Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und das bedingungslose Grundeinkommen

Auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. im Netzwerk Grundeinkommen, Unterpunkt 20 der Fragen und Antworten) wird über die Frage diskutiert, ob es über ein bedingungsloses Grundeinkommen hinaus doch noch eines Mindestlohns und einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bedürfe. Hinter diesen Erwägungen geben sich noch Vorbehalte zu erkennen, und zwar Vorbehalte hinsichtlich dessen, ob der Einzelne die Verantwortung, die das bGE ihm aufbürdet, auch schultern kann.

Schauen wir uns manche dieser Einwände an:

1. Das bGE führt zu Lohndumping

Auf jeden Fall führt das bGE dazu, daß zwei Funktionen, die heute im Lohn vereint sind, getrennt werden: Existenzsicherung und Gehalt. Das bGE übernimmt die Existenzsicherung, das Gehalt ist dann nur noch ein Wertschöpfungsanteil am Erfolg des Unternehmens. Diese Trennung beider Funktionen erlaubte in der Tat ein Absinken der Gehälter, ohne daß das Einkommen der Mitarbeiter sinken muß. Entscheidend ist die Summe, das Einkommen setzt sich nur anders zusammen als zuvor. Von dieser Seite aus betrachtet, stellt das Sinken der Gehälter kein Problem dar, weil es nicht zum Sinken der Einkommen führen muß.

Darüber hinaus ist allerdings festzuhalten, daß über Gehälter verhandelt wird und Unternehmen sie nicht diktieren können. Ein bGE in ausreichender Höhe verleiht ja gerade Verhandlungsmacht, die Arbeitnehmer heute in diesem Maße nicht haben. Jegliche Furcht vor Lohndumping ist also unberechtigt, sie ist noch noch Ausdruck von Mißtrauen in die Verhandlungsfähigkeiten des Einzelnen. Wer sich mit einem bGE im Rücken auf ein niedriges Gehalt einläßt, tut das aus freien Stücken und muß es dann auch verantworten.

2. Das bGE ist ein Kombilohn und subventioniert Erwerbsarbeit

Das bGE wird sich sehr wahrscheinlich auf die Gehaltsstruktur auswirken, doch wird es nicht als Subvention für Erwerbsarbeit bezahlt. Es ist ein Bürgereinkommen, Auswirkungen auf die Gehaltsstruktur sind mittelbar, die Gewährung des bGE – im Unterschied zu Lohnsubventionen – ist zweckungebunden und nur vom Bürgerstatus abhängig.

Es ist also mit allen Formen der Subventionierung von Erwerbsarbeit nicht vergleichbar. Wenn es etwas „subventioniert“, dann ist es Freiheit.

3. Die Untenehmen müssen einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, das bGE jedoch entlastet sie davon

Was ist die Aufgabe von Unternehmen, welchen Beitrag können sie leisten? Sie sollen Werte erzeugen, also Dienste und Produkte für mögliche Kunden bereitstellen. Damit sie dies unter für sie förderlichen Bedingungen tun können, muß eine entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden. Sie wird aus Steuermitteln finanziert. Alle Kosten, die im Wertschöpfungsprozess entstehen, das ist wiederholt dargelegt worden (vgl hier und hier), müssen von einem Unternehmen erwirtschaftet werden – das geht nur über den Absatz. Deswegen reicht ein Unternehmen seine Kosten weiter – auch die Gehälter der Mitarbeiter -, so daß sie Bestandteil des Güterpreises werden. Wer also der Auffassung ist, Unternehmen müßten mehr beitragen und dürften von den Aufwendungen für Löhne nicht unverhältnismäßig entlastet werden (siehe z.B. die Fragen und Antworten des Netzwerk Grundeinkommen), meint, die die Weiterwälzung der Kosten in die Güterpreise verhindern zu können. Weil dies nicht möglich ist ohne die Existenz von Unternehmen zu gefährden, ist eine Steuer am wirksamsten, die am Verbrauch ansetzt, dann also erst, wenn der Wert erzeugt ist und konsumiert wird. Das würde die Wertschöpfung entlasten. Ein solche Steuer macht transparent, welche Kosten tatsächlich angefallen sind, sie werden nicht, wie heute, versteckt. Wie effizient und ressourcenschonend produziert wird, das liegt in der Verantwortung des Unternehmens. Hoher Ressourcenverbrauch kann entsprechend besteuert werden.

4. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist nötig, damit Arbeitslast wie Arbeitschancen gerecht verteilt werden

Ein bGE soll die Entscheidungsfreiheit und damit einhergehend die Verantwortung des Einzelnen stärken. Von daher liegt es nahe, ihn über seine (Erwerbs-)Arbeitszeit genauso verhandeln zu lassen wie über die Höhe seines Gehalts. Ob er mehr oder weniger arbeiten will, darüber soll er selbst befinden, er alleine kann am besten bestimmen, wieviel er zu leisten in der Lage und willig ist.

Wer eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen fordert, wertet Erwerbsarbeit auf, denn: Was verteilt werden muß, ist entweder besonders begehrenswert oder besonders wertvoll. Jegliches Engagement jenseits der Erwerbsarbeit würde damit wieder abgewertet – wir hätten nichts gewonnen. Vergleichbar verhält es sich mit der Forderung nach einem Mindestlohn: Nur wer dem Einzelnen nicht zutraut, vernünftig zu verhandeln, kann einen Mindestlohn für notwendig halten. Beide, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung wie ein Mindestlohn, sind noch Ausdruck eines Mißtrauens. So ganz können wir dem Einzelnen doch nicht vertrauen, das für ihn Angemessene auszuhandeln, deswegen diese Schutzmaßnahmen. Damit wird ihm aber Verantwortung aus der Hand genommen, die er auch selbst tragen kann – vorausgesetzt, daß bGE ist hoch genug.

Sascha Liebermann

"Designing Society" – ein Film zum Grundeinkommen von Jördis Heizmann

Viele Fragen und Einwände zum bedingungslosen Grundeinkommen greift der Film von Jördis Heizmann auf, der auf ihrer Website in Auszügen angesehen werden kann. Die komplette DVD wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt: info@designing-society.de
Es kommen Befürworter wie Gegner zu Wort und Menschen, denen häufig der innere Antrieb zum Arbeiten in einfachen Tätigkeiten abgesprochen wird – das macht den Film besonders wertvoll. Zugleich wird der Betrachter mit dem Vorurteil konfrontiert, Menschen in schwieriger Lebenslage seien bevorzugte Unterstützer eines bGE – das ist nicht der Fall. Zwei Interviewpartner, die unter Arbeitslosigkeit bzw. einer schwierigen Einkommenssituation leiden oder gelitten haben, plädieren dennoch dafür: Wer keine Leistung erbringe, solle auch keine Unterstützung erhalten.
Der Film erlaubt einen differenzierten Eindruck in die Diskussion, in das Für und Wider des bGEs.

Die Idee eines emanzipatorischen Grundeinkommens – das Buch online

Vor einigen Monaten hat Jörg Drescher es in Angriff genommen, ein Buch mit verschiedenen Beiträgen zum Grundeinkommen ins Russische und Ukrainische übersetzen zu lassen. Nachdem er nun für das fertiggestellte Manuskript keinen Verlag gefunden hat, ist das Buch auch in der deutschen Fassung online verfügbar: Die Idee eines emanzipatorischen Grundeinkommens. Der Beitrag von Sascha Liebermann in russischer und ukrainischer Sprache ist ebenfalls online.

„Kostgänger“ des Staates – ein Einwand gegen das Grundeinkommen

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) vorgebrachter Einwand besagt, es mache die Bürger zu „Kostgängern“ des Staates; es halte sie in Abhängigkeit, statt ihnen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu eröffnen.

Angesichts der Möglichkeiten, die ein bGE uns Bürgern tatsächlich eröffnete, angesichts der Verantwortung, die es in unsere Hände legte, kann dieser Einwand nur verwundern. Die bevormundende Fürsorglichkeit, die unser heutiges Sozialsystem kennzeichnet und schon immer gekennzeichnet hat, all die Kontrollen und Überwachungen, höbe ein bGE ja gerade auf. Wir erklärt sich dann dieser Einwand?

„Kostgänger“ soll wohl heißen, der Einzelne werde vom ‚Staat’ abhängig, entmündigt und in seiner Initiative geschwächt. Hier wird ein Bild vom Gemeinwesen gezeichnet, in dem seine grundlegende Bedeutung für Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen gar nicht gesehen wird. Schon jedes Kind ist, da es unselbständig auf die Welt kommt, von der bedingungslosen Anerkennung durch seine Eltern abhängig, um sich zu entwickeln. Nur in dem von ihnen gewährten Schutzraum und durch ihre Liebe kann es reifen und nur dadurch wird es einmal in der Lage sein, seine Familie zu verlassen, um sein Leben in die Hand zu nehmen und eine eigene zu gründen. Familie gibt es aber nur dort, wo es ein Gemeinwesen gibt, das sie wiederum schützt und unterstützt, das also Möglichkeiten schafft, damit Eltern sich auch ihren Kindern widmen können. Schon diese ‚Abhängigkeit’, wenn man sie so nennen will, ist eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Diese ‚Abhängigkeit’ ist also Bedingung des Bestehens und nicht, wie manche offenbar noch heute glauben, ein notwendiges Übel, dessen man sich besser entledigen sollte, wie der ‚Staat’ ein Übel sei, mit dem man „wohl“ leben müsse. Der ‚Staat’ ist aber unser Gemeinwesen, das Gemeinwesen etwas, ohne das wir nicht wären und zugleich wäre es nicht ohne uns. Nähmen wir Bürger nicht ohnehin unser Leben in die Hand, achteten nicht unsere politische Ordnung und trügen nichts zum Gemeinwohl bei, dann existierte unser Gemeinwesen gar nicht – wir aber auch nicht.

Ideologische Schlagworte wie „Kostgänger“ oder auch Wendungen wie „Sozialhilfeempfänger liegen dem Gemeinwesen auf der Tasche“ offenbaren also lediglich, dass diejenigen, die sie benutzen, noch gar nicht begriffen haben, weshalb ihr Leben möglich ist. Alle, so müßte es eigentlich heißen, liegen in einem Gemeinwesen notwendig allen auf der Tasche, alle sind „Kostgänger“ aller, denn ein Gemeinwesen ist ein Solidarverband. Zwar benötigen wir auch Geldmittel zur Finanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur, so daß manche sagen könnten, die Erwerbstätigen finanzierten den Sozialstaat. Doch auch diese Leistung sowie die Leistungsbereitschaft hat ihre Wurzeln in der Solidarität, in der Anerkennung des Einzelnen – des Bürgers – um seiner selbst willen. Nicht durch Geld erhält sich ein Gemeinwesen, sondern durch Loyalität. Leistungen in Familie und Ehrenamt sind ebenso wichtig wie solche im Beruf, keine ist wichtiger als die andere – ohne eine von allen, ohne Loyalität, wäre unser Gemeinwesen gar nichts, es würde nicht existieren.

Weshalb dem Einzelnen eine bestimmte Solidarität, eine bestimmte Loyalität abfordern – also: Ewerbsarbeit zu leisten -, wenn wir ohnehin auf sein Engagement vertrauen können und es auch müssen? Solidarisch und loyal ist der Einzelne am besten, wenn man ihn das tun läßt, womit er einen Beitrag leisten kann – und nicht wenn wir ihm sagen, welchen er zu leisten hat.

Sascha Liebermann

Durchblicker – Holm Friebe (Digitale Bohème) zum Grundeinkommen

Mehr und mehr Menschen beschäftigen sich mit dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens und äußern sich dazu – das ist ermutigend. Denn, nur wenn viele sich die Frage, wie wir leben wollen – denn darum geht es beim BGE – zu eigen machen und sich engagieren, steigen die Chancen, dass ein BGE auch kommen wird.

Auch Holm Friebe, der zur „Digitalen Boheme“ gehört, hat sich jüngst auf einer Regionalkonferenz der Grünen dazu geäußert und den Vorschlag befürwortet. Seitenhiebe allerdings hat er ebenso verteilt, wie an folgender Ausführung zu erkennen:

„Vor allem darf man sich nicht von dem Budenzauber blenden lassen, den philantrope Unternehmer zum Thema abfackeln, um sich von jeglicher Steuerlast zu befreien. Die Refinanzierung darf nicht über die Konsumsteuer passieren, da das wiederum die kleinen Einkommen ohne Sparneigung am härtesten trifft.“

Statt eines Arguments, solche haben Götz Werner und Benediktus Hardorp für eine Konsumsteuer reichlich vorgelegt, werden Vorurteile gepflegt. Die Argumente müssen hier nicht wiederholt, können aber nachgelesen werden. Auch ist Götz W. Werner nicht ein – man hört schon zwischen den Zeilen den Vorwurf: naiver, idealistischer – „Philanthrop“. Vielmehr geht er mit offenen Augen durch die Welt und sieht, dass die Menschen sich engagieren, ohne kontrolliert zu werden. Sie bedürfen keiner „Anreize“ und dergleichen. Und wo sie sich nicht engagieren, stösst man meist auf gute Gründe dafür, um es zu erklären.

Dass es der „Anreize“ bedarf, meint aber auch Holm Friebe: „Wichtig an der negativen Einkommensteuer ist, dass sie anreizkompatibel ist, das heisst vom ersten dazuverdienten Euro bleibt etwas übrig für die eigene Tasche. Das schafft Anreize zur Eigeninitiative und verhindert Schwarzarbeit“.

Der Siegeszug des Anreizdenkens hat also auch die Grundeinkommensbefürworter erreicht. Nur nebenbei sei hier bemerkt, dass ein bGE nicht dasselbe ist wie eine negative Einkommensteuer – mit ihr ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, denn mit ihr bleibt das Erwerbsideal bestehen und andere Tätigkeiten bleiben abgewertet. Wir können natürlich wohlwollend sein und die gute Absicht Holm Friebes anerkennen, schließlich versteht er sich als Befürworter. Worte allerdings sind nicht nur Hülsen und unbedeutend, sie transportieren, wes Geistes Kind eine Denke ist.

Vorzeitig gibt es Holm Friebe auf, für große Ziele zu streiten und feiert Vorschläge, die keinen Zugewinn an Freiheit, sondern nur einen an erwerbszentrierter Familienpolitik mit sich bringen:

„Grundsätzlich ist eine Ausweitung der Kinderbetreuung ja ganz im Sinne einer freiberuflichen Klientel. Aber die Ausgestaltung, sprich: die Öffnungszeiten von Krippen, und Kindertagesstätten folgen dabei dem gleichgeschalteten Normalarbeitstag des Industriezeitalters.“

Nicht Klientel-Politik ist vonnöten, damit Freiberufler bessere Betreuungsbedingungen für ihre Kinder vorfinden, sondern eine Politik der Freiheit, die uns Bürger – allen – vertraut und Möglichkeiten schafft. Das bGE würde es für Familien und Alleinerziehende ungleich einfacher machen als die gegenwärtige Politik des Elterngeldes. Auch könnten Eltern freier entscheiden, ob sie überhaupt eine solche Betreuung in Anspruch nehmen wollen oder sie gar privat organisieren. Für diejenigen, die für ihre Kinder zuhause bleiben wollen, bringen die Betreuungsplätze gar nichts ohne ein bGE.

Zu früh, bevor es eine breite Diskussion gibt, sich schon mit mittelmäßigen Überlegungen zu bescheiden, birgt die Gefahr, dass wir in kurzfristigem Denken steckenbleiben, ohne das langfristige Ziel schon gesehen und verstanden zu haben. Die enorm gestiegene Aufmerksamkeit für ein bGE zeigt doch, dass die Skeptiker einer Durchsetzung ins Hintertreffen geraten sind. In kurzer Zeit, in nur drei Jahren, hat es die Diskussion vermocht, nicht nur die Parteien dazu zu drängen, sich mit dem Vorschlag auseinanderzusetzen. Mittlerweile entwickelt sich die Diskussion auch unabhängig von der Medienberichterstattung weiter. Das bestätigt, welche Kraft gute Argumente und ein beharrliches öffentliches Engagement haben können. Wir haben keinen Grund, vorzeitig aufzustecken, es hat noch gar nicht richtig angefangen.

Sascha Liebermann

Grüne Regionalkonferenz zum Grundeinkommen

Am 8. September fand eine Regionalkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen in Berlin statt. Unter dem Titel „Von der Grundsicherung zum Grundeinkommen?“ wurde über eine Alternative zur gegenwärtigen Sozialpolitik diskutiert. Alle Beiträge stehen zum Herunterladen hier bereit. Sie geben einen Überblick über die Debatte bei den Grünen.

SPD Rhein Erft legt nach – eine Veranstaltung mit Götz W. Werner

Wir hatten wiederholt über die Aktivitäten der SPD Rhein Erft berichtet, die sich erst jüngst für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen und es in die Grundsatzdiskussion der Partei eingebracht hat. Nun geht die Diskussion weiter – am 15. September mit Götz W. Werner: Einladung

Meinungsumfrage statt öffentlicher Streit – zur Begründung eines „minimalen Existenzgeldes“ (Minimex)

Die Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hat sich für ein „minimales Existenzgeld“ ausgesprochen und das zu einem Zeitpunkt, da mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ein durchdachter und in seinen vielfältigen möglichen Wirkungen dargelegter Vorschlag längst in der Diskussion ist. Ein Rückfall, ein schlechter Witz oder will man sich einfach als großartige Neuerer präsentieren?

In einem Interview mit Horst Opaschowski in der taz ist der Geist zu erkennen, der in dem Vorschlag weht. Auf die Frage der Interviewer, ob das Nichtstun gefördert werde, sagt Herr Opaschowski:

„Der Mensch ist auf Leistung programmiert. Menschen wollen immer etwas haben, das andere nicht besitzen. Sie wollen mehr Geld und sich damit von anderen abgrenzen. 86 Prozent der Befragten wollen weiterarbeiten. Der Wettbewerb ist im Menschen angelegt.“

Daß die Menschen sich einsetzen wollen, das weiß jedes Kind, man muß nur in die Welt schauen, um das festzustellen, es bedarf dazu keiner wissenschaftlichen Untersuchung. Einige schauen eben darüber hinweg und fragen sich nicht, was der Grund dafür ist, daß manche sich nicht engagieren. Diese Einsicht wird nun verbunden mit einer – wie soll man sagen – „kleinbürgerlichen“, die im Neid den Antrieb zu Leistung erkennt. Hilfsbereitschaft, Solidarität und bürgerschaftliches Engagement lassen sich damit nicht erklären.

Die Höhe des Betrages (580 €) soll an gegenwärtigen Leistungen anschließen. Es ist ein Rechenmodell, das nach systematischen Zusammenhängen nicht fragt. Aus diesem Grund wird von Bürgern und Demokratie, von Gemeinwesen und Solidarität auch nicht gesprochen. Da die „Leistungsfähigen“ die Finanzierung tragen, so Opaschowski, sollen sie nicht über Gebühr belastet werden. Es sind aber nicht die „Leistungsfähigen“, die den Fortbestand des Gemeinwesens sichern, sondern es ist die Loyalität der Bürger, ganz gleich, welche Erwerbsleistung sie erbringen.

Während der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens auch als Bürgereinkommen zu verstehen ist, gibt sich das „minimale Existenzgeld“ als Armenversorgung mit Gegenleistungsverpflichtung zu erkennen. Konsequent heißt es:

„Außerdem soll das Existenzgeld nach Meinung der Bevölkerung nicht bedingungslos bleiben. Soziale Dienste könnten Pflicht werden oder werden auf die Rente angerechnet. Das wird dann beispielsweise auch Kindererziehungszeit für Frauen sein.“

Und in der Vorstellung der Studie heißt es:

„Das Votum der Bevölkerung richtet sich eindeutig gegen die Anhänger eines ‚bedingungslosen Grundeinkommens‘, für dessen Erhalt es keinerlei Bedingungen gibt und auch Spitzenverdiener das Grundeinkommen beziehen sollen – ob sie es brauchen oder nicht. Nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung widerspricht eine solche Option den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit.“

Hier wird wissenschaftliche Seriosität auf der Grundlage von Meinungsumfragen vorgegaukelt – doch Meinungsumfragen sind oberflächlich und statisch.

Da der Vorschlag eines BGE nicht den bisherigen Sicherungssystemen entspricht, löst er Befremden aus, das ist normal. Allerdings beruht dieses Befremden auch häufig darauf, sich mit den Folgen und Möglichkeiten des Vorschlags nicht auseinandergesetzt zu haben. Wo dies geschieht, und die Diskussion ist in Deutschland hier erst am Anfang, können sich Meinungen ändern – das ist entscheidend.

Opaschowski und die Stiftung wollen Argumente offenbar durch Meinungsumfragen ersetzen, statt den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung durch Argumente zu fördern. Sicherlich kann der Tag kommen, an dem dem BGE eine Absage erteilt wird, dann wollen die Bürger es eben nicht. Doch dieser Tag ist noch fern und alles spricht bislang eher dafür, daß das BGE tatsächlich die weitreichendste Lösung vieler Probleme verspricht, es ist weitreichender als alle anderen Vorschläge.

Sich auf Meinungsumfragen zu stützen, bevor der Versuch unternommen wurde, eine öffentliche Diskussion auch in der Breite anzuregen und zu führen, kommt einer Selbstentmachtung der Bürger gleich.

Nachtrag: Einem Hinweis von Jörg Walter folgend, möchten wir darauf hinweisen, daß die Befragung laut Hinweis einer Grafik Personen ab dem 14 Lebensjahr beinhaltet. Abgesehen von der Tauglichkeit von standardisierten Befragungen im allgemeinen ist zu bezweifeln, daß Jugendliche und Adoleszente die Folgen eines Existenzminimus angemessen einschätzen können.

Sascha Liebermann