Demokratisierung, politisches Engagement und Grundeinkommen

Was es heißt, um sein Auskommen zittern zu müssen, hat im letzten Bundestagswahlkampf auch Wolfgang Strengmann-Kuhn erfahren. Er kandidierte für Bündnis 90/ Die Grünen im Wahlkreis Main Taunus und hatte Listenplatz 6 in Hessen inne. Anfang 2008 war er in den Bundestag nachgerückt, sein befristeter Arbeitsvertrag an der Universität Frankfurt war kurz danach ausgelaufen und ein Direktmandat in seinem Wahlkreis für den Wiedereinzug zu gewinnen, war denkbar unwahrscheinlich (gegen Heinz Riesenhuber, CDU). Ohne Mandat aber hätte auch er der Erwerbslosigkeit in die Augen geschaut. Also kam alles auf die Zweitstimmen an, damit der Listenplatz für den Wiedereinzug reichte. Wie knapp der Wiedereinzug gelang, können Sie diesem Bericht entnehmen.

Was lehrt uns das? Es ist eine gute Sache, das Politik nicht wirklich zum Beruf werden kann und Abgeordnete von der Wahl durch die Bürger abhängig sind, ohne Zweifel. Doch welche Folgen hat das für unsere Demokratie? Wer kann es sich erlauben, solch ungewissen Einkommenszeiten entgegenzugehen?

Was Wolfgang Strengmann-Kuhn durchlitten hat, haben andere sicher auch erfahren, schon vielfach. Damit man sich auf die Ungewißheit des Abgeordnetendaseins einlassen und zugleich seine Unabhängigkeit wahren kann, bedarf es einer gewissen Absicherung, einer, die ein solches Engagement ermöglicht. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen in ausreichender Höhe hätte auch Wolfgang Strengmann-Kuhn nicht zittern müssen, denn, wäre er nicht gewählt worden, wäre sein Auskommen und das seiner Familie gesichert gewesen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde unsere Demokratie erheblich verändern. Wer sich heute aufgrund seiner Einkommenslage und beruflichen Situation nicht einmischen kann, wie er will, der erhielte durch das bGE andere Möglichkeiten. Auch wären diejenigen, die sich für den Schritt entscheiden, von der Sorge befreit, nur durch einen Wiedereinzug in ein Parlament ihr Auskommen sichern zu können.

Sascha Liebermann

FDP Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen

Seitdem der Ausgang der Bundestagswahl zeigte, dass die FDP aller Wahrscheinlichkeit nach Regierungspartei werden wird, nehmen die Pressemeldungen über das FDP Bürgergeld zu. Manche sehen darin einen Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen, weil Leistungen pauschaliert werden sollen, anderen sehen einen weiteren Abbau von Transferleistungen auf uns zukommen. Wer wissen möchte, was es mit dem FDP Bürgergeld auf sich hat, dem sind zwei Broschüren empfohlen, in denen Kerstin Funk (Broschüre ) und Peter Altmiks (Broschüre) ausdrücklich den Unterschied zwischen bGE und Bürgergeld darlegen. Beide Verfasser arbeiten für die Friedrich Naumann Stiftung. Ausführungen finden sich auch im Bundestagswahlprogramm 2009 (S. 9 und 16). Das FDP Bürgergeld ist nicht einmal so liberal wie eine radikale Negative Einkommensteuer, es verzichtet nicht auf die Bedürftigkeitsprüfung und es ist so niedrig angesetzt, dass es gerade keine Freiräume schafft. Darüber hinaus ist die Sprache in den Broschüren Zeugnis für die Haltung der Liberalen: Nicht auf Engagement und Gemeinsinn der Bürger wird vertraut, auf die bildende Kraft der Selbstbestimmung, wie sie den Bürgerrechten zugrundeliegt, sondern auf Anreize. Dass die FDP damit im Kreis derer verbleibt, die in der Bekämpfung von Faulheit und innerer Verwahrlosung die größten Übel der Gegenwart erkennen, ist nicht neu, wir haben darauf jüngst und in der Vergangenheit hingewiesen. (Einen treffenden Kommentar hat auch die Financial Times Deutschland verfasst) Die liberale Rhetorik kann und will gar nicht über den Geist des Arbeitshauses, der sie durchweht und damit die Reduzierung der Bürger auf Erwerbstätige, hingwegtäuschen.

Sascha Liebermann

Nachtrag (11.10.2009): Mittlerweile hat das FDP-Bürgergeld vielfältige kritische Kommentare hervorgerufen. Neben den oben genannten wird es nun ausdrücklich als Sozialstaatsfalle bezeichnet, das Transferabhängigkeit zementiere, so Hilmar Schneider vom IZA. Die Kritik weist zugleich den Weg, den der Verfasser vorschlägt: mehr Workfare, mehr Gegenleistung also, da das Bürgergeld nur den Niedriglohnsektor stärke, sonst aber gar nichts. Große Veränderungen zu Hartz IV bringe es nicht, insofern sei es eine Mogelpackung, oder eben nur eine Änderung der Nomenklatur. Gleichmacherei schaffe das Bürgergeld, so Klaus Ernst von der Linkspartei – ja, wenn es denn wenigstens eine Gleichheit für alle Bürger von der Wiege bis zur Bahre auf ausreichend hohem Niveau wäre, dann wäre das Ziel eines bGE erreicht. Davon ist bei Ernst natürlich keine Rede, auch er frönt dem Arbeitshaus. Es bleibt die Hoffnung, dass die Debatte, wie Enno Schmidt, Wasser auf die Mühlen eines bGE ist, denn sie macht sichtbar, wohin das Bürgergeld führen würde und mit welch aberwitzigem „Weiter so“ die Hartz IV-Befürworter am Alten festhalten. Das hatte wohl auch Götz W. Werner im taz-Interview vor Augen, als er davon sprach, das Bürgergeld helfe, neu zu denken.

Nachtrag (25.10.2009): Andere, wie Michael Opielka und Wolfgang Strengmann-Kuhn, erkennen im Bürgergeld auch Chancen, weil die Auszahlung des Bürgergeldes durch das Finanzamt stattfinden soll. Zugleich soll aber ein Prüfung von Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft stattfinden, diese aber seien dem Finanzamt „systemfremd“ und würden das Entstehen „neuer Bürokratie“ verlangen, so Strengmann-Kuhn. Würde aber ein echtes integriertes Steuer- und Transfersystem geschaffen, könnte dies zur Negativen Einkommensteuer führen, die ungleich liberaler ist als das Bürgergeld in der jetzigen Fassung und als Hartz IV. Opielka hält die Überprüfung der Arbeitspflicht vom Konzept des Bürgergeldes her für nicht durchführbar: „Die Arbeitspflicht bleibt bei einem Bürgergeld pure Rhetorik“ und sieht dadurch ungewollt ein Grundeinkommen heraufziehen. Bedenkt man jedoch, wie sehr auf Workfare im Wahlkampf direkt und indirekt gepocht wurde, dann wäre es ebenso denkbar, dass genau diese Seite des Bürgergeldes gestärkt und die andere, die Strengmann-Kuhn starkmacht, geschwächt wird. Wir werden sehen.

Grundeinkommen: bedingungslos! – Krönung in Dortmund

Unter diesem Slogan fand am 1. August in der Dortmunder Innenstadt, am Platz von Leeds, eine Krönungsaktion statt.

Aufgerufen dazu hatte eine Gruppe von Aktiven um Christian Nähle. Andere schlossen sich an.

Christian Nähle hat auch einen Webshop installiert, in dem fair gehandelte Biobaumwoll-T-Shirts mit Grundeinkommenslogos bestellt werden können.

Video zur Krönung
Krönungsreflexion

SPD Rhein Erft – SPD muss sich mit Grundeinkommen auseinandersetzen

Schon seit einiger Zeit hat sich die SPD Kreisverband Rhein Erft für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen. Nun hat Guido van den Berg, Kreisvorsitzender, in der taz gefordert, die SPD müsse sich nun an der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen beteiligen, sie müsse den Mut haben, neue Ansätze zu denken.

Grundeinkommenskongress München – Vorträge auf DVD

Die anlässlich des Münchner Kongresses – BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN:
EINE ANTWORT AUF DIE KRISE – EIN WEG IN DIE ZUKUNFT – gehaltenen Vorträge von Goetz W. Werner, Gerald Häfner und Sascha Liebermann inklusive Bonusmaterial sind nun auf DVD erhältlich. Zur Kongress-Website

Podiumsdiskussion Grundeinkommen in Eisenach – Video online

Thomas Prausse (ESA-Film), Mitglied der Initiative Grundeinkommen Eisenach, die am 16.9. eine Podiumsdiskussion veranstaltete, hat einen Zusammenschnitt der Diskussion mit Prof. Christian Juckenack (Staatssekretär Thüringen), Harald Lieske (Betriebsratsvorsitzender Opel Eisenach) und Sascha Liebermann online gestellt.

Teil 1

Teil 2

Presseerklärung zur Woche des Grundeinkommens

2. Woche des Grundeinkommens vom 14. – 20.09.2009

Bedingungsloses Grundeinkommen – Eine Antwort auf die Krise – ein Weg in die Zukunft

Am 14. September startet die internationale Woche des Grundeinkommens. Sie findet bereits zum zweiten Mal statt, jedoch engagieren sich dieses Jahr schon weit mehr Menschen dafür als zuvor. Über 200 regionale und überregionale Initiativen, Organisationen und auch Firmen, sowie über 2400 Einzelpersonen alleine in Deutschland rufen dazu auf.

Die Hilflosigkeit und Lähmung der Politik zeigt sich in vollmundigen Reden, in denen gerade vor der Wahl das Ausmaß der Krise beschönigt und mit kurzfristigen Verschleierungsmaßnahmen Handlungsfähigkeit vorgegaukelt wird. Dabei wächst der Druck auf den Einzelnen; die Armut in der Bevölkerung steigt. Echte Konzepte für eine zukunftsfähige Politik sind bei den Regierenden jedoch nicht in Sicht.

Die Woche des Grundeinkommens will aufzeigen, dass sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen im Rücken viele Fragen und Probleme, vor denen wir heute stehen, ganz anders darstellen und auch lösen lassen würden. Gerade angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise ist das individuelle Recht auf ein Existenz sicherndes Grundeinkommen, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, ein wichtiges Konzept, das neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet.

Es gibt weit über 100 Veranstaltungen, die von Vorträgen und Diskussionen, über spektakuläre Straßenaktionen, Radiosendungen, Workshops, Filmvorführungen, Kunst und Theater, bis hin zu mehrtägigen Aktivitäten und Kongressen reichen. Darin werden die zahlreichen Veranstalterinnen und Veranstalter vor allem in Deutschland und Österreich, der Schweiz, Italien, aber auch in der Ukraine ihrer Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen Nachdruck verleihen. Das zeigt, wie sehr die vermeintlich ferne Utopie eine Forderung für die Gegenwart ist. Weitere Informationen dazu sind auf der Website www.woche-des-grundeinkommens.eu erhältlich.

Es wird höchste Zeit, diese Vision auf breiter Basis zu diskutieren.

V.i.S.d.P.
Martina Steinheuer (Koordination der Website www.woche-des-grundeinkommens.eu) steinheuer@grundeinkommen.de
Mühlenbachstr. 33, 53489 Sinzig
Tel: 02642 / 981186

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Die FDP im Kreis der Faulheitsbekämpfer angekommen

Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die FDP sich im Kreise derer einreiht, die in staatlich alimentierter „Faulheit“ eines der Übel der Gegenwart erblicken. Generalsekretär Niebel hatte sich schon vor längerer Zeit unmissverständlich geäußert („Wer nicht sät, soll auch nicht ernten“ – Saat ist natürlich nur Erwerbsarbeit). Dass hierfür als Beleg nun Teilnehmer von Talkshows herhalten, in denen erfahrungsgemäß, teils um zu provozieren, teils aus Inszenierung, auf den Putz gehauen wird, ist bezeichnend.

Folgendermaßen äußerte sich Guido Westerwelle jüngst in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung:

„WESTERWELLE: Die Treffsicherheit des Sozialstaates muss größer werden. Ich finde es unerträglich, wenn manche in Talk-Shows erklären, sie lebten vom Sozialstaat und arbeiteten schwarz und noch das Publikum dafür beschimpfen, dass es morgens aufsteht und zur Arbeit geht. Die werden bei uns kein Geld bekommen. Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit. Andererseits finde ich es ungerecht, wenn jemand mit Mitte 50 arbeitslos wird und dann alles, was er sich zurückgelegt hat, durch den Schornstein geht. Das werde ich ändern.“

Westerwelles Haltung läuft auf eine Gesinnungsprüfung hinaus, in der nur diejenigen Unterstützung erhalten, die die angemessene Gesinnung haben. Willkommen im Land des FDP-Liberalismus, in dem weder Rechte der Bürger Bürger noch Freiheit etwas zählen.

Aus diesem Anlass sei auch nochmals auf Äußerungen Volker Kauders (CDU) und Peter Ramsauers (CSU) verwiesen. Ramsauer wie auch Wirtschaftsminister von Guttenberg messen Leistungsbereitschaft am Frühaufstehen, wie es seinerzeit 1998 schon Helmut Kohl getan hat. Die Bundeskanzlerin verkündet ähnliches, wenn sie, wie in Bremen anlässlich einer Wahlveranstaltung der CDU, sagt: „Wir werden uns keinen jungen Menschen […] leisten können, der nicht seine Chancen wahrnimmt“ (Minute 2:58). Nicht einen einzigen, fragt man sich, und was geschieht mit ihm, wenn er sie nicht wahrnimmt? Nicht so unterschiedlich zu der Äußerung der Kanzlerin klingen Stellungnahmen von Sozialwissenschaftlern, wie in dieser Pressemitteilung anlässlich des Deutschen Soziologentags im Jahr 2008.

Eine so totale Vorstellung davon, dass Bürger nur noch daran gemessen werden, dass sie keinem zur Last fallen, und nicht daran, was sie als Bürger sind – da kann einem Angst und Bange werden, was haben wir von Politikern zu erwarten, die mit dem wirklichen Leben die Tuchfühlung verloren haben? Wohl nur eine Fortsetzung der Agenda-Politik unter Rot-Grün, wenngleich sich die Grünen hier gerne aus der Verantwortung stehlen.

Sascha Liebermann