„Teuer und riskant. Bedingungsloses Grundeinkommen birgt Gefahren“…

…so die Überschrift des Leitartikels von Hans-Peter Kastenhuber in den Nürnberger Nachrichten. Welche Gefahren sieht der Autor im BGE?

„Natürlich ist das eine charmant klingende Idee: Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll den Menschen vom Zwang zur Lohnarbeit befreien, ihm ohne Rechtfertigung ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen. Den Beginn der wahren Freiheit sagen die Befürworter voraus. Jeder könne sich, abgesichert durch die vom Staat zur Verfügung gestellte materielle Basis, endlich jenen Tätigkeiten widmen, die er als sinnvoll und erfüllend erachtet. Der alte Traum, das Paradies auf Erden zu verwirklichen, er schiene damit zumindest ein Stück weit realisiert.“

Eine knappe Zusammenfassung, die in zweierlei Hinsicht daneben liegt, das sagt viel über den Autor. Zwar hebt das BGE das Gebot auf, dass jeder erwerbstätig sein solle, es enthebt ihn jedoch keineswegs der Verantwortung sich zu fragen, wie er zum Wohlergehen des Gemeinwesen beitragen kann. Diese Verpflichtung, sein Handeln angesichts dieser Frage rechtfertigen zu können, bleibt bestehen und wird sogar noch verstärkt. Sie stellt sich unausweichlich jedem Einzelnen, der zu einem Gemeinwesen gehört, denn das Fortbestehen hängt davon ab, dass dreierlei Aufgaben bewältigt werden: 1) Reproduktion und Generativität (familiale Sozialisation und Nachwuchs), 2) Reproduktion und Erneuerung politischer Vergemeinschaftung sowie 3) Bereitstellung standardisierter Problemlösungen (Güter und Dienstleistungen). Entgegehen kann diesen Herausforderungen und der entsprechenden Verantwortung niemand, dafür sorgt der Prozess der Sozialisation. Erwerbstätigkeit ist eben ein solcher Beitrag, aber nur einer unter anderen.

In einer anderen Hinsicht noch geht der Beitrag in die Irre. Die Vorstellung, mit dem BGE könne sich das „Paradies auf Erden“ verwirklichen. Der Autor erweist sich hier nicht als bibelfest, denn im Paradies lebten Adam und Eva ohne Bewusstsein und waren unfrei. Die Vertreibung aus dem Paradies war der Preis, wenn man so will, um frei zu werden, aber nicht ungebunden frei, sondern frei in Verantwortung dafür, das Leben in die Hand zu nehmen. Es ist gerade nicht das Paradies auf Erden, dass durch das BGE „ein Stück weit“ möglich würde, es ist die Zumutung von Freiheit und Verantwortung, die noch deutlicher hervorträte, denn kein ernstzunehmender Befürworter behauptet, dass ein Gemeinwesen einfach so von selbst fortexistieren könnte.

Was lässt der Autor folgen?

„Dieses idealistische Grundmotiv ist den meisten Aktivisten, die sich für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen, auch gar nicht abzusprechen.“

Es geht um das „Grundmotiv“, dass der Autor als Unterstellung eingeführt hat, auf das er sich hier dann berufen kann. „Idealistisch“ bedeutet hier natürlich so viel wie unrealistisch oder realitätsfern. Trifft das auf das BGE zu, wie kommt der Autor darauf?

„Und es ist auch ein netter Werbeeinfall des Vereins „Mein Grundeinkommen“, eine solche Basissicherung von 1000 Euro monatlich für ein Jahr lang an Bewerber zu verlosen. Nur darf man die Erfahrungsberichte der Glücklichen (siehe Seite 11), nicht als Praxistest des Modells Grundeinkommen verstehen. Es sind die erwartbaren frohen Botschaften von Lotteriegewinnern, die sich überraschend einige Wünsche erfüllen können.“

Dass „Mein Grundeinkommen“ nicht immer klar unterscheidet zwischen einem allgemeinen BGE und dem Lotteriegewinn, den sie ermöglichen, kann man nicht dem BGE vorhalten. Sind die Botschaften so erwartbar, die die Gewinner erzählen? Manches mag hier dem Marketing geschuldet sein, doch ein genauer Blick auf manche Geschichte, die Gewinner erzählen (das gilt auch für das Experiment in Finnland), gibt den Blick auf „Grundmotive“ des Lebens frei, die ganz real sind. Es hat denen, die berichten, häufig nur an den Möglichkeiten gefehlt, das unternehmen zu können, was sie mit dem Gewinn unternehmen.

Apropos „Praxistest“ – worin bestünde der denn? Wer die Bürger eines Gemeinwesens nicht als Versuchskaninchen der Sozialpolitik missbrauchen will, der muss sich lediglich fragen, welcher Sozialstaat den Voraussetzungen entsprechen würde, die ein BGE verlangt. Wo landet er dann? Mitten in der demokratisch verfassten politischen Ordnung Deutschlands und ihrem Rückgriff auf den mündigen Bürger, der das Volk konstituiert, von dem alle Staatsgewalt ausgeht (faktisch, nicht ideell).

Doch diesen Brückenschlag kann man vom Kommentator der Nürnberger Nachrichten offenbar nicht erwarten, denn der läge zu nahe. Was schreibt er stattdessen?

„Es wäre naiv, das ausnahmslos jedem zustehende und allenfalls in Kinder- beziehungsweise Erwachsenentarife gestaffelte bedingungslose Grundeinkommen deshalb gleich für die Zauberformel zum gesamtgesellschaftlichen Glück zu halten. Dass die Idee einst schon den US-Ökonomen und liberalen Markt-Apologeten Milton Friedman begeisterte und sich ihr heute immer mehr Wirtschaftskapitäne anschließen, sollte einen doch wenigstens nachdenklich machen.“

Wer vertritt denn die These, dass das BGE eine Glücksversprechensformel sei? Hat der Autor denn recherchiert? Wo hat Milton Friedman sich für ein BGE ausgesprochen? Statt abzuschreiben, was andere unzutreffend wiedergeben, hilft selbst lesen weiter, dann wäre das nicht passiert. „Wirtschaftskapitänen“ einfach abzusprechen, wie andere auch, das Ganze in den Blick nehmen zu können bzw. das überhaupt zu können zeugt nicht gerade von demokratischem Geist. Eher werden Feindbilder gepflegt.

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist der Abschied vom klassischen Sozialstaatsmodell, das auch die kapitalistische Gesellschaft zur solidarisch organisierten Unterstützung von Schwachen und ohne eigenes Verschulden in Not geratenen Menschen verpflichtet. Die bisherigen Sozial- und Grundsicherungssysteme sind nichts anderes als eine Umverteilung von oben nach unten. Sie basiert auf der Einsicht, dass, wer unser Wirtschaftsleben allein dem freien Spiel der Kräfte überlässt, irgendwann mit Revolten der Verlierer rechnen muss.“

Eine schöne Lobrede auf die Sanktionen im Sozialgesetzbuch, die Degradierung nicht erwerbsförmigen Engagements und einen Sozialstaat, der hinter den Grundfesten der Demokratie hoffnungslos hinterherläuft. Wer diese Folgen haben will, muss so argumentieren.

„Wer jedem, auch dem Reichen, 1000 Euro monatlich auszahlt, verteilt nicht um. Er kümmert sich auch nicht mehr darum, welche Härten und Handicaps unterschiedlich große Bedürftigkeit begründen. Das Grundeinkommen bietet der Wirtschaft die Chance, sich aus der Finanzierung der Sozialsysteme zurückzuziehen.“

Hat der Verfasser den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer – wie viele, die das BGE kritisieren – vergessen? Stellt er nicht etwa einen Rechtsanspruch dar? Entscheidet denn die Wirtschaft über die Gestaltung des Zusammenlebens oder entscheiden die gewählten Vertreter in Parlamenten und folglich die Bürger darüber? Man kann sehr wohl beklagen, dass der Wirtschaft zu viel Gehör geschenkt wird, dann muss man sich auf die Grundfesten der Demokratie besinnen, um einen Ausweg zu bahnen. Wie viele Reiche gibt es denn, die vom BGE direkt profitierten? Und wie viele stehen ihnen gegenüber, denen es Gewinn brächte. Bedenkt man, wo heute die Durchschnittsrente liegt und bedenkt man weiter, dass ein BGE an Haushalte gezahlt wird, dann ist der relative Zugewinn bei denjenigen zu sehen, die unterhalb der Durchschnittsrente oder an ihrer Grenze liegen (siehe hier und hier). Es ist doch auch keine Rede davon, sehen wir von Ausnahmen unter den Befürwortern ab, dass bedarfsgeprüfte Leistungen vollständig gestrichten werden sollen, wenn es ein BGE gibt. Ein BGE wäre eine erhebliche Umverteilung, vor allem von Macht. In Haushalten würde es kumulieren und damit gerade Familien, die nicht so mobil sein können wie Alleinstehende, relativ besser stellen.

„Die Grundsicherung für alle, die – je nach Ausgestaltung – jährlich zwischen einer halben und knapp einer Billion Euro teuer wäre, müsste aus der Steuerkasse finanziert werden. Selbst den Wegfall der Sozialbürokratie eingerechnet, müssten Steuersätze drastisch erhöht werden. Auch die Mehrwertsteuer.“

Das ist schnell dahin gesagt, ohne sich einmal Finanzierungsmodell anzuschauen, geschweige denn sie zu erwähnen, wie z.B. das Ulmer Transfergrenzenmodell (siehe auch hier).

Das Beste kommt zum Schluss, obwohl, es war schon in den Ausführungen zu Beginn erkennbar.

„Und was macht das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Menschen? Macht es frei oder eher antriebsschwach? Sehr wahrscheinlich macht es den Freiheitssuchenden freier und den Antriebsschwachen antriebsschwächer. Der Kreislauf der Reproduktion der Armut wäre nicht durchbrochen. Das vermögen nur entschlossene Anstrengungen zur Verbesserung des Bildungssystems. Und für die könnte uns dann das Geld fehlen.“

Wer oder was ist denn „der Antriebsschwache“? Lässt sich der Mensch in Grundtypen, die Freien und die Antriebsschwachen unterteilen? Die Antriebschwachen sind also die Armen, die brauchen keine Freiheit, weil sie damit nicht umgehen können? Ein Bildungssystem, das nicht auf Selbstbestimmung, also Freiheit setzt, soll also denen helfen, denen es an Freiheitsdrang mangelt? Welch krude Anthropologie vertritt der Autor hier? Sie eignet sich gut dazu, jeder Erziehungsprogramm von oben zu rechtfertigen und erweist sich bei genauerer Betrachtung als elitär. Wer Menschen in Armut helfen will, ihre Selbstbestimmungsfähigkeiten zu stärken, muss ihnen gerade ihnen gemäße Möglichkeiten geben. Dazu gehört als erstes, den sozialstaatlichen Alimentierungsprogrammen nicht mehr einfach ausgeliefert zu sein. Ein BGE würde hier genau Enormes leisten können. Darüber hinaus sind Hilfs- und Beratungsangebote wichtig, die echte Angebote sind, also folgenlos ausgeschlagen werden können. Das alles ist heute nicht möglich. Dass der Autor hier nicht wenigstens Bemühungen erkennen lässt, die Entstehung und Gründe von Armut etwas differenzierter zu betrachten, disqualifiert alleine schon den gesamten Kommentar und erinnert an die paternalistische Beschützerhaltung, die sich gleichermaßen in Stellungnahmen von Anke Hassel, Christoph Butterwegge (hier und hier) und anderen erkennen lässt.

Dass Jens Berger von den Nachdenkseiten den Beitrag in den Nürnberger Nachrichten lobend erwähnt, weil er die komplexe Thematik „auf den Punkt“ bringe, lässt sich wohl nur als Beleg für unterkomplexe Einwände verstehen.

Sascha Liebermann