Gewerkschafter verabschieden eine Erklärung zum Grundeinkommen – ist sie der Diskussion förderlich?

Über die Erklärung berichtete das Netzwerk Grundeinkommen. Der Aufruf plädiert für eine vorurteilsfreie Diskussion über ein Bedingungsloses Grundeinkommen, die Entwicklung eines Gewerkschaftskonzepts und weitere Forderungen.

„Wir sind der Auffassung, dass neben dem Bedingungslosen Grundeinkommen, welches die angstfreie Existenz und gesellschaftliche Teilhabe eines jeden Menschen sichert, weitere politische Veränderungen nötig sind, so zum Beispiel: Umverteilung von Einkommen von oben nach unten, radikale Arbeitszeit­verkürzung, geschlechtergerechte Umverteilung unbezahlter Arbeit, Bürgerversicherung, ausreichende Mindestlöhne, Ausbau der öffentlichen und sozialen Infrastruktur und Dienstleistungen, ökologisch nachhaltige Produktion, Demokratisierung aller öffentlichen Bereiche, der Wirtschaft, des Welthandels und des Finanzwesens.“

Diese Forderungen kann man aufstellen, aber was bedeuten sie konkret, z. B. eine radikale Arbeitszeitverkürzung?

Denkt man sie so allgemein, muss sie durch ein Gesetz bzw. über die Tarifpartner geregelt werden. Angesichts hoher Überstunden klingt sie plausibel. Doch was wäre ihre Folge? Zum einen führt die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung über heutige Regelungen hinaus (und nicht einer, die vom Einzelnen ausgehandelt werden könnte) dazu, Erwerbsarbeit wie ein knappes Gut zu behandeln, von dem alle etwas haben können sollten. Doch Erwerbsarbeit erhält ihren Sinn aus dem Leistungsbeitrag, nicht um ihrer selbst willen. Ob also eine weitere Arbeitszeitverkürzung in welchem Bereich auch immer angemessen ist, lässt sich nicht allgemein entscheiden. So gibt es Berufe, in denen ist die heutige Arbeitszeitregelung schon eine Überforderung (z. B. in der Pflege, im Kindergarten oder in der Schule). Es gibt andere Berufe, da lassen sich Arbeitszeiten gar nicht klar abgrenzen (alle Berufe, in denen Krisenbewältigung im Zentrum steht und Routine der Grenzfall ist), die Festlegung ist letztlich willkürlich und lehnt sich ein historisch gewachsenes Verständnis von Arbeitszeit an. Dabei sind Löhne ohnehin willkürliche Vereinbarungen – weder lässt sich der individuelle Leistungsbeitrag bestimmen noch die dafür aufgewandte Arbeitszeit ermitteln. Entscheidend ist für die Leistungsentstehung, dass es um sie geht und nicht um „Beschäftigung“ oder den Erhalt von Arbeitsplätzen. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung behandelt Erwerbsarbeit heute nicht an der Sache orientiert, sondern formal (frühere Beiträge dazu siehe hier, hier, hier und hier).

Ist aber nicht die „Teilhabe an Arbeit“, wie es manchmal heißt, wichtig? Die Forderung einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung wäre dann an der Sache der Leistungserbringung orientiert, wenn es darum ginge, diese zu fördern, nicht aber, wenn sie nur Anteile daran verteilen will. Wer Leistungserbringung fördern will, sollte als erstes einmal Verhandlungsmöglichkeiten erweitern, und zwar individuell, und dann über allgemeine Regelungen nachdenken, die der Leistungsförderung dienlich sind. Das wäre aber eine andere Debatte.

„Geschlechtergereche Umverteilung unbezalter Arbeit“ – hierfür gilt etwas Ähnliches wie für den vorangehenden Punkt. Was heißt „geschlechtergerecht“, etwa formal gleichverteilt? Ist es nicht – wenn ein BGE eingeführt ist – die Entscheidung eines Paares, wie es damit umgeht. Gerade auf Basis eines BGEs gibt es keinen Grund mehr dafür, auf die Einkommenschance schielen zu müssen, die heute ein Grund für die Aufgabenverteilung in Familien ist. Das ist aber nicht der einzige Grund, es gibt solche, die mit dem Beziehungsgefüge zu tun haben, da die Dyadenstruktur in Familien zwischen Mutter und Kinder auf der einen und Vater und Kind auf der anderen gänzlich unterschiedlich sind. Darüber hinaus kann nicht jeder gleichermaßen gut mit der Nähe umgehen, die kleine Kinder einem abverlangen. Formale Regelungen sind hier also vollkommen abwegig. Wer diesbezüglich etwas ändern will, muss der Eigensinnigkeit von Familie den Platz einräumen, den sie benötigt. Das geht nur durch eine Abkehr vom normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit. Darüber hinaus bedarf es einer öffentlichen Debatte darüber, was in Familien geleistet wird, wofür wir bislang aber nicht bereit sind, die Ermöglichungsbedingungen zu verbessern (siehe frühere Beiträge dazu hier, hier und hier). Ein BGE würde genau das tun, ohne zu Formalismen zu greifen.

Die anderen Forderungen seien hier nicht kommentiert, sie sind von einem BGE unabhängig, ein BGE aber auch von ihnen. Zumindest eines sollte gesagt werden, dass eine Diskussion durch überbordende, sehr allgemeine Forderungen auch erstickt werden kann.

Sascha Liebermann

Nachtrag: Der Titel des Beitrags wurde verändert, da es sich nicht um eine Erklärung der Gewerkschaften, sondern von Gewerkschaftern handelt.