Der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens schärft den Sinn dafür, wie sehr die Deutung von Problemlagen, mit denen der Einzelne und das Gemeinwesen konfrontiert sind, von den Bewältigungsmöglichkeiten abhängt, die zur Verfügung stehen. Nicht von ungefähr wird in der Diskussion immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr sich durch ein BGE manches Problem, das wir heute als solches deuten, auflösen würde.
Ein Beispiel dafür sind befristete Arbeitsverträge auch im öffentlichen Dienst (z.B. Schule, Hochschule, Universität, Rechtswesen). So stellt es heute eine große Belastung dar, wenn aus einem befristeten Arbeitsverhältnis das Einkommen bestritten werden muss, die Unsicherheit ist groß, was darauf folgt. Mit jedem weiteren befristeten Vertrag, nimmt die Unsicherheit nicht ab. Es ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, das personalpolitisch versucht wird, unverhältnismäßig schlechten Verträgen entgegenzuwirken. Personalräte achten im öffentlichen Dienst deswegen darauf, dass Arbeitsverträge ein bestimmtes Maß an Sicherheit bieten, also nicht für zu kurze Laufzeit oder zu wenige Stunden (unter 50% einer Vollzeitstelle) abgeschlossen werden. Als Schutz war vor Jahren auch die Beschränkgung der Gesamtdauer befristeter Arbeitsverhältnisse (12-Jahresregelung, Wissenschaftszeitvertragsgesetz) gedacht – ein Schuss ins Knie, wie man salopp sagen könnte, weil sie die Perspektiven von Wissenschaftlern extrem einschränken. Wer es nicht auf eine Professur schafft, muss die Universität verlassen. Auf Haushaltsmitteln darf er nicht mehr angestellt werden.
So wohlgemeint aller Schutz ist, so sehr kann er individuellen Motiven zuwiderlaufen, aus denen heraus sich jemand auf befristete Arbeitsverhältnisse einlässt, auch wenn sie weniger als 50% einer vollen Stelle ausmachen. Wenn Personalräte hiermit pragmatisch umgehen, fragen sie bei dem betreffenden Mitarbeiter nach, ob er einem solchen Vertrag aus freien Stücken zugestimmt hat. So kann der Vertrag, auch wenn er Mindestanforderungen nicht entspricht, dennoch befürwortet werden. Aber alleine die Konstellation zeigt, wie hemmend diese Lage ist. Denn, weshalb sollte jemand einem Vertrag mit sehr kurzer Laufzeit nicht zustimmen, wenn er in seinen Augen in Ordnung ist. Weshalb, um die Frage auf die 12-Jahresregelung auszudehnen, sollte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht vielleicht sein gesamtes Berufsleben mit befristeten Verträgen bestreiten, sofern es für ihn in Ordnung ist? Eine solche Perspektive wäre für viele Forscher immerhin eine und allemal besser als das, was mit der Beschränkung der Gesamtdauer befristeter Verträge durch 12-Jahresregelung bzw. Wissenschaftszeitvertragsgesetz erreicht wurde: Faktisch laufen sie auf ein indirektes Berufsverbot hinaus. Denn, wer forschen und eventuell lehren will, ist in Deutschland (von Ausnahmen abgesehen) meist auf eine Universität oder Hochschule angewiesen. Er kann nicht ausweichen – allenfalls ins Ausland. Das ist die Realität im deutschen Bildungswesen entgegen aller Rufe nach der Förderung von Bildung.
Mit einem BGE sähe die Lage vollkommen anders aus. Befristete Verträge stellten keine Existenzbedrohung dar, weil der Einzelne von ihnen nicht abhängig wäre. Er könnte sich also unbekümmert auf sie einlassen. Selbst ohne Verträge gäbe es Möglichkeiten weiterzuforschen. Aufgrund der Einkommenssicherheit benötigte ein Forscher nur den Zugang zu Infrastruktur (Bibliothek, Labor usw), der könnte auch ohne Anstellung gewährt werden. Jenseits der Verbesserungen, die im bestehenden Gefüge auch möglich wären, weist das BGE weit über sie hinaus. Es schafft eine andere Grundlage, um kontinuierlich dem nachzugehen, was man für wichtig erachtet.
Sascha Liebermann
Siehe zu dem Thema auch:
Mindest- und Kombilohn
Mindestlohn und repressionsfreie Grundsicherung
Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und Lohndumping
Leih- und Zeitarbeit