…sofern die Diagnose von Esther Duflo und Abhijit Banerjee richtig liegt, wie sie in einer Rezension ihres neuen Buches „Gute Ökonomie für harte Zeiten“ in der Süddeutschen Zeitung dargestellt wird.
Hier die ganze Passage:
„Für das oft gehörte Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen verleite zum Nichtstun, sehen die Ökonomen keine Belege. Dennoch äußern sie im Fall reicher Länder eine gewisse Skepsis: ‚Wenn wir mit der Annahme richtig liegen, dass die wahre Krise in den reichen Ländern darin besteht, dass viele Bürger, die sich früher als Teil der Mittelschicht betrachteten, ihr Selbstwertgefühl verloren haben, das sie früher aus ihrer Arbeit bezogen, dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung.‘ Für arme Länder befürworten sie ein „rudimentäres Grundeinkommen“, das auch für die dringend benötigte Geldzirkulation sorgen würde.“
Wie aber gelangen die beiden Autoren zu dieser Diagnose? Dass unter Bedingungen des normativen Vorrangs von Erwerbstätigkeit, zu der einen Beitrag zu leisten als höchster Beitrag zum Gemeinwohl betrachtet wird, der Verlust einer Erwerbsstelle gravierende Folgen hat, ist unbestritten. Wären dann aber die Folgen dieses Verlustes nur dadurch abzuwenden, wieder in Erwerbstätigkeit zu gelangen, hier also für die betreffende Mittelschicht dafür zu sorgen, dass sie wieder zu Arbeitsplätzen gelangen kann, auch wenn diese nicht gebraucht würden? Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Selbstwertgefühl als ganze Person tatsächlich von Erwerbstätigkeit abhängt bzw. diese dafür entscheidend ist. Liegt hier womöglich eine folgenreiche Annahme vor, die gerade zu prüfen wäre?
Weshalb ist der Verlust der Erwerbsstelle so bedeutend heutzutage? Das hat zweierlei Gründe, 1) weil es ein Erwerbsgebot gibt; erwerbstätig zu sein wird vom Gemeinwesen besonders anerkannt und ist Grundlage bzw. Zweck von sozialstaatlichen Sicherungsleistungen. Wer also seine Erwerbsstelle verliert, folgt dieser Norm nicht, erwerbstätig sein zu sollen. 2) Mit dem Verlust der Erwerbsstelle verliert man die Einkommensstelle, die gemeinschaftlich als herausragende anerkannt ist. Der Einkommensverlust ist praktisch wirksam und zugleich ein Anerkennungsverlust. Aus beiden Aspekten resultiert die strukturelle Stigmatisierung derer, die nicht erwerbstätig sind sowie die Degradierung nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten. Allerdings ist die Anerkennung in Erwerbstätigkeit immer eine bezogen auf die Aufgabe, die als Mitarbeiter zu bewältigen ist. Die Person als solche wird also gar nicht um ihrer selbst willen anerkannt, sondern nur als Aufgabenbewältiger. Deswegen wird ihre Bedeutung für eine Organisation auch nur daran gemessen, ihr Wert ist immer abhängig davon, ob sie nun ihre Aufgaben erfolgreich wahrnimmt oder nicht. Dass nun dennoch es als Degradierungserfahrung für die ganze Person wahrgenommen wird, wenn die Erwerbsstelle verloren geht, hängt nur an der normativen Aufladung von Erwerbstätigkeit, nicht an der Eigenlogik von Erwerbstätigkeit selbst. Deswegen habe ich schon öfter von einem Widerspruch zwischen Sozialstaat und Demokratie (siehe auch hier) gesprochen, so wie beide heute ausgestaltet sind, denn in der Demokratie gilt der Bürger um seiner selbst und um des Gemeinwesens selbst. Sein Status ist überhaupt nicht von Erwerbstätigkeit abhängig, es gibt im Grundgesetz entsprechend auch keine „Erwerbsobliegenheit„.
Insofern geht Duflos und Banerjees Diagnose an den tatsächlichen Zusammenhängen vorbei und hält nur die Verwirrung zweier Formen von Anerkennung aufrecht: die eine der Person um ihrer selbst willen, die andere der Person um der Erledigung ihrer Aufgabe willen.
Sascha Liebermann