Die Europäischen Grünen veranstalteten am 3. Juli eine Diskussion zum Grundeinkommen im Europäischen Parlament zu Brüssel. Deutsche Teilnehmer waren Michael Opielka und Benediktus Hardorp. Es wurden Interviews per Video aufgezeichnet, die Sie hier anschauen können.
Die Debatte geht weiter – auch in den Gewerkschaften
In der aktuellen Ausgabe von Ver.di Publik findet sich unter dem Titel „Der große Wurf?“ ein Beitrag von Heike Langenberg zum Grundeinkommen. Leider wird die Gelegenheit nicht ergriffen, die Idee in ihrer Breite einmal darzustellen. Stattdessen werden gezielt Zitate aus Beiträgen von Befürwortern angeführt, die belegen sollen, wes Geistes Kind das bGE ist. Schauen wir uns die Zitate einmal näher an.
Schon der Einstieg ist ein bemühter Versuch, auf ein Problem hinzuweisen. Dort heißt es: „Je mehr Leute von ihrem Recht auf bezahlte Freizeit Gebrauch machen, desto weniger produzieren die finanziellen Ressourcen für das Grundeinkommen. Dann finanziert sich das System irgendwann nicht mehr“. Ganz recht, kann man da nur sagen. In der Tat würde es keine Wertschöpfung mehr geben, wenn alle sich aus dem Erwerbsarbeitsmarkt zurückzögen bzw. an der Erzeugung von Gütern und Diensten nicht mehr mitwirken wollten. Warum sollte das ein Einwand gegen das Grundeinkommen sein, denn letztlich gilt diese Diagnose schon für unsere heutige Lage. Alle Bürger haben nämlich einen Anspruch auf die im Sozialgesetzbuch geregelten Leistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Sozialgeld. Alle könnten diesen Rechtsanspruch geltend machen, wenn sie ihn geltend machen wollten – er könnte ihnen nicht verwehrt werden, sofern sie die dazu gesetzten Bedingungen erfüllen. Warum aber machen die Bürger diesen Anspruch meist nur geltend, wenn sie kein Erwerbseinkommen mehr zu erzielen in der Lage sind? Was müssen wir daraus schließen?
Erklären läßt sich diese Zurückhaltung nur damit, daß sich alle über den Notfallcharakter dieser Leistungen nach unserem heutigen Verständnis im klaren sind. Wer sie in Anspruch nimmt, muß nicht nur das Recht dazu haben, er sollte auch wirklich dieser Hilfe bedürfen. Daß die Bürger nicht massenhaft, also z.B. in der Mehrheit diese Leistungen in Anspruch nehmen, heißt doch letztlich: sie möchten, solange sie dazu in der Lage sind, ihren Beitrag leisten, damit unser Sozialstaat erhalten werden kann. Sie wollen also nur in Anspruch nehmen, was sie auch wirklich benötigen. Doch dieser einfache Zusammenhang wird von Frau Langenberg nicht gesehen, würde sie sich sonst ernsthaft fragen müssen, weshalb denn heute nicht alles zusammenbricht. In der Regel wollen alle beitragen zum gemeinsamen Wohlergehen, die Frage ist doch vielmehr: Geben wir ihnen die Möglichkeit, es nach ihrem Dafürhalten zu tun?
Aus Götz Werners Buch „Einkommen für alle“ wird folgende Passage zitiert: „Andererseits kann der Arbeitgeber, der seinerseits keine Sozialabgaben mehr für seine Mitarbeiter aufwenden muss, fortan mit diesen neue, tendenziell niedrigere Gehälter aushandeln“. Ja, sehr wohl, aushandeln kann er diese Gehälter, nicht aber diktieren. Das ist ein wichtiger Unterschied, den Frau Langenberg nicht sieht. Wenn sich das verfügbare Einkommen zukünftig aus dem Grundeinkommen und einem Erwerbseinkommen zusammensetzt, dann ist die Summe aus beiden entscheidend und nicht die Höhe des Erwerbseinkommens alleine. Selbst bei einem niedrigeren Erwerbseinkommen im Vergleich zu heute könnte die Summe aus beiden höher sein als das heute verfügbare Einkommen. Wenn man sich also schon auf die Taschenrechnerlogik einläßt, sollte man sie zuende führen.
Ist das Grundeinkommen hoch genug und erlaubt, anzusparen, dann bedarf es nicht einmal einer Zusatzversorgung im Alter. Auch muß diese, will sich jemand freiwillig versichern, nicht notwendig privater Art sein. Auch hier könnte der Staat eine Zusatzleistung, auf freiwilliger Basis, anbieten. Viel gravierender sind doch die Auswirkungen eines bGEs auf die Versicherungswirtschaft: Je höher es wäre, desto weniger wären Versicherungen, die der Altersvorsorge dienen, überhaupt noch nötig. All das Geld, das heute über diese Versicherungen in den internationalen Finanzmarkt fließt, stünde für Konsum und Investition zur Verfügung. Der Finanzmarkt hätte im Verhältnis zu heute eine andere geringere Bedeutung. Auch die Chance, dies einmal klarzustellen, wird in dem Beitrag leider versäumt.
An einer späteren Stelle im Artikel heißt es dann: „Einen weiteren Vorteil für Arbeitgeber nennt die Initiative ‚Freiheit statt Vollbeschäftigung‘ auf ihrer Internet-Seite: ‚Sie [die Unternehmen] können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen'“. Wäre das nicht wünschenswert, daß die Unternehmen sich ihrer ersten und wichtigsten Aufgabe widmen: Werte zu schaffen, statt versteckt sozialpolitische Mithilfe zu leisten? Wieviel Wertschöpfung wird dadurch verhindert, daß wir Unternehmen diese Aufgabe ansinnen? Politisch müssen wir die Bürger absichern, damit der Verlust eines Arbeitsplatzes eben nicht die Folgen hat, die er heute hat. Doch dazu bedarf es des bGEs und keiner unternehmerischer Wohltaten.
Es überrascht dann nicht, zum Schluß noch folgendes Zitat zu lesen: „In der Diskussion über ein Grundeinkommen wird verkannt, dass Arbeit für den einzelnen Menschen mehr ist als Abhängigkeit, mehr auch als ,nur‘ Einkommensquelle. Sie stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt gesellschaftliche Anerkennung. Und ein Teil dieser Anerkennung steckt auch im Arbeitsentgelt“, sagt Sabine Groner-Weber, Leiterin des Bereichs Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand“. Wir nehmen einmal wohlwollend an, daß Frau Groner-Weber nicht meint, jede Arbeit, auch diejenige, die man gar nicht machen will, vermittele Anerkennung. Wovon hängt sie dann ab? Zuerst einmal davon, daß man eine Aufgabe auch machen will, sich für sie entscheiden kann. Das ist nur möglich, wenn man die Wahl hat, sich auch dagegen zu entscheiden. Dann ist es wesentlich, ob man sich mit der Aufgabe auch identifizieren kann, einen Beitrag zu ihrer Erledigung leisten will. Und zuletzt ist es, heute mehr als mit einem bGE, wichtig, ein Einkommen zu erzielen, von dem man leben kann. Wie hoch das sein muß, hat aber jenseits eines Minimums, eine breite Spanne.
Es ist wohl vielsagend, daß freie Entscheidung und Interesse an einer Aufgabe als Voraussetzungen für ein erfülltes Berufsleben in dem Artikel gar nicht vorkommen. Würde Frau Langenberg diesen Zusammenhang sehen, dann wäre es leicht, folgenden Schluß zu ziehen: Wenn es für den Einzelnen wichtig ist, sich in einer Aufgabe zu verwirklichen, dann wird er dies auch mit einem bGE anstreben. Nun denn, dann sollten wir es einführen und uns nicht mit Spiegelfechterei aufhalten.
Sascha Liebermann
Rechnerisch oder systematisch? Zwei Perspektiven auf das bedingungslose Grundeinkommen
Woher rührt die unterschiedliche Einschätzung?
Als erstes ergibt sich eine solche daraus, wie man die Veränderungen betrachtet. Richtet man – rechnerisch – das Augenmerk nur auf den Geldbetrag, der am Ende den Bürgern als bGE zur Verfügung steht, dann könnte man zum Schluß kommen, es veränderte sich gar nichts durch das bGE. Diese Einschätzung gilt nicht nur für den Vergleich von bGE und ALG II. Er gilt auch für den von bGE und Negativer Einkommensteuer (z.B. Milton Friedman), die wesentlich liberaler wäre als ALG II. Schneider veranlaßte dies in dem Gespräch dazu festzustellen, daß die Nettosteuerschuld, die im Althausmodell ab einer bestimmten Einkommensgrenze entstehe, doch für diejenigen, die dann eine höhere Steuerlast tragen, als der Betrag des bGEs ist, vom bGE gar nichts hätten. Diese Schlußfolgerung muß ziehen, wer nur den Geldbetrag in Augenschein nimmt.
Allerdings macht es schon selbst bei diesem Betrag in Höhe von ALG II einen Unterschied, ob er frei verwendet werden kann, ob er frei von Kontrolle und Beaufsichtigung vergeben wird oder nicht. Auch Althaus sieht eine bedingungslose Vergabe vor, so daß also die Bürger, denn alle sollen das bGE erhalten, frei über es verfügen können und an das bGE keine Gegenleistungsverpflichtungen gebunden sind.
Die Sache sieht also ganz anders aus, wenn die Veränderungen, die ein bGE ermöglicht, systematisch betrachtet werden. Rückt man die Gewährungsbedingungen dabei ins Zentrum, ist selbst bei gleicher Betragshöhe wie ALG II eines erreicht: mit einem bGE von der Wiege bis zur Bahre wären alle Bürger gleichgestellt – ihr Engagement, wo immer es stattfände, wäre gleichwertig. Das Engagement wäre allerdings nur möglich, wenn der Betrag auch ausreicht, um auf Erwerbsarbeit zu verzichten.
Die Gleichwertigkeit des Engagements entsteht aus dem einfachen Zusammenhang, daß das Gemeinwesen den Betrag gewährt, ohne eine Vorleistung zu erwarten bzw. mit der Gewährung eine Rückführung in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Ansprüche auf Transferleistungen müßten also nicht erst erworben werden, es gäbe auch nichts mehr nachzuweisen, wie es heute der Fall ist. Mit der Aufhebung dieser Verpflichtungen fiele auch der stigmatisierende Effekt der Transferleistungen weg, den nicht nur Hilmar Schneider offenbar für unbedeutend hält.
Das bGE wird vom Status (Staatsbürger bzw. dauerhaft Aufenthaltberechtigter), nicht von einer Leistung abhängig gemacht. Es ist keine Ermäßigung oder ein Steuerfreibetrag, wie Thomas Straubhaar sagte, denn einen Steuerfreibetrag kann nur geltend machen, wer Erwerbseinkommen erzielt hat, das bGE aber erhalten alle.
Von der Systematik aus gedacht, sind vom bGE erhebliche Veränderungen zu erwarten: die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen, die durch die Gewährung des Betrags ausgesprochen wird, stärkt die Solidarität, weil das bGE selbst schon solidarisch ist; jeder wird sich dann fragen, was er beitragen will und kann; das normative Ideal, demzufolge Erwerbsarbeit der höchste Zweck ist, würde aufgehoben und vieles mehr.
Daß die Freiheit, die wir ermöglichen wollen, auch von der Höhe des Betrags abhängt, versteht sich von selbst. Doch die Erfahrung zeigt, der schwerste Schritt ist der, ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen zu wollen. Wagen wir diesen Schritt, steht die Diskussion um die Höhe auf einer anderen Grundlage.
Sascha Liebermann
Einer Übermacht von Zauberern muß mit Verstand begegnet werden – Neues zum Grundeinkommen aus den Gewerkschaften
Eine Verhöhnung sollte es werden, das ließ schon der Titel des Beitrages „Freibier für alle hilft den Durstigen nicht“, von Hans-Joachim Schabedoth in der Frankfurter Rundschau, erkennen. Das bedingungslose Grundeinkommen werde von seinen Befürwortern als Zauberwaffe präsentiert, ihr muß mit Verstand begegnet werden, heißt es in dem Beitrag. So geheimnisvoll stellt sich der Vorschlag allerdings gar nicht dar. Ausgefeilte Argumente und Begründungen liegen vor, weshalb bestimmte Effekte zu erwarten wären. Jeder kann diese Thesen anhand seiner Lebenserfahrung prüfen. Die schon im Titel erkennbare Verleumdung ist wohl eher Ausdruck von Verzweiflung angesichts der Resonanz, die das bGE mittlerweile erhält – gerade auch von seinen Gegnern (Horst Sieberts Beitrag in der FAZ vom 27. Juni, S. 12, liegt dieser Vortrag zugrunde. Siehe auch unseren Kommentar).
Aufgrund dieser Resonanz fühlen sich Gewerkschaftsvertreter offenbar als einsame Rufer in der Wüste, als stünden sie einem Millionenheer von Grundeinkommensbefürwortern gegenüber, gegen deren „Heilslehre“ und „Phantasterei“ (Michael Schlecht) sie ankämpfen müssen – mit dem gesunden Verstand. Daß Gewerkschaftsvertreter dies so wahrnehmen, ist für die Diskussion um ein bGE ein gutes Zeichen: je größer die aufgefahrenen Geschütze, desto gefährlicher der Feind.
Wer ist denn in der Übermacht angesichts der guten Organisiertheit der Gewerkschaften und der Millionen Euro, die für Kampagnen ausgegeben werden? Wer erhält denn problemlos Zugang zu Fernsehsendungen und Printmedien, um seine Thesen, Kritik und Kommentare zu verbreiten? Da waren und sind die Grundeinkommensbefürworter, wenn sich auch viel geändert hat, noch immer in einer anderen Lage. Wo ist die Übermacht, da von einer breiten Debatte noch gar keine Rede sein kann? – Die Übermacht, so kann aus dem scharfen Ton des Beitrags in der Frankfurter Rundschau geschlossen werden, ist wohl eher eine der Argumente: Argumente kann man leugnen, abwehren oder aufgreifen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Alles ist gleichermaßen Ausdruck dessen, daß sie man an ihnen nicht vorbeikommt.
Alleine schon, daß Herr Schabedoth das bedingungslose Grundeinkommen und den Vorschlag eines Bürgergeldes, wie ihn die FDP vertritt, in einen Topf wirft, offenbart mangelnde Sachkenntnis bzw. böswillige Verzerrung. Der Vorschlag der FDP sieht lediglich eine Zusammenfassung der Transferleistungen in einer Leistung vor, die Bedürftigkeitsprüfung wird aber beibehalten. Das bGE will diese ja gerade abschaffen – das weiß Herr Schabedoth, dennoch hält er beides nicht auseinander.
Es heißt dann: „Es geht den Gewerkschaften nicht um Stilllegungsprämien für Arbeitskräfte, sondern um die Integration aller Arbeitswilligen in das Erwerbssystem. Nicht zuletzt hat das etwas zu tun mit dem gewerkschaftlichen Verständnis von der Würde des Menschen“.
Hier wird ganz offensichtlich Menschenwürde mit Erwerbstätigenwürde verwechselt, aus dem politischen Bürger wird ein Arbeitsbürger. Denn ob der Einzelne, wenn es einmal ein bGE gäbe, der Auffassung wäre, daß seine Menschenwürde nur mit Erwerbsarbeit zu erhalten ist, das könnte ihm überlassen werden. Genau das allerdings, den Einzelnen entscheiden zu lassen, wollen die Gewerkschaften nicht.
Weiter: „Die pauschale Unterstützung von Nicht-Hilfebedürftigen geht prinzipiell zu Lasten jener, die aufgrund ihrer individuellen Bedarfs- und Lebenslage einer abgestimmten Unterstützung bedürfen“.
Ein Mythos, der nur dazu dient, die Bedürftigkeitsprüfung als Kontrolle aufrechtzuerhalten. Ein bGE schließt in keiner Weise aus, daß auch Sonderbedarfe gedeckt werden, denn nur dann ist die Würde des Menschen, nicht des Erwerbstätigen, gewahrt. Die Frage ist, welche Würde grundlegender ist? Für die bGE-Befürworter ist die Antwort eindeutig, denn Würde kann es nur geben, wo es Freiheit und Vertrauen in den Einzelnen, in die Bürger also, gibt.
Er fährt fort: „Die Finanzierungslasten eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle müßten die Summe aller eingesparten staatlichen Transferleistungen erheblich überschreiten, wenn das Grundeinkommen das Existenzminimum absichern soll“.
Auch das ist ein Mythos. Doch wer Haushalte als statische Größen betrachtet, muß dies so sehen. Hier wird die gestaltende Kraft, die ein bGE entfalten könnte, mit dem Taschenrechner bestimmt, statt sich die Wirkzusammenhänge vor Augen zu führen.
Und weiter: „Die Vorstellung, zusätzliche Gegenfinanzierungsmittel über eine drastische Erhöhung der Verbrauchsteuern einzunehmen, verrät unschwer die Absicht neuerlicher Umverteilung zu Lasten aller, die den größten Teil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben müssen. Das Grundeinkommen, wie bei Götz W. Werner angelegt, ist im eigentlichen Sinne Nebenprodukt einer neuen Steuersystematik, die den Unternehmen und Vermögenden nützt und allen anderen schadet. (Paul Kirchhoff lässt grüßen!)“.
Da muß der alte Klassenfeind bemüht werden. Eine Auseinandersetzung mit Götz W. Werners bzw. Benediktus Hardorps Argumentation zeigt auf einfache Weise, wer heute bei aller Einkommenbesteuerung die Steuerlast trägt: der Verbraucher. Wenn von einer gerechten Verteilung der Lasten die Rede ist, dann muß auch betrachtet werden, was ein Steuersystem wie bewertet: Wollen wir die Nutzung von Geldmitteln für Investitionen, Schenkungen und Konsum zum Ausgangspunkt der Besteuerung machen oder die Verfügbarkeit über Geldeinkommen? Messen wir jemanden an seinem Handeln, was er also mit seinem Geld macht, oder daran, wieviel er hat? Die Konsumsteuer bewertet das Handeln, denn das ist für unser Gemeinwesen entscheidend.
Zum Schluß heißt es: „Die individuelle Entscheidung, nicht am Erwerbsleben teilhaben zu wollen, gehört nach dem Grundverständnis der Gewerkschaften – und wohl auch nach allgemeiner Auffassung der meisten Bürgerinnen und Bürger – nicht zu den Tatbeständen, die eine gesellschaftliche Unterstützungsleistung auslösen sollten“.
Und warum nicht? Etwa weil all die anderen Leistungen in Familie, Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement wertlos sind? Hier sollten die Gewerkschaften offen aussprechen, daß sie Erwerbsarbeitsfetischismus betreiben und dem Einzelnen nicht vertrauen, statt sich hinter allgemeinen Formeln zu verstecken.
Das Fazit, das Herr Schabedoth zieht, ist bezeichnend: „Das vorerst letzte gesellschaftliche Großexperiment, einen gesamten Staat als eine Art Beschäftigungsgesellschaft zu organisieren, ist bekanntermaßen gescheitert“. Genau, ließe sich ihm zustimmen, das will das bGE eben nicht, eine Erwerbstätigengesellschaft. Phänomenal ist die Verkehrung der Sachlage ins Gegenteil. Es sin
d doch die Gewerkschaften unter anderen, die genau diese Haltung nicht aufgeben wollen: das Gemeinwesen als Beschäftigten- und Beschäftigungsgesellschaft zu begreifen. Verkehrte Welt.
Sascha Liebermann
Neue Filme zum Grundeinkommen bei Allmende-Film
Christoph Schlee bietet zwei neue Filme zum Grundeinkommen an. Die CDs können bei Allmende-Film bestellt werden.
„Ausbildungsbonus“ – weshalb einfach, wenn es auch abwegig geht?
Wieder einmal denken sich unsere politischen Repräsentanten komplizierte „Anreizsysteme“ aus, um Unternehmen dazu zu ermuntern, Arbeitsplätze zu schaffen. War es im letzten Jahr die Initiative 50 Plus, soll nun durch einen Ausbildungsbonus (FAZ, 22. Juni, Wirtschaftsteil) für Unternehmen, also eine zweckgebundene Subvention, darauf Einfluß genommen werden, daß Jugendliche mit niedrigen Qualifikationen und ohne Schulabschluß mehr Chancen am Arbeitsmarkt erhalten. Auch Paten soll es geben, vielleicht ältere Arbeitslose, die Jugendlichen beratend zur Seite stehen. Ob dies alles wohl freiwillig geschehen soll, ob den Arbeitslosen dabei die Wahl gelassen wird, ob sie es überhaupt wollen? Ob denn die Jugendlichen gefragt werden, ob sie es wollen? Angesichts der Hartz-Maschinerie sind Zweifel angebracht.
Sogleich hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) diesen Vorschlag, laut FAZ, kritisiert. Es mangele an Qualifikation der Jugendlichen. Anstelle eines solchen Bonus sollten Jugendliche lieber gefördert werden. Ja, ganz recht, aber wie? Da hilft es wenig, wenn die Bundesbildungsministerin fordert, die Zahl der Schulabbrecher müsse reduziert werden.
Welche Chancen bieten wir Jugendlichen denn? Wird Bildung als Selbstbildung verstanden oder soll nur der Nürnberger Trichter je mehr zum Einsatz gelangen, desto mehr er versagt? Seit Jahren folgt die Bildungspolitik – trotz der PISA-Ergebnisse – der Maxime: Anpassung fördern, Individualentwicklung verhindern, Neugierde abtrainieren. Statt auf Neugierde und Interesse bei Schülern und Studenten zu vertrauen und jeden Unterricht, jede Lehre zu ihrer Förderung zu nutzen; statt Erfahrung zu ermöglichen, die von der Bereitschaft des Einzelnen, sich auf sie einzulassen, ihren Ausgang nimmt, zentralisieren wir, entwickeln rigide Lehr- und Studienpläne (Zentralabitur, gestufte Studiengänge). Nicht Bildung, also Vielfalt, wollen wir ermöglichen – wir wollen sie erzwingen. Die Schrauben der Bildungssortiersysteme werden angezogen – Individualentwicklung also durch Zwang und Druck? Als wüßten wir nicht, als könnten wir nicht wissen, wenn wir wollten, daß nirgends Bildungsbemühungen weniger Erfolg haben als dort, wo Bildung erzwungen wird.
Ein Tor, wer glaubt, mit Zwang und Druck könnten wir unsere Probleme lösen. Lehrt uns das Leben nicht, daß dort sich Neues entwickelt, wo Neugierde und Begeisterung, wo Initiative gefördert werden?
Ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) ist eine einfache, eine wirkliche Antwort auf die Sorgen unserer Zeit. Jugendliche könnten sich frei entwickeln, sich Orte und Personen suchen, von denen sie lernen wollen. Geht heute Druck von der Lage am Arbeitsmarkt aus, würde dieser Druck der Chance der Freiheit weichen. Eine Freiheit, die Anstrengungen erfordert, von jedem – sie ist kein Paradies, sondern eine Zumutung. Jeder aber könnte sein Leben nach seinen Neigungen und Interessen, nach seine Fähigkeiten und Möglichkeiten gestalten – ein Leben in Würde, nicht in Überwachung durch die Hartz-Maschinerie wäre möglich. Da ein bGE den Lohn von der Aufgabe befreite, die Existenz zu sichern, wären Auszubildende für Unternehmen günstiger als heute, ohne daß sie weniger Einkommen zur Verfügung hätten. Das gälte für alle Arbeitnehmer. Sie müßten sich aber gar nicht am Arbeitsmarkt orientieren, könnten Ausbildungen auch jenseits davon absolvieren und sich bürgerschaftlich engagieren. Wo ein Meister ist, ist auch ein Schüler – dazu bedarf es keiner Organisation.
Ein solches Grundeinkommen spricht den Einzelnen Vertrauen aus, wir – die Bürger – sprächen es jedem aus. Interessierte Schüler, Auszubildende und Studenten würden die heutige und erst recht die auf uns zukommende Wirklichkeit der Bildungseinrichtungen fliehen, Einrichtungen, die Bildung verhindern. Statt die Entstehung von Neuem zu fördern und zu initiieren, ist Wissensverwaltung ihr neuer Zweck.
Weshalb abwegig, wenn es auch einfach geht: das bedingungslose Grundeinkommen weist den Weg. Wir müssen ihn nur gehen.
Sascha Liebermann
Paternalismus in zwei Kleidern – Kurt Beck und die Marktliberalen
Künstlich baut Kurt Beck in seinem Beitrag „Das soziale Deutschland“ (FAZ, 11. Juni, S. 10) einen Gegensatz zwischen der SPD und dem sogenannten Neoliberalismus der CDU auf. Vergessen gemacht werden soll wohl, wer die Politik der letzten Jahre maßgeblich geprägt hat: die SPD. In einer Reaktion auf Becks Beitrag hat Gerald Braunberger (FAZ, 12. Juni, S. 15) zurecht auf dessen verzerrte Darstellung des Neoliberalismus hingewiesen. Er hält nämlich, in der frühen ordoliberalen Gestalt, das staatliche Ordnungsgefüge für unerläßlich, um eine Marktwirtschaft zu ermöglichen.
Bei aller Kritik daran allerdings sind sich Beck und Braunberger auch einig, wie folgende Zitate zeigen:
Beck: Erwerbsarbeit ist es, die aus Armut und dauerhafter Ausgrenzung herausführt. Sie verschafft Anerkennung und Selbstwertgefühl, und sie öffnet den Weg in ein selbständiges Leben, und: Wer seine Zukunft durch eigene Anstrengung erst gewinnen muß, der spürt, welches Gewicht die Forderung nach gleichen Rechten hat. Nicht Besitz darf den Ausschlag geben, sondern die immer neue Chance des Erwerbs, nicht Ort oder Status der Geburt dürfen entscheiden, sondern allein die immer offene Perspektive eines tätigen Lebens.
Braunberger: Der neoliberale Staat ist allerdings eines nicht: eine Umverteilungsmaschine, deren Vertreter meinen, die Bürgersolidarität sei umso höher, je mehr Geld dem einen zwangsweise genommen und dem anderen gegeben werde. Er ist einer, der Freiheitsrechte innerhalb der von ihm gesetzten Ordnung respektiert, aber keiner, der den Menschen in paternalistischer Manier vorschreiben will, wie sie zu leben haben.
Worin unterscheiden sich beide Ausführungen? Doch nur darin, wie die Erwerbsverpflichtung realisiert werden soll, nicht aber darin, daß sie beibehalten werden muß. Beide wollen also gleichermaßen paternalistisch definieren, worin ein Beitrag zum Gemeinwesen besteht.
Erstaunlich ist an Becks Ausführungen, wie geschmeidig er einige der Schlagworte und Thesen aufgreift, die sonst von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens gebraucht werden. Daran wird deutlich, wie genau in der voranschreitenden Grundeinkommensdiskussion hingeschaut werden muß, um einzuschätzen, was jemand vertritt (vgl. Enno Schmidt zu Straubhaar).
Einerseits spricht Beck von dem Willen der Einzelnen, einen Beitrag zu leisten – dann müssen sie folgerichtig nicht dazu gedrängt werden, wie es heute geschieht. Andererseits äußert er auch folgendes: Die demokratische Gesellschaft ist auf die aktive Beteiligung aller ihrer Bürgerinnen und Bürger gegründet. Sie entspricht damit dem Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, das man auch auf die Formel „Mitarbeiten und Mitbestimmen“ bringen könnte.
Gerade der letzte Teil ist undemokratisch, weil er Mitbestimmung von Mitarbeit abhängig macht. Es heißt ja nicht „Mitbestimmen und Mitarbeiten“, Beck dreht die Reihenfolge um, aus Demokratie und Selbstbestimmung der Bürger wird eine Erwerbstätigengesellschaft. Der nächste Schritt wäre, eine vorübergehende Einschränkung der Bürgerrechte dort vorzusehen, wo ein Bürger sich dauerhaft der Erwerbsarbeit verweigert. Nun könnte man hier unterstellen, die sei eine bösartige Deutung, doch letztlich ist damit wörtlich genommen und konsequent weitergedacht, was in der zitierten Passage zum Ausdruck kommt. Vollwertiger Bürger ist in dieser Vorstellung nur der Erwerbstätige. Mit dieser Haltung läßt sich die sanktionierende Sozialpolitik à la Hartz IV sehr gut rechtfertigen.
Deutlich wird dies auch in der einzigen Passage, in der Beck sich zum bedingungslosen Grundeinkommen äußert: Ich finde es gar nicht so rätselhaft, daß von Marktradikalen bis zu Postkommunisten ein fauler Kompromiß über ein sogenanntes „bedingungsloses Grundeinkommen“ geschlossen wird. Durch Besitz Begünstigte drängen darauf, gering belastet und von der Gesellschaft in Ruhe gelassen zu werden. Das ist die übliche Abwehr, doch „in Ruhe gelassen“ – und zugleich ermutigt – würden alle. Die positive Seite der Ermöglichung, die auch Becks Vorstellung eines „vorsorgenden Sozialstaats“ innewohnen müßte, wäre mit dem bGE auf einfache Weise wirkungsvoll erreicht.
Weiter heißt es: Die anderen nehmen es hin, daß die Schwächeren nur noch alimentiert und damit abgespeist und ausgegrenzt werden. Das Ergebnis wäre sicher nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern eine Spaltung Deutschlands in einen produktiven und einen stillgelegten Teil.
Wie ließe sich jemand ausgrenzen und abspeisen, der durch das bGE in die Lage versetzt würde, sein Leben in die Hand zu nehmen, zu jeder Zeit, für jede ihm wichtige Sache oder Person? Daß auch Beck, wie schon andere Kritiker (Daniela Schneckenburger, Oswald Metzger [beide Die Grünen]; Andrea Nahles, SPD) vor ihm, davon ausgehen, Bürger ließen sich stillegen, ist bezeichnend: So kann nur denken, wer den Menschen gar nichts zutraut und glaubt, zu allem bedürften sie einer fürsorglichen Betreuung. Hatte Beck dem nicht gerade an anderer Stelle widersprochen? Sein vorsorgender Sozialstaat ist ein bevormundender Betreuungsstaat, das ist gewiß.
Obwohl Beck auch solche Dinge sagt: Leistungsträger sind doch nicht nur Besserverdiener, sondern oft gerade die kleinen Leute in ihrem Beruf, in ihrer Nachbarschaft, in ihrem Verein und ihrer Familie – besteht kein Zweifel, für welche Zukunft er steht. Im Unterschied zu anderen Mitgliedern der SPD, wie im Kreisverband Rhein-Erft, nimmt er die Freiheit der Bürger nicht ernst, würde er sonst entsprechende Vorschläge unterbreiten und das bGE in seinen Chancen erkennen. Was er und auch seine Kritiker vorschlagen, ist doch nur eine Fortsetzung der aktivierenden entmündigenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mit anderen Vokabeln. Auch damit unterschätzen beide die mündigen Bürger, die das bemerken.
Sascha Liebermann
Bedingungsloses Grundeinkommen – Hörbücher des Kongresses in Kassel
Die Firma Sonnenweb.de hat den Kongreß zum bedingungslosen Grundeinkommen, der Anfang Juni im Anthroposophischen Zentrum in Kassel stattfand, aufgezeichnet. Zu jeder Veranstaltung gibt es einen Mitschnitt als CD. Die Referenten sind sehr gut, Fragen aus dem Publikum sind weniger deutlich zu verstehen.
Grundeinkommen für alle – Thomas Straubhaar
Enno Schmidt (Initiative Grundeinkommen Basel) hat einen Kommentar zur jüngsten Veröffentlichung von Thomas Straubhaar verfaßt. In diesem Beitrag widmet er seine Aufmerksamkeit der Frage, ob nicht in der Argumentation HWWI-Direktors das Grundeinkommen als Spar-Modell gedacht ist.
SPD Rhein Erft für bedingungsloses Grundeinkommen
Im Sommer 2006 wurden wir zweimal von der SPD Rhein Erft zur Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeladen. Nun hat der Kreisverband sich dafür ausgesprochen, das bGE ins Grundsatzprogramm der SPD aufzunehmen. Ein Bericht zum Parteitag findet sich hier.