„So schön diese Idee ist: Der Staat hat dieses Geld nicht. In Deutschland leben rund 83 Millionen Menschen. Es würde knapp eine Billion Euro kosten, alle mit einem Grundeinkommen von monatlich 1.200 Euro auszustatten.“https://t.co/7tpOSroK5X
— Ruprecht Polenz (@polenz_r) August 18, 2020
Ulrike Herrmann hat in der taz sich wieder einmal zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert. Anlass war die Bekanntmachung, dass das DIW ein Pilotprojekt von Mein Grundeinkommen wissenschaftlich begleiten will. Ruprecht Polenz verweist in seinem Tweet auf ihren Beitrag. Wie bislang (siehe frühere Beiträge von uns dazu hier) ist Herrmanns Haltung zum BGE ablehnend, begründet wird das über die Unmöglichkeit, es zu finanzieren. Was meint sie damit, dass Anhänger die Frage der Finanzierung hartnäckig ignorieren? Helmut Pelzer hat schon vor etlichen Jahren im Ulmer Transfergrenzenmodell (siehe auch hier und eine aktualisierte Version von Jürgen Rettel hier) eine grundsätzliche Finanzierbarkeit nachgewiesen. Dazu hat er keineswegs das Sozialbudget umverteilt, andere, das merkt Herrmann zurecht an, haben das hingegen getan. Letztlich aber ist die Finanzierungsfrage auch eine Gestaltungsfrage, ganz gleich, welches Konzept eines BGE vorgelegt wird.
Als erstes ist zu bemerken, dass Herrmann eine Bruttorechnung anstellt, wenn sie 1200 Euro pro Monat und Person auf die Bevölkerung hochrechnet und so die Ausgaben bestimmt – ohne Einnahmerechnung! Nicht die Bruttokosten sind aber entscheidend, die Nettokosten sind maßgebend, also das Verhältnis von Aufwendungen für ein BGE und Wertschöpfung. In 2019 lag das Nettonationaleinkommen, also derjenige Teil am Bruttoinlandsprodukt, der für Einkommen zur Verfügung steht, bei etwa 2,8 Billionen Euro. Darin enthalten sind unter anderem auch die Sozialversicherungsbeiträge, Steuerfreibeträge (!), Beamtensold usw. Von diesem Kuchen also wäre ein BGE zu finanzieren (brutto), nicht vom Sozialbudget und schon gar nicht aus Bundes- oder Länderhaushalten. Diesen Bruttokosten stehen aber Einnahmen gegenüber, denn weiterhin wird es Steuern geben auf Einkommen und Verbrauch nach heutiger Lage. Erst nach Abzug der Einnahmen hätte man also die Aufwendungen bestimmt, die netto für ein BGE nötig wären. Was Herrmann anstellt, kann also als Irreführung bezeichnet werden, die kein Deut besser ist als der von ihr kritisierte Umrechnung des Sozialbudgets. Es stellt sich darüber hinaus schon lange die Frage, ob es klug ist, die Krankenversicherung durch Beiträge aus Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Davon abgesehen sollen bedarfsgeprüfte Leistungen in der Regel – selbst Straubhaar zieht das in Erwägung – beibehalten werden – das zumindest ist die verbreitetste Vorstellung eines BGE (eine Streichung wäre in der Tat unsozial). Allerdings: auf der Basis eines BGE sinkt der Bedarf an bedarfsgeprüften Leistungen. Komplex sind also auch Substitutionseffekte, die durch ein BGE entstehen, wenn z. B. Subventionen, die der Einkommenssicherung dienen – wie bei Landwirten – genauso als personenbezogenen, zweckungebundene Einkommenssicherung qua BGE möglich wären.
Was sich aus dieser Finanzierbarkeit auf Basis der Daten aus der Vergangenheit (volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) nicht schließen lässt, ist, was wohl passieren wird, wenn ein BGE eingeführt wurde. Davon hängt natürlich ab, welche Folgen es hat und hier wir die Sache dann grundlegend, es geht nämlich um die Frage, was für die Lebensführung maßgebliche handlungsleitende Überzeugungen sind, weshalb bringen sich Menschen ein, weshalb wollen sie im Beruf wirken, weshalb anderen helfen usw. Es geht also um die Frage danach, wie Autonomie und Gemeinwohlbindung entstehen und sicher erhalten. Diese Fragen weisen allerdings nicht in die Zukunft, sie weisen in die Gegenwart und erfordern, den realen Lebensverhältnissen ins Auge zu sehen. Die Grundlagen der politischen Ordnung einer westlich liberalen Demokratie, wie sie im Grundgesetz zum Ausdruck kommen, leben von Voraussetzungen, die nicht durch das Grundgesetz herbeigeführt werden können. Der Staatsrechtler Böckenförde hat dies einst treffend formuliert – wir leben heute schon vom Vertrauen in Autonomie und Gemeinwohlbindung der Bürger, sonst gäbe es unsere Demokratie gar nicht, was sich auch empirisch gut zeigen lässt. Nichts anderes erfordert ein BGE und dennoch können wir nicht vorhersehen, was passieren wird. Das ist aber mit allen Gestaltungsentscheidungen im Leben so.
Dass Ulrike Herrmann solche Fragen nicht einmal stellt, darüber habe ich in einem Rückblick auf eine Diskussion mit ihr geschrieben.
Sascha Liebermann