„Lernen finanzieren – statt rumsitzen“…

…diese eindrucksvolle Gegenüberstellung nimmt Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen im Deutschen Bundestag, im Tagesspiegel vor.  (siehe zur ihrer Position auch hier und hier). Sie bezieht sich darauf, wozu ein Bedingungsloses Grundeinkommen führen würde – die zweite Option selbstverständlich, und was wirklich wichtig wäre in ihren Augen – die erste natürlich. Wer darüber nachdenkt, was die Digitalisierung (siehe auch hier) so mit sich bringen könnte, wird schnell als Technologiepessimist abgestempelt. Wäre denn Frau Pothmer deswegen einfach als Technologieoptimistin zu etikettieren (siehe auch die letzte Sendung von Maybrit Illner)?

Sie schreibt:

„Es stimmt zwar, dass durch den technologischen Wandel in den kommenden Jahren viele gut bezahlte Arbeitsplätze insbesondere im mittleren Qualifikationsniveau wegfallen werden. Aber etliche Studien zeigen auch, dass verloren gegangene Arbeitsplätze durch neue entstehende Jobs in anderen Bereichen kompensiert werden. Die wirkliche Herausforderung besteht also darin, die Veränderung von Tätigkeiten frühzeitig zu erkennen und die Menschen für diese neuen Anforderungen durch Aus-, Weiter- und Fortbildung fit zu machen.“

Das ist das Niveau dessen, was man jeden Tag in der Zeitung lesen kann, mit Empirie und Realität hat es nichts zu tun, weil all diese Studien nur Schätzungen abgeben. Die fallen unterschiedlich aus und werden entsprechend immer einmal korrigiert. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat dies jüngst getan und kommt zu gravierenderen Folgen, als es in einer früheren Studie der Fall war. So viel zur Aussagekraft dieser Studien. Dass die Anforderungsprofile in der Arbeitswelt sich verändern, ist ein sukkzessiver Prozess, der seit Jahrzehnten zu beobachten ist, er mag durch die Digitalisierung verstärkt werden (siehe hier). Dass die „Menschen“ fit gemacht werden sollen, ist wenig umstritten, die Frage stellt sich aber, auf welcher Basis das geschieht? Werden sie denn Ausweichmöglichkeiten haben, wer bestimmt über die Sinnhaftigkeit der „Weiterbildung“? Oder anders gefragt: Soll man sich auch aus dieser Mühle ausklinken dürfen, um anders tätig zu werden? Wie Frau Pothmer argumentierte im vergangenen Herbst Christoph Kübel, Geschäftsführer von Bosch.

Was schreibt sie noch?

„Die Arbeitslosenversicherung, die heute bei Jobverlust nicht nur für materielle Absicherung sorgt, sondern auch Qualifizierungen und Umschulungen finanziert, fällt ersatzlos weg. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine ausschließlich finanzielle Leistung – je nach Konzept zwischen 1000 und 1500 Euro. Das klingt zunächst vielleicht üppig, liegt aber bei Lichte betrachtet nicht weit über dem aktuellen Hartz IV-Satz – jedenfalls, wenn man alle HartzIV- Leistungen zusammen zählt und zugleich berücksichtigt, dass im Gegenzug andere soziale Unterstützungsangebote wegfallen sollen.“

Sie mutmaßt über Folgen eines BGE und wirft verschiedene Dinge in einen Topf. Weshalb sollten „Qualifizierungen und Umschulungen“ wegfallen, wenn sie denn für sinnvoll gehalten werden? Allerdings stünden sie auf einer anderen Basis und im Gefolge der Arbeitsagenturen könnte sich nicht dieselbe Maßnahmenindustrie etablieren, die sich heute schon etabliert hat. Angebote könnten ganz anders aussehen und weil es echte Angebote wären – und keine Verodnungen unter Sanktionsdrohung – könnten sie abgelehnt werden. Oder wäre das nicht das Ziel von Frau Pothmer? Das ist die Gretchenfrage, wenn es um Bildung geht, ob nämlich im Grunde auch zugelassen wird, dass sich jemand daran nicht beteiligen will (siehe hier). Man müsste sich nicht alles bieten lassen. Diese Seite der gegenwärtigen „Förderung“ unterschlägt Frau Pothmer. Die Arbeitslosenversicherung, wenn sie dann noch sinnvoll und gewollt wäre, könnte durchaus weiterbestehen, wäre aber eine völlig andere.

Wie geht es weiter?

„Gerade unter den Bedingungen der Digitalisierung, unter denen die Halbwertzeit von Wissen noch einmal deutlich abnimmt, laufen Grundeinkommensbezieher Gefahr, dauerhaft den Anschluss zu verlieren. Ein neues Prekariat auf dem Niveau des Grundeinkommens könnte die Folge sein.“

Gemeint sind hier diejenigen, die sich auf ein BGE zurückziehen würden. Wenn diese aber den Anschluss nicht verlieren wollen, werden sie ihn – gerade auf Basis eines BGE – nicht verlieren, da Weiterbildung zur Selbstverständlichkeit werden kann, befreit von den Sanktionen der Arbeitsagenturen und Jobcenter heute, befreit von dem normativen Druck des Erwerbsgebots heute. Welche Möglichkeiten ein BGE bietet, hängt wesentlich davon ab, welcher Betrag anvisiert wird und welche öffentliche Infrastruktur verfügbar ist. Dass man heute unter dem Erwerbsgebot einen ganz anderen Anschluss verlieren kann, kommt Frau Pothmer gar nicht in den Sinn, und zwar den an die Familie, wenn für sie keine Zeit ist, an Freunde und das Gemeinwesen, wenn Erwerbstätigkeit alles dominiert.

„Nein, wer Vorbehalte gegen Digitalisierung abbauen und Ängste vor Jobverlust überwinden will, muss Zugänge organisieren und Chancen eröffnen. Deshalb darf der Staat sich nicht freikaufen. Politik muss an dem Anspruch festhalten, auch unter den Bedingungen von Arbeit 4.0 so vielen Menschen wie möglich Teilhabe durch Erwerbsarbeit zu ermöglichen.“

„Teilhabe durch Erwerbsarbeit“ – das klingt so harmlos wie „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Tatsächlich ist Erwerbsarbeit heute aber normativ aufgeladen, sie ist geboten und nur sie erlaubt es, ein legitimes Einkommen zu erzielen sowie Ansprüche auf andere Leistungen zu erwerben wie Arbeitslosengeld I und Rente. Teilhabe heißt faktisch Erwerbsobliegenheit, wenn auf Einkommen nicht verzichtet und Nicht-Anerkennung durch das Gemeinwesen vermieden werden soll.

Wenn „…so vielen Menschen wie möglich“ das ermöglicht werden soll („Chancen eröffnen“), geht das auf Kosten anderer Bereiche des Zusammenlebens, die oben schon benannt wurden.

Es ist nun klar, in welche Richtung die Überlegungen Frau Pothmers gehen, was kommt noch?

„Es geht um ein Recht auf Weiterbildung, das tatsächlich allen einen Zugang eröffnet. Die Bildungsangebote müssen so ausgestaltet werden, dass Bildungsversäumnisse der beruflichen Erstausbildung nicht noch verstärkt, sondern ausgleichen werden. Damit alle Menschen dieses Recht auf Weiterbildung in Anspruch nehmen können, muss der Lebensunterhalt während der Qualifizierungsmaßnahme gesichert sein.“

Was heißt „Recht auf Weiterbildung“? Auf welche? Nur auf eine, die mit Erwerbstätigkeit in Verbindung steht natürlich, denn Frau Pothmer spricht von einer „Qualifizierungsmaßnahme“. Dann sind es strenggenommen auch keine „Bildungsangebote“, um die es hier geht.

Zum Schluß:

„Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften könnte die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt beeinträchtigen und zur Abwanderung von Wertschöpfung mit allen negativen Folgen für Wirtschaft und Beschäftigung führen.“

Aber welcher Qualifizierung, wie kann sie sinnvollerweise aussehen, wie kann man sie erreichen? Pothmer vertritt die Erwerbsarbeit ist alles-Fraktion samt Bildungsprogramm von oben. Wenn sie es mit Chancen eröffnen ernst meint, dann sollte nicht schon definiert sein, worin Chancen zu bestehen haben. Dann sollten wir besser von Möglichkeiten sprechen, die in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Den Freiraum schafft aber das Erwerbsgebot mit allem Drum und Dran nicht. Erst auf der Basis eines BGE könnte er gedeihen.

Sascha Liebermann