Erster Arbeitsmarkt statt dauerhafter Beschäftigungstherapie?

Das ist die Alternative, die Ursula Weidenfeld in ihrem Beitrag für den Tagesspiegel zum „solidarischen Grundeinkommen“ aufmacht, das in Berlin einer Umsetzung näherrückt. Stefan Sell wies schon im Frühjahr auf „Hoffnungen und Illusionen“ in diesem Zusammenhang hin, dass es ein besonderer Personenkreis sei, der von solchen Maßnahmen profitiere und für den es keine anderen Chancen gebe. Weidenfeld schreibt hingegen:

„Viele schlecht qualifizierte Langzeitarbeitslose brauchen eine individuellere und intensivere Betreuung. Bekommen sie die in einer Beschäftigungsgesellschaft, in der es nicht einmal mehr den Anspruch gibt, sie für den richtigen Arbeitsmarkt zu qualifizieren? Profitieren Menschen tatsächlich von einer dauerhaften Beschäftigungstherapie?“

Zum einen hängt das ganz von der Ausgestaltung ab, zum anderen hat Weidenfeld mittelbar recht, denn die Stigmatisierung kann ein sozialer Arbeitsmarkt nicht aufheben, er simuliert nur, dass die dort Beschäftigten wichtig für die Aufgaben seien, die sie zu erledigen erhalten. Weshalb, wenn das so offenkundig ist, hält man nicht Ausschau nach Alternativen? Wie wäre denn die Stigmatisierung aufzuheben, die ja nicht irgendwoher irgendwie rührt, sondern vom normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit? Was schreibt sie noch:

„Michael Müller ist ein ehrenwerter Mann. Vielleicht sollte er einmal mit den früheren Mitarbeitern des Kombinats 7. Oktober reden oder denen der Elektro-Apparate-Werke „Friedrich Ebert“. Diese Kombinate mussten nach der Wiedervereinigung Tausende Arbeiter entlassen, viele landeten in dauerhaften Beschäftigungsmaßnahmen. Sie haben das als Abschiebung wahrgenommen. Zu Recht.“

Ja, zurecht, die Frage wäre hier allerdings, hätten sie eine Chance gehabt, dort hinauszugelangen in den regulären Arbeitsmarkt (die FAZ bläst in dasselbe Horn und verweist auf eine Studie; wer das tut sollte immer auch die Annahmen in Studien in Augenschein nehmen)? Beschäftigungsmaßnahmen verhindern nicht, sich woanders zu bewerben. Werden sie mit Weiterbildung verbunden, muss es kein Makel sein. Doch die Gründe, weshalb Arbeitgeber Bewerber nicht einstellen, sind vielfältig. Gründe dafür können Vorurteile hinsichtlich fehlender Qualifizierung, zu hohen Alters, mangelnder Flexibilität oder anderes sein. Es können auch sachhaltige Gründe dahinterstehen. Das ist nicht so einfach von außen zu beurteilen und durch Arbeitsmarktprogramme nicht zu verändern. Weidenfelds Überlegungen sind hier ebenso illusorisch wie die Hoffnung, durch ein solidarisches Grundeinkommen die Stigmatisierung derer aufzuheben, die dort tätig sind. Was wäre eine Alternative, die aus diesem Dilemma herausführt?

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen macht weder falsche Hoffnungen noch illusionäre Versprechen, schafft allerdings mehr Freiräume, um Alternativen zu suchen, die nicht mit Stigmatisierung verbunden sind, weil ein BGE das Erwerbsgebot aufhöbe. Weshalb wird es nicht erwähnt? Es darf nicht sein, genau das aber blockiert die Diskussion über Alternativen, weil sie im Fahrwasser ausgetretener Pfade sich bewegen. Selbst Stefan Sell, der stets um Differenzierung bemüht ist, scheint diesen Schritt nicht gehen zu können, sich ernsthaft mit dem BGE auseinanderzusetzen (siehe hier).

Sascha Liebermann