getestet, nicht die Folgen der Finanzierung solcher Grundeinkommen.“

Eine besonnene Einführung gehört dazu, ein Umsturz von einem Tag auf den anderen ist nicht zu erwarten. Dem BGE werden teils Probleme zugeschrieben, die es hervorbringen würde, die längst bestehen.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen Pro und Contra…

…in HR Today. Pro: Daniel Straub, Contra: Fabian Schnell (Economiesuisse).

Der Vergleich des BGE mit dem Schlaraffenland und dem Paradies auf Erden erfreut sich bei Gegnern großer Beliebtheit (siehe hier und hier). Als polemische Spitze ist dieser Vergleich noch nachvollziehbar, wenn im Eifer der Diskussion das Gegenüber in eine Ecke gedrängt werden soll. Doch, wenn vermeintlich nüchterne Erwägungen von wissenschaftlicher Seite diesen Vergleich bemühen, dann muss man doch staunen ob der Weltfremdheit des Vergleichs.

„Glücksrezept Grundeinkommen: Geld und Glück für alle“ – die Wirtschaftswoche zum Grundeinkommen

Am 11. Juni ist dieser Beitrag von Felix Ehrenfried in der Wirtschaftswoche erschienen. Der Autor hat im Rahmen seiner Recherche mehrere Interviews geführt, auch mit Sascha Liebermann. Vom Titel ausgehend lässt sich schon mutmaßen, wie er endet, denn von einem „Glücksrezept“ zu sprechen, kommt einer gewissen Veralberung gleich. Sie gibt allerdings auch den Blick auf etwas frei, was für die Grundeinkommensdiskussion hilfreich ist: die Vorstellung, mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen könnte ein konkflikt- oder dissensfreies Leben zu gewinnen, ist eine Illusion. Denn Freiheit ist kein Schlaraffenland, sie ist eine Zumutung im wahrsten Sinne des Wortes.

„Schlaraffenland oder verwirklichte Bürgergesellschaft“ – Langfassung des Interviews auf ZEIT online

Ende des vergangenen Jahres erschien ein Interview mit Theo Wehner und Sascha Liebermann auf ZEIT online, „Das bedingungslose Grundeinkommen macht nicht faul“, das 1442 mal kommentiert wurde. Nun ist die ausführliche Fassung veröffentlicht worden:

Schlaraffenland oder verwirklichte Bürgergesellschaft? Ein Interview zum bedingungslosen Grundeinkommen mit Sascha Liebermann und Theo Wehner von Max Neufeind.Zürcher Beiträge zur Psychologie der Arbeit. Eine Schriftenreihe des Zentrums für Organisations- und Arbeitswissenschaften der ETH Zürich, Heft 1/2012 (Januar)

Abwehrgefechte und journalistische Verweigerung – Maybrit Illner

Schon der Titel „Geld fürs Nichtstun. Wie gerecht ist ein Grundeinkommen für alle?“ unter dem die Sendung Maybrit Illner stand, ließ nichts Gutes ahnen. Allzu bekannt ist die zwanghafte Dauerwitzigkeit, mit der die Moderatoren des öffentlich rechtlichen Fernsehens alles und jeden überziehen. Ernsthafte Fragen auch ernsthaft zu diskutieren, das scheint unmöglich. Sich in den Dienst der öffentlichen Meinungsbildung zu stellen – die erste Aufgabe eines Journalisten – ist zur Ausnahme geworden. Nicht nur die Themen auch die Gäste werden zur Dekoration der Moderatorin und des Senders degradiert.

Diesem Gehabe fügt sich auch, daß Gäste vorgeführt und instrumentalisiert werden, wie ein Gast, Bezieher von ALG II, der sich zum Vorschlag des Grundeinkommens äußern sollte. Nur weil er ALG II bezieht und die ganze Mühle des Apparats durchlitten hat, von daher sich selbstverständlich nach einer Arbeitsstelle sehnt – sollte er deshalb dem Grundeinkommen aufgeschlossener sein als andere? Keineswegs, wie zu erfahren war. Auch hat er „gerechnet“ und genauso wenig die Veränderungen durch das Grundeinkommen berücksichtigt wie die anderen Kritiker auch. Statt sich auf die Idee einzulassen oder tragfähige Einwände vorzubringen, stimmt er ein: „Die [ALG II-Bezieher] wollen alle arbeiten“ und lehnt deswegen das Grundeinkommen ab. Ihn vorzuführen hatte zumindest eine entscheidende Wirkung: Schon aus Takt kritisiert niemand seine Äußerungen. Auch so beinflußt man die öffentliche Meinung, genau dazu hat ihn Frau Illner benutzt.

„Geld für’s Nichtstun“ – mit einem solchen Etikett versehen, läßt sich ein Vorschlag leicht desavouieren, er sollte offenbar verunglimpft werden. Das Grundeinkommen wird ja nicht für das Nichtstun gewährt, sondern um dem Einzelnen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu eröffnen oder, wie Dieter Althaus sagte, um ihm Freiheit zurückzugeben. Womöglich nutzen manche diese Freiheit zum Nichtstun, aber ist das heute anders? Wer sich nur und vor allem des Geldes wegen engagiert, wie ernsthaft interessiert er sich für die Aufgabe, für deren Bewältigung er das Geld erhält – wohl gar nicht. Solche Mitarbeiter sind nirgendwo gern gesehen, weder in Unternehmen, noch in wohltätigen Organisationen und auch als Bürger sind sie nicht bereit, einen Beitrag zu leisten. Nur aber, weil es davon wenige gibt, sollten wir alle bestrafen? Und wer weiß, was diejenigen, dies sich heute nicht engagieren, täten, gäbe es ein Grundeinkommen? Da hilft es auch nicht weiter, die üblichen Vorurteile zu verbreiten wie Oswald Metzger (Die Grünen) oder Rita Knobel-Ulrich (Journalistin) es getan haben. Wo von Freiheit gesprochen wird, sehen sie das Schlaraffenland heraufziehen, ohne Peitsche keine Leistung – das gilt natürlich nicht für Metzger und Knobel-Ulrich selbst, sondern für die anderen.

Die subtilen Einspieler und Schaubilder waren tendenziös, als säßen wir Bürger auf einer Parkbank herum und warteten nur auf die Überweisung des Grundeinkommens. Auch der Vergleich des ALG II mit dem Solidarischen Bürgergeld (SB) war mutwillig verzerrt. Er sollte zeigen, daß ALG II-Bezieher sich mit dem SB verschlechtern würden, enthielt allerdings keinen Hinweis auf die heute geltenden Anrechnungsregelungen für Zuverdienste (80-90% ab 101 € werden angerechnet). Beim SB ist die Anrechnung geringer, beim bGE ist sie erst gar nicht vorgesehen.

Otmar Schreiner (SPD) erregte sich dann über die Ungerechtigkeit, daß auch Reiche das Grundeinkommen erhalten würden. Warum auch nicht, als Bürger unseres Gemeinwesens steht es jedem zu. Otmar Schreiner war wohl nicht bewußt, daß heute sowohl Kindergeld als auch Steuerfreibetrag ebenso für alle gelten, auch für diejenigen, die es seiner Auffassung nach nicht brauchen. Vollbeschäftigung sei sehr wohl erreichbar, wenn man nur wolle, so der Tenor von Otmar Schreiners Ausführungen. Aber wozu sollten wir sie anstreben, wenn ein Grundeinkommen vielfältigere Entfaltungsmöglichkeiten schaffen würde, als wir je zuvor hatten – ohne Sozialverwaltung, Gängelung, Betreuung? Darüber hinaus würde endlich jedes Engagement anerkannt und wertgeschätzt, ob es nun Erwerbsarbeit wäre, die Erziehung der Kinder oder das bürgerschaftliche Engagement.

Wer nun behauptet, wir haben doch schon eine Grundsicherung und bräuchten deswegen gar kein bGE, wie Frau Knobel-Ulrich, der bezeugt, daß er sich mit dem bGE nicht auseinandergesetzt hat. Dies war auch ein Mangel der gesamten Sendung. Statt den Vorschlag einmal breit auszuleuchten und ins Verhältnis zu gegenwärtigen Regelungen zu setzen, wurde abgewehrt, wo es nur ging. Was man fürchtet, ohne Argumente dagegen zu haben, das muß man abwehren.

Oswald Metzger ereiferte sich, das Grundeinkommen sei eine Stillhalteprämie – daran läßt sich ablesen, was er von uns Bürgern hält. Wer glaubt, wir Bürger lassen uns einfach „stillhalten“, der traut uns nichts zu. Wer uns nichts zutraut, der hält es für wichtig, daß wir „in Arbeit gesetzt“ werden. Ganz in diesem Sinne auch Otmar Schreiner, der eine Spaltung der Gesellschaft befürchtet, was er nur kann, weil er meint, die tatsächliche „Integration“ erfolge über Erwerbsarbeit und nicht über die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen. Das bGE erlaubte es dem Einzelnen, dort initiative zu werden, wo er es für richtig hält, mehr Freiraum als heute, hätte er dann. Wo also soll die Spaltung herkommen? Bürger bleiben wir alle, wo auch immer wir uns engagieren, ob wir etwas leisten oder nicht, Bürger sind wir um unser Gemeinwesen willen. Doch genau das Bewußtsein von diesem Zusammenhang fehlt.

Sascha Liebermann